"Warum viele Kinder gerade in die Klinik müssen
Kaum ein Kind hat sich im letzten Winter mit dem RS-Virus angesteckt. Nun machen gleich zwei Jahrgänge die Infektion zum ersten Mal durch. Die Folge: volle Kinderkliniken.
Herbstzeit ist Erkältungszeit. Da niest, hustet und röchelt es an jeder Ecke. Eigentlich nichts Ungewöhnliches. In diesem Herbst aber fällt auf, dass mehr Menschen als in den Vorjahren mit einer akuten Atemwegserkrankung zum Arzt gehen. Die meisten von ihnen kurieren ihre Erkältung einfach aus. Gerade an den jüngsten Patientinnen und Patienten geht die scheinbar harmlose Infektion aber nicht spurlos vorbei. Mehr Säuglinge und Kleinkinder als in den Jahren zuvor liegen mit einem schweren akuten Atemwegsinfekt in der Kinderklinik. Zwei von drei Kindern sind mit dem respiratorischen Synzytialvirus, kurz RSV, infiziert.
RSV ist ein RNA-Virus, das dem Grippevirus ähnelt, weltweit vorkommt und Menschen aller Altersgruppen befällt. Es ist hochansteckend [...]
Die Corona-Pandemie beeinflusst die RSV-Saison
Wie auch bei anderen Erkältungs- und Grippeviren – zum Beispiel Rhino- oder Influenzaviren – treten Infektionswellen mit RSV saisonal verstärkt auf. In Deutschland bleibt der Sommer daher in der Regel erkältungsfrei, ab November bis in den Winter laufen jedoch viele Menschen mit verschnupfter Nase und hustend durch die Gegend. Ein Infektionshoch lässt sich in den Monaten Januar und Februar beobachten. Im Jahr 2021 startete die »RSV-Saison« allerdings bereits im September. Und noch etwas fiel auf: Deutlich mehr Kinder als in den Vorjahren mussten mit einer RSV-Infektion in einer Kinderklinik behandelt werden.
Ähnliche Beobachtungen waren zuvor auch in anderen Ländern zu verzeichnen: Im australischen Frühjahr und Sommer Ende 2020 wurde die Bevölkerung des Kontinents von einer ungewöhnlich frühen und hohen Infektionswelle getroffen. In Israel begann die RSV-Saison im Mai 2021 statt wie sonst Anfang Oktober, in den USA im Juni. Das Robert Koch-Institut warnte deshalb, dass auch Deutschland ähnliches bevorstehen würde. [...]
Dass das RS-Virus jüngere Kinder diesmal so stark und schwer trifft, liegt an der Corona-Pandemie. Im Herbst und Winter 2020 galt es, Kontakte zu reduzieren und durchweg Maske zu tragen. Immer wieder schlossen Kitas und Schulen, das öffentliche Leben wurde zurückgefahren. Die Maßnahmen haben aber nicht nur das Coronavirus Sars-CoV-2 ausgebremst. »Im Winter 2020/2021 haben wir in den deutschen Kinderkliniken so gut wie keine RSV-Infektionen gesehen. Die Erkältungssaison ist quasi ausgefallen«,
sagt Kinder- und Jugendmediziner Rodeck. Das RS-Virus hatte schlicht keine Möglichkeit, sich auszubreiten.
Seit diesem Spätsommer 2021 scheint RSV die Saison nachzuholen. Für Rodeck ist das wenig überraschend: »Das Virus traf im September nicht nur auf eine, sondern gleich auf zwei Jahrgänge von immunnaiven Kindern.« Denn nicht nur die im Jahr 2021 geborenen Kinder, sondern auch diejenigen, die im Jahr zuvor auf die Welt gekommen sind, stehen der aktuellen Infektionswelle mit RSV – bezogen auf ihren spezifischen Immunstatus – schutzlos gegenüber.
Die Kinderkliniken sind voll
Das ist ein Dilemma. Denn das medizinische Personal arbeitet auf Grund der Corona-Pandemie sowieso schon am Limit [...]
Erschwerend kommt hinzu, dass Kinder, die wegen einer RSV-Infektion im Krankenhaus behandelt werden, isoliert werden müssen, damit sie nicht noch weitere Kinder anstecken. Dafür benötigen die Kliniken Platz und Personal. Beides fehlt. »Die Kinderkliniken sind aktuell in der Situation, dass sie entweder die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung nicht einhalten können oder aber Kinder in andere Kliniken schicken oder sogar abweisen müssen«, sagt Rodeck. Die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung regelt, wie viele Pflegekräfte für eine bestimmte Anzahl erkrankter Kinder rund um die Uhr zur Verfügung stehen müssen. Hält sich eine Klinik nicht an diese Vorgabe, drohen Strafzahlungen. Kranke Kinder auf Grund von Personalmangel abzuweisen, könne allerdings als unterlassene Hilfeleistung gewertet werden, sagt Rodeck. Er fordert deshalb den Gesetzgeber auf, zumindest die Sanktionen für ein Unterschreiten der Pflegepersonal-Untergrenze vorübergehend auszusetzen.
Die Kinder an andere Kliniken zu verweisen, ist außerdem oft keine Option, denn viele Kliniken stehen derzeit vor den gleichen Schwierigkeiten. Der Verband leitender Kinder- und Jugendärzte und Kinderchirurgen Deutschlands veröffentlichte die Ergebnisse einer Umfrage, laut der bereits 78 Prozent der Kinderkliniken von Versorgungsengpässen berichteten. Höchstens eine Kontaktbeschränkung wie im Herbst und Winter 2020 könnte die Lage in den Kliniken entspannen.
Auch wenn die Zahl der schweren RSV-Fälle leicht rückläufig ist, sind die Kliniken weiterhin in Habachtstellung. Die eigentliche Wintersaison und besonders die kritischen Monate Januar und Februar stehen erst noch bevor: Niemand kann sagen, ob die Anzahl infizierter Kinder in dieser Zeit wieder zunimmt. Zusätzlich haben dann Influenzaviren ihre Saison und füllen die Kinder-Intensivstationen."
--- spektrum.de/news/rsv-warum-ger…ie-klinik-muessen/1951681
Kaum ein Kind hat sich im letzten Winter mit dem RS-Virus angesteckt. Nun machen gleich zwei Jahrgänge die Infektion zum ersten Mal durch. Die Folge: volle Kinderkliniken.
Herbstzeit ist Erkältungszeit. Da niest, hustet und röchelt es an jeder Ecke. Eigentlich nichts Ungewöhnliches. In diesem Herbst aber fällt auf, dass mehr Menschen als in den Vorjahren mit einer akuten Atemwegserkrankung zum Arzt gehen. Die meisten von ihnen kurieren ihre Erkältung einfach aus. Gerade an den jüngsten Patientinnen und Patienten geht die scheinbar harmlose Infektion aber nicht spurlos vorbei. Mehr Säuglinge und Kleinkinder als in den Jahren zuvor liegen mit einem schweren akuten Atemwegsinfekt in der Kinderklinik. Zwei von drei Kindern sind mit dem respiratorischen Synzytialvirus, kurz RSV, infiziert.
RSV ist ein RNA-Virus, das dem Grippevirus ähnelt, weltweit vorkommt und Menschen aller Altersgruppen befällt. Es ist hochansteckend [...]
Die Corona-Pandemie beeinflusst die RSV-Saison
Wie auch bei anderen Erkältungs- und Grippeviren – zum Beispiel Rhino- oder Influenzaviren – treten Infektionswellen mit RSV saisonal verstärkt auf. In Deutschland bleibt der Sommer daher in der Regel erkältungsfrei, ab November bis in den Winter laufen jedoch viele Menschen mit verschnupfter Nase und hustend durch die Gegend. Ein Infektionshoch lässt sich in den Monaten Januar und Februar beobachten. Im Jahr 2021 startete die »RSV-Saison« allerdings bereits im September. Und noch etwas fiel auf: Deutlich mehr Kinder als in den Vorjahren mussten mit einer RSV-Infektion in einer Kinderklinik behandelt werden.
Ähnliche Beobachtungen waren zuvor auch in anderen Ländern zu verzeichnen: Im australischen Frühjahr und Sommer Ende 2020 wurde die Bevölkerung des Kontinents von einer ungewöhnlich frühen und hohen Infektionswelle getroffen. In Israel begann die RSV-Saison im Mai 2021 statt wie sonst Anfang Oktober, in den USA im Juni. Das Robert Koch-Institut warnte deshalb, dass auch Deutschland ähnliches bevorstehen würde. [...]
Dass das RS-Virus jüngere Kinder diesmal so stark und schwer trifft, liegt an der Corona-Pandemie. Im Herbst und Winter 2020 galt es, Kontakte zu reduzieren und durchweg Maske zu tragen. Immer wieder schlossen Kitas und Schulen, das öffentliche Leben wurde zurückgefahren. Die Maßnahmen haben aber nicht nur das Coronavirus Sars-CoV-2 ausgebremst. »Im Winter 2020/2021 haben wir in den deutschen Kinderkliniken so gut wie keine RSV-Infektionen gesehen. Die Erkältungssaison ist quasi ausgefallen«,
sagt Kinder- und Jugendmediziner Rodeck. Das RS-Virus hatte schlicht keine Möglichkeit, sich auszubreiten.
Seit diesem Spätsommer 2021 scheint RSV die Saison nachzuholen. Für Rodeck ist das wenig überraschend: »Das Virus traf im September nicht nur auf eine, sondern gleich auf zwei Jahrgänge von immunnaiven Kindern.« Denn nicht nur die im Jahr 2021 geborenen Kinder, sondern auch diejenigen, die im Jahr zuvor auf die Welt gekommen sind, stehen der aktuellen Infektionswelle mit RSV – bezogen auf ihren spezifischen Immunstatus – schutzlos gegenüber.
Die Kinderkliniken sind voll
Das ist ein Dilemma. Denn das medizinische Personal arbeitet auf Grund der Corona-Pandemie sowieso schon am Limit [...]
Erschwerend kommt hinzu, dass Kinder, die wegen einer RSV-Infektion im Krankenhaus behandelt werden, isoliert werden müssen, damit sie nicht noch weitere Kinder anstecken. Dafür benötigen die Kliniken Platz und Personal. Beides fehlt. »Die Kinderkliniken sind aktuell in der Situation, dass sie entweder die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung nicht einhalten können oder aber Kinder in andere Kliniken schicken oder sogar abweisen müssen«, sagt Rodeck. Die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung regelt, wie viele Pflegekräfte für eine bestimmte Anzahl erkrankter Kinder rund um die Uhr zur Verfügung stehen müssen. Hält sich eine Klinik nicht an diese Vorgabe, drohen Strafzahlungen. Kranke Kinder auf Grund von Personalmangel abzuweisen, könne allerdings als unterlassene Hilfeleistung gewertet werden, sagt Rodeck. Er fordert deshalb den Gesetzgeber auf, zumindest die Sanktionen für ein Unterschreiten der Pflegepersonal-Untergrenze vorübergehend auszusetzen.
Die Kinder an andere Kliniken zu verweisen, ist außerdem oft keine Option, denn viele Kliniken stehen derzeit vor den gleichen Schwierigkeiten. Der Verband leitender Kinder- und Jugendärzte und Kinderchirurgen Deutschlands veröffentlichte die Ergebnisse einer Umfrage, laut der bereits 78 Prozent der Kinderkliniken von Versorgungsengpässen berichteten. Höchstens eine Kontaktbeschränkung wie im Herbst und Winter 2020 könnte die Lage in den Kliniken entspannen.
Auch wenn die Zahl der schweren RSV-Fälle leicht rückläufig ist, sind die Kliniken weiterhin in Habachtstellung. Die eigentliche Wintersaison und besonders die kritischen Monate Januar und Februar stehen erst noch bevor: Niemand kann sagen, ob die Anzahl infizierter Kinder in dieser Zeit wieder zunimmt. Zusätzlich haben dann Influenzaviren ihre Saison und füllen die Kinder-Intensivstationen."
--- spektrum.de/news/rsv-warum-ger…ie-klinik-muessen/1951681