China vs. Russland: Sowjetische Schachtechnik

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    • China vs. Russland: Sowjetische Schachtechnik

      Der 16-jährige Vladislav Artemiev belegte bei der Europameisterschaft 2014 in Jerewan den 13. Platz mit einer Eloleistung von 2712. IM David Martinez nimmt drei Endspiele unter die Lupe, die das russische Ausnahmetalent mit außerordentlich starker Technik gewann: China vs. Russland: Sowjetische Schachtechnik

      Was einen künftigen WM-Kampf gegen Carlsen betrifft, mangelt es Vladislav nicht an Selbstvertrauen: "Vielleicht ist Carlsen ja, wenn ich stärker werde, bereits alt."
    • Ein erhellender Beitrag über einen jungen Spieler mit Potenzial und Perspektive. Der Autor des Textes sieht den 16 Jahre alten Vladislav Artemiev vom Spielertyp in der Tradition der Sowjetischen Schachschule stehend, die er wie folgt skizziert:

      „Geduldig sein, eine Schwäche provozieren, diese festlegen und dann aufs Korn nehmen: Diese Abfolge von Infinitiven gehörte als strategischer Leitfaden zum Kernelement der Sowjetischen Schachschule, die der sechste Weltmeister Mikhail Botvinnik begründete. Ihren formvollendeten Höhepunkt erlangte diese sowjetische Technik in der filigranen Fertigkeit zweier späterer Weltmeister, Anatoly Karpov und Vladimir Kramnik, auch wenn sich eine derart präzise Technik natürlich bereits im Spiel von Botvinniks Zeitgenossen Vasily Smyslov und Tigran Petrosian finden lässt.“

      Vielleicht irre ich mich, aber ist mit dieser Art einer Partieanlage nicht exakt das Schach des aktuellen Weltmeisters Magnus Carlsen beschrieben, gegen den Vladislav Artemiev möglicherweise ein Match spielen wird, wenn dieser „alt“ geworden sein wird (zwischen den beiden liegen doch bloß acht Jahre)? Prognosen sind ja immer eine Sache, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.
    • Hm, interessanter Gedanke ("ist mit dieser Art einer Partieanlage nicht exakt das Schach des aktuellen Weltmeisters Magnus Carlsen beschrieben") - aber ich bin mir nicht sicher, ob abgesehen von einer vergleichsweise trivialen Oberflächlichkeit hier eine relevante Parallelität zu finden ist.

      Wenn, wie du schreibst (oder vielmehr der Autor), die sowjetische Technik in z.B. Karpov ihren Höhepunkt fand, müsste sich ja Karpov mit Carlsen vergleichen lassen. Das kann ich allerdings überhaupt nicht im Bereich der Partieanlage unterschreiben, sondern lediglich in Bezug auf ihre Sicherheit in Spieltechnik. Aber das ist für mich weniger Ausdruck einer Schachschule oder Spielphilosophie, sondern nur von Fähigkeit und Trainingsschwerpunkt.

      In Bezug auf die Partieanlage glaube ich (ohne wirklich gute Expertise, da mögen sich bessere Spieler zu Wort melden, bitte) große Unterschiede zu erkennen. Zunächst mal ganz plump und oberflächlich: Ich nehme die Partien völlig unterschiedlich wahr in Bezug auf den Siegeswillen. Dagegen könnte man halten, dass natürlich im heutigen Schach generell ein großer Unterschied zu dem der achtziger Jahre erkennbar ist, was die Remistendenz angeht - die war früher eben deutlich höher. Aber auch wie die beiden (hier Carlsen und Karpov) eine Partie angehen, unterscheidet sich grundlegend. Beide bereiten sich natürlich vor, aber Karpov's Partien schienen oft auf Stillhalteabkommen hinauszulaufen, während ich das bei Carlsens Partien weitgehend nicht entdecke. Die Kompromisslosigkeit bei Carlsen ist für mich sehr viel ausgeprägter und auch stilprägend. Auch der offen bekundete Unwillen Carlsens, theoretische Schlachten auszutragen und große zeitliche Investitionen in Eröffnungsanalysen zu stecken, ist für mich ein Unterscheidungskriterium zu Karpov.

      Deshalb, obwohl ein interessanter Gedanke, kann ich mich dir diesmal nicht anschließen. Schwächen festzulegen und aufs Korn zu nehmen mag die sowjetische Schachschule zunächst entscheidend von anderen Lehrpfaden unterschieden haben - aber soweit ich das beurteilen kann, ist dieser Teil der schachlichen Erkenntnisse bereits Bestandteil jedwedes Schachtrainings geworden, unabhängig von irgendeinem spezifischen Schachstil. Daher ist die Parallelität (zwischen sowjetischer Schachschule und Carlsen) zu diesem Aspekt wohl verhältnismäßig trivial - denn jeder erfolgreiche Schachspieler wird diese Grundstrategie bzgl. gegnerischer Stellungsschwächen verfolgen, natürlich ebenso Carlsen. ;)

      In Bezug auf den Artikel möchte ich noch eine Beobachtung erwähnen (während ich ihn insgesamt unterhaltsam und gut finde): In dem Absatz, in dem der Autor über Artemiev zu schreiben beginnt, stehen zwei kurz aufeinander folgende Textstellen (siehe folgende beiden Zitate), die ich nicht so recht in Einklang miteinander bringen kann. Ich glaube auch nicht, dass ich sie aus dem Zusammenhang reiße - aber vielleicht kann mir das jemand erklären?
      1. Stelle: "Mit den weißen Steinen favorisiert er einen ruhigen Aufbau und eröffnet normalerweise mit dem Damenbauern. Dabei ist er nicht auf komplizierte Theorieverwicklungen aus. "
      2. Stelle, kurz danach: "Auch mit Schwarz spielt er auf Sieg und scheut nicht vor Komplikationen zurück, was sich unter anderem darin zeigt, dass er höchst theoriegeladene Eröffnungen wie die Najdorf-Variante und Grünfeld-Indisch einsetzt."
      Seh da nur ich einen Widerspruch? Ist es angemessen, entgegengesetzte Präferenzen in Abhängigkeit der Figurenfarbe zu unterstellen?

      ./blizz
    • BlizzBirne schrieb:

      In Bezug auf den Artikel möchte ich noch eine Beobachtung erwähnen (während ich ihn insgesamt unterhaltsam und gut finde): In dem Absatz, in dem der Autor über Artemiev zu schreiben beginnt, stehen zwei kurz aufeinander folgende Textstellen (siehe folgende beiden Zitate), die ich nicht so recht in Einklang miteinander bringen kann. Ich glaube auch nicht, dass ich sie aus dem Zusammenhang reiße - aber vielleicht kann mir das jemand erklären?
      1. Stelle: "Mit den weißen Steinen favorisiert er einen ruhigen Aufbau und eröffnet normalerweise mit dem Damenbauern. Dabei ist er nicht auf komplizierte Theorieverwicklungen aus. "
      2. Stelle, kurz danach: "Auch mit Schwarz spielt er auf Sieg und scheut nicht vor Komplikationen zurück, was sich unter anderem darin zeigt, dass er höchst theoriegeladene Eröffnungen wie die Najdorf-Variante und Grünfeld-Indisch einsetzt."
      Seh da nur ich einen Widerspruch? Ist es angemessen, entgegengesetzte Präferenzen in Abhängigkeit der Figurenfarbe zu unterstellen?


      Ja, es ist durchaus angemessen, entgegengesetzte Präferenzen in Abhängigkeit von der Figurenfarbe zu unterstellen:

      Mit den weißen Steinen fühlen sich die meisten Spieler verpflichtet, den Anzugsvorteil zu verwerten, also per se auf Sieg zu spielen. Wenn dies mit einem ruhigen Aufbau unter Vermeidung komplizierter Verwicklungen erreicht werden kann, dann ist das durchaus in Ordnung.
      Solch eine Vorgehensweise zeichnet im allgemeinen Positionsspieler aus, die weit vorausschauend angelegte Strategiepläne verfolgen.

      Mit Schwarz ist es sehr viel schwerer, durch ruhiges Spiel Vorteil zu erlangen. Man muss schon etwas riskieren, wenn man als Nachziehender auf Sieg spielen will, und darf dann den dadurch entstehenden Komplikationen auch nicht aus dem Weg gehen.
      Ein Positionsspieler muss somit auch genügend taktische Fertigkeiten besitzen, wenn er dauerhaft erfolgreich sein will.

      So gesehen, gibt es also keinen Widerspruch im Hinblick auf die eigene Spielweise in Abhängigkeit von der jeweiligen Spielfarbe.

      :) HaJo :)
    • Danke Hajo - das unterstreicht allerdings nochmal, dass ich die Parallelität zu Carlsen nicht wirklich erkennen kann. Denn seine Strategie scheint mir doch wesentlich weniger farbabhängig zu sein. ;)

      Obwohl ich nun verstehe, wieso die Zitate keinen Widerspruch darstellen müssen: Es gibt wohl keinen Anspruch auf grundsätzliche Korrektheit, denn der Erfolg der eigenen Strategie hängt ja im Wesentlichen und entscheidend davon ab, ob ich die gegnerische Strategie vorab korrekt eingeschätzt habe und mit meiner gewählten Gegenstrategie einen Vorteil erreichen kann. Denn wenn es stimmt, dass sich mit den weißen Steinen die meisten Spieler verpflichtet sehen, den Anzugsvorteil zu verwerten - dann müsste man erwarten, dass hier eher Hau-Ruck-Schach gespielt oder sehr theorielastig agiert wird von Weiß. Dann könnte als Schwarzer eher ruhigere und stabile Spielweise zum Erfolg führen, um Weiß eben die gewünschte Plattform eines "brennendes Brettes" nicht anzubieten...

      Anyway - ein interessanter junger Spieler. Der wird uns bestimmt noch viel Spaß machen. ;)

      Gruß,
      ./blizz
    • Danke BlizzBirne für Deine Überlegungen zu meinen Überlegungen zu Magnus Carlsen und der Sowjetischen Schachschule, dem Ausgangstext folgend.

      Ich kann Deine Argumente gut annehmen, dass es prima vista atmosphärische Parallelen zwischen Anatoli Karpow und Magnus Carlsen gibt, bei genauerer Analyse aber eben auch gravierende Unterschiede. Karpow hat sich viel ökonomischer am Brett verhalten und nicht mit jener Konsequenz auf Sieg gespielt, die Carlsen so oft an den Tag legt. Ich hatte beider Ähnlichkeiten an der makellosen Technik gerade im Endspiel und der weitgehenden Abwesenheit von Fehlern festmachen wollen, sehe aber ein, dass derlei Merkmale wohl auf die komplette Weltspitze zur jeweiligen Zeit zutreffen und also keine hinreichenden Kriterien zur Beschreibung eines Stiles darstellen. Zur mutmaßlichen Anspruchslosigkeit der Behandlung der Eröffnung kann ich wenig sagen, weil mir da die Kenntnisse zum Mitreden fehlen. Kurzum, mein Schachverstand reicht eben aus, die Unterschiede zwischen Mikhail Tal und Mikhail Botwinnik zu sehen, nicht aber die zwischen Anatoli Karpow und Magnus Carlsen. Um Letzteres zu leisten, muss ich noch viel lernen. Aber das versteht sich ja von selbst.

      Liebe Grüße, Läuferin
    • Der Vollständigkeit halber: In einem Interview mit der indischen Zeitung „The Hindu“ zum bevorstehenden Match gegen Vishy Anand sieht Magnus Carlsen Elemente der früheren Weltmeister Bobby Fischer und Anatoli Karpow auch in seinem Schach. Und, wer hätte das gedacht, er zieht eine Parallele zwischen sich und Reuben Fine. Hoffentlich deutet er damit nicht seinen baldigen Rückzug vom Schach an.

      thehindu.com/sport/other-sport…arlsen/article6508078.ece