Die Nimzowitsch Tempolehre

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    • Die Nimzowitsch Tempolehre

      Dies soll eine kleine Hilfe sein,um schwächeren Spielern, das Verständnis für einen guten Spielbeginn zu vermitteln.

      Oft liest man bei einem Partiekommentar, Spieler A oder B waren besser entwickelt.Doch was bedeutet das genau?
      Eine Schachpartie ist ein Kampf aus einer Mischung von Material, Raum und Zeit.

      Die Kraft ist üblicherweise in den Spielfiguren, die man (noch) auf dem Brett besitzt, enthalten.
      Der Raum wird durch den, von jedem Spieler anteilig kontrollierten (besetzten) Bereich,vom Spielbrett symbolisiert.

      Und wenn man so will, drückt die "Entwicklung" den Faktor Zeit aus.Zumindest in der Phase der Eröffnung.
      Es gilt dabei: 1 Zug = 1 Tempo.

      Sowohl Tarrasch als auch Nimzowitsch haben Methoden, zum Berechnen des Entwicklungsstandes einer Partie im Eröffnungsstadium entworfen.Die Methode von Aaron Nimzowitsch finde ich einfacher und genauer.
      Sie geht davon aus, dass die Entwicklung für jede Seite dann beendet ist,wenn die beiden Türme auf der Grundlinie miteinander verbunden sind.

      Zähle dazu (gedanklich) im Verlauf der Eröffnung für beide Seiten ab, wieviele Züge (inkl. der Rochade) jeder Spieler noch machen muss, um die Türme auf der Grundlinie zu verbinden! Wer dazu weniger Züge braucht,der ist besser entwickelt. So kann man abschätzen, wer zeitlich von beiden Spielern im Vorteil ist.Es gibt Ausnahmen, die hier aber nicht betrachtet werden.

      Wer streng danach spielt, wird automatisch sparsamer mit Bauernzügen werden.Das ist in der Eröffnung besonders wichtig!
      Er wird seinen König zügig, durch die Rochade hinter den Bauernwall in Sicherheit bringen.
      Schon wenige Tempi (= Mehrzahl von Tempo) Vorsprung, können für einen Mattangriff ausreichen!Besonders gilt dies für Weiss, der ja eh schon ein Tempo im Vorteil ist.


      Eine Beispielpartie des genialen Paul Morphy soll die Tempolehre erläutern.Er war ein absoluter Experte für eine schnelle Entwicklung.Hier spielte er mit Weiss, gegen den Herzog von Braunschweig 1858 in Paris.



      Wir machen hier einen ersten Stop und prüfen die Entwicklung:
      Weiß muß noch seinen Läufer f1 rausbringen,dafür braucht er noch einen Zug.Einen Zug kostet ihn die Rochade.
      Um den Springer b1 zu entwickeln, braucht er ebenfalls noch einen Zug.Den Läufer c1 kann er nur rausbringen, wenn er noch einen Bauern bewegt, das sind also mindestens noch zwei Züge.Schlieslich noch (mindestens) einen Zug, um die Dame von der Grundlinie zu entfernen.(je nachdem welcher Bauer für Läufer c1 gezogen wurde).Nun wären also die Türme untereinander verbunden und das benötigt 6 Tempi.

      Schwarz muß auf dem Königsflügel sowohl den Springer, wie auch noch den Läufer entwickeln.Dies kostet ihn zwei Züge.Die Rochade verbraucht einen weiteren Zug.Um den Springer b8 zu ziehen, benötigt er einen Zug, auch für den Läufer c8 geht ein Zug drauf.Wenn auch die Dame gezogen hat (ein weiterer Zug) sind die Türme verbunden.Auch Schwarz benötigt also noch mindestens 6 Züge.

      Zeitlich hat derzeit keiner einen Vorteil.
      Bitte beachtet, das die Berechnung davon ausgeht,das nur das Mindeste gezogen wird.Jeder Schlagzug kann die Situation verändern.







      Wir machen hier einen zweiten Stop und prüfen erneut die Entwicklung:
      Weiß muß noch seinen Läufer f1 rausbringen,dafür braucht er noch einen Zug.Einen Zug kostet ihn die Rochade.Um den Springer b1 zu entwickeln, braucht er ebenfalls noch einen Zug.Den Läufer c1 kann er auch in einem Zug rausbringen.Dann wären die Türme verbunden und das benötigt, derzeit noch 4 Tempi.

      Schwarz muß auf dem Königsflügel sowohl den Springer, wie auch den Läufer entwickeln.Dies kostet ihn zwei Züge.
      Die Rochade verbraucht einen weiteren Zug.Um den Springer b8 zu ziehen, benötigt er einen Zug.Wenn auch die Dame gezogen hat (ein Zug) sind die Türme verbunden.Schwarz benötigt also mindestens noch 5 Züge.
      Er liegt jetzt 1 Tempo hinterher!







      An dieser Stelle machen wir einen dritten Stop und stellen fest, Schwarz ist sehr stark in der Entwicklung zurückgeblieben!
      Weiß bräuchte nur noch einen Zug für die Rochade, um seine Entwicklung abzuschließen!
      Schwarz dagegen kann seinen Läufer nicht ziehen, muss also mindestens zwei Züge dafür aufwenden.Einen Zug für die Rochade und einen Zug für das Ziehen des Sb8.Er benötigt also noch 4 Tempi!
      Weiss ist seinem Gegner aktuell 3 Tempi voraus, und Morphy reicht dies für einen Angriff.






      Eine letzte Betrachtung der Entwicklung.Weiss hat sie soeben mit der Rochade abgeschlossen,Schwarz liegt immer noch 3 Tempi zurück.




      Und so schwungvoll geht die Partie zu Ende






      Ich würde mich freuen, wenn Du von dieser Hilfe einen Nutzen hast, die Eröffnung besser zu behandeln bzw. zu verstehen.
      Die Entwicklung ist nicht alles, die Figuren müssen schließlich auch auf gute Felder gebracht werden.
      Aber sie kann spielentscheidend sein.

      dangerzone
    • In diesem Zusammenhang eine gute Faustregel: Ein Abtausch entwickelt immer den Gegner!
      In der zitierten Partie muss daher der Zug Lxf3 schon als Fehler abgestempelt werden; da die einzige Alternative zum Figurentausch aber ein Bauernverlust ist, ergibt sich daraus zwangsläufig, dass Lg4 schon ein Fehler war. Dies nur mal als kleiner Hinweis, da ich diese Variante sehr, sehr oft bei 1500ern sehe - diejenigen sollten statt Lg4 z. B. lieber exd4 spielen.
    • ich möchte hier mal 2 Dankeschön los werden.
      Erst mal an dangerzone zum Thema selbst, solche Erklärungen suche ich immer wieder mal,
      wenn ich z.B. Partien in Zeitungen usw. lese. Da steht dann das Ausrufezeichen, aber mir fehlt teilweise schon die Erkenntnis zum Weg dahin.
      Das zweite Danke an Herrn Köhler. Das Detail dazu finde ich ebenfalls stark.
      Die Frage, entwickelt Tauschen meinen Gegner habe ich mir eher unterschwellig in letzter Zeit öfter gestellt.
      Ingesamt denke ich, Eure Beiträge werden mir sehr weiter helfen.
    • Eine schöne Partie :)

      Ich hatte diese Partie mal wegen dem Mattmotiv im Vereinstraining vor 2 jahren oder so :)
      Mir ist aufgefallen , dass in meinen Partien ich immer wieder auch in der Eröffnung schneller bin, allerdings bin ich wohl zu lahm im Angriff :P
    • Das ist ein schönes Beispiel für Entwicklungsvorsprung. Ich habe diese Partie selbst zu meiner Anfängerzeit vor über 30 Jahren studiert. Ein bisschen Hintergrundwissen:

      Diese Partie wurde im 19. Jahrhundert gespielt, und zwar zwischen Paul Morphy (dem zu dieser Zeit stärksten Spieler der Welt, der aber nur von ca. 1855-1859 aktiv war) und dem Herzog von Braunschweig und Graf Isouard, die sich berieten. Ort des Geschehens war eine Loge in der Pariser Oper. Morphy zauberte die Züge nebenbei aufs Brett, während er einer Aufführung lauschte.

      Gruß

      Duke
    • Positionstempo vs. Entwicklungstempo

      Ergänzend zum Post 7 von Christoph.

      Siegbert Tarrasch beschreibt in 'Das Schachspiel' bei der Philidor-Verteidigung die Feinheit, zwischen einem Mehr an Positionstempo und einem Entwicklungstempo.



      Zieht Weiß in dieser Stellung nun 4. Dxd4 entwickelt er eine weitere Figur (die dort ihren Posten behaupten kann!) und das ist ein Entwicklungstempo.

      Zieht Weiß dagegen 4.Sxd4, verbessert der Springer seinen Standort und das ist ein Positionstempo.