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    • "Fratzschers Verteilungsfragen / Arbeitsmarkt:Die falschen Behauptungen über das Bürgergeld sind gefährlich

      Eine Kolumne von Marcel Fratzscher, Timm Bönke und Johannes Geyer

      Einige Kritiker des Bürgergelds schüren eine Neiddebatte und haben teilweise ein deprimierendes Menschenbild. Drei Missverständnisse befeuern den Streit

      Der Streit um das Bürgergeld spaltet das Land. Die Diskussion wird jedoch mit vielen falschen Informationen oder fragwürdigen Behauptungen geführt. Schlimmer noch: Einige Politikerinnen und Politiker scheinen bewusst die Diskussion zu emotionalisieren und tragen letztlich einen politischen Machtkampf auf dem Rücken der schwächsten Mitglieder der Gesellschaft aus. Dies ist problematisch, da es die soziale Polarisierung weiter verschärft, eine emotionale Neiddebatte schürt und von den tatsächlichen Problemen ablenkt.
      Die gute Nachricht ist, dass sich der Streit um das Bürgergeld weniger um das Ziel an sich dreht. Denn es besteht große Einigkeit, dass mit dem Übergang von Hartz IV zum Bürgergeld die Stigmatisierung seiner Empfängerinnen und Empfänger reduziert wird und ein ausreichendes Existenzminimum und ein menschenwürdiges Dasein gewährleistet werden soll. Zudem soll es helfen, mehr Menschen in Arbeit zu bringen und gleichzeitig dem Missbrauch von Sozialleistungen vorzubeugen.
      Höhere Löhne statt kürzerer Leistungen
      Der Streit um das Bürgergeld erhitzt sich vor allem aufgrund von drei Missverständnissen. Das erste betrifft die Frage, ob das Bürgergeld ausreichend finanzielle Anreize zum Arbeiten setzt. Es wird behauptet, Bezieherinnen und Bezieher des Bürgergelds hätten häufig Anspruch auf mehr Geld als im Niedriglohnbereich arbeitende Menschen. Dies ist nachgewiesenermaßen falsch, denn auch arbeitende Menschen haben in vielen Fällen Anspruch auf soziale Leistungen, zusätzlich zu ihrem Arbeitseinkommen. Es gibt bereits heute mehr als eine Million sogenannte Aufstockerinnen und Aufstocker, die mit ihrer Arbeit so wenig verdienen, dass sie auf Leistungen wie Hartz IV, Wohngeld, Kinderzuschlag oder einen Unterhaltsvorschuss angewiesen sind. Wenn man dies mit einrechnet, dann haben Menschen immer mehr Einkommen, wenn sie arbeiten.

      Kritisch hinterfragen lässt sich dagegen, ob der Unterschied der Einkommen von arbeitenden und nicht arbeitenden Menschen zu gering ausfällt. Der sehr viel klügere Weg als eine Kürzung der Leistungen ist jedoch, Löhne und Arbeitsbedingungen zu verbessern und bessere Zuverdienstmöglichkeiten zu schaffen, sodass Bezieherinnen und Bezieher des Bürgergelds nicht 80 Prozent oder mehr jedes zusätzlich verdienten Euros durch gekürzte Leistungen wieder abgeben müssen. Hier lohnt sich zusätzliche Arbeit oftmals wirklich nicht.
      Das zweite Missverständnis beruht auf dem Glauben, ein stärkeres Fordern und mehr Sanktionen würden die Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld schneller in Arbeit bringen und somit zu geringeren Kosten führen. Auch hier zeigen wissenschaftliche Studien, dass eher das Gegenteil zutrifft. Besonders spannend sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse der Begleitstudie eines finnischen Experiments aus dem Jahr 2017: Die zweijährige Aussetzung der Sanktionen für Arbeitslose hatte laut Studienleiterin Minna Ylikännö positive Auswirkung auf Gesundheit und Selbstwertgefühl und keinen negativen Einfluss auf eine Arbeitsaufnahme. Dass diese Ergebnisse auf Deutschland übertragbar sind, zeigt eine Studie im Auftrag der Initiative Sanktionsfrei, die bestätigt, dass Sanktionen kontraproduktiv sind und eher zu einer geringeren Beschäftigung führen, weil sie Menschen psychologisch noch stärker unter Druck setzen und zu geringeren Bemühungen um Beschäftigung führen.
      Ein deprimierendes Menschenbild
      Auch ein größerer Druck, jeglichen Job anzunehmen, auch wenn er nicht den eigenen Qualifikationen oder Interessen entspricht, ist langfristig eher kontraproduktiv, da Menschen häufig nur kurz in solcher Beschäftigung bleiben und letztlich länger arbeitslos sind. Zudem nehmen sie häufiger schlecht bezahlte Beschäftigung auf, die sich auch langfristig negativ auf ihr Lebenseinkommen auswirkt. Deutlich besser ist eine stärkere Unterstützung bei der Qualifizierung, so wie dies auch im neuen Bürgergeld vorgesehen ist. Natürlich kann man sich über die Höhe des Schonvermögens streiten, aber dies scheint eher ein Alibi-Streitpunkt zu sein, bei dem es eigentlich um viel grundsätzlichere Differenzen geht.
      Beim dritten Streitpunkt geht es um die Frage von Gerechtigkeit. Kritikerinnen und Kritiker des Bürgergelds sehen dieses als eine leistungslose Zahlung und wollen es daher so gering wie möglich halten und die Hürden so hoch wie möglich setzen. Über Gerechtigkeit lässt sich schlecht streiten. Aber das Menschenbild dieser Kritikerinnen und Kritiker ist ein deprimierendes, da es davon ausgeht, dass Menschen eher faul sind und nur die Sprache von Sanktionen und kalten ökonomischen Anreizen verstehen. Einige in Politik und Medien suggerieren ein Bild, in dem die Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld Sozialleistungen missbrauchen, das Geld kassieren und nebenbei informell tätig sind und eigentlich gar keine formale Arbeit annehmen wollen.
      Die Mehrheit der Betroffenen will wieder arbeiten
      Diese Darstellung ist das wirkliche Problem in der gegenwärtigen Debatte, denn es vermittelt ein grundfalsches Bild. Tatsache ist, dass die übergroße Mehrheit der betroffenen Menschen sehr gerne wieder arbeiten möchte, weil sie dann nicht nur ein höheres Einkommen hätten, sondern vor allem soziale Teilhabe, Respekt und Anerkennung erfahren würden. Arbeit gäbe diesen Menschen die Möglichkeit, etwas Sinnstiftendes zu tun. Die allermeisten Menschen, die heute in Deutschland arbeitslos sind, haben entweder gesundheitliche Probleme oder ihnen fehlt eine ausreichende Qualifizierung. Keine noch so harten Sanktionen oder finanziellen Anreize machen Menschen wieder gesund oder geben ihnen eine Qualifizierung. Viele leistungsberechtigte Menschen vermeiden es, wenn möglich, auch, diese Sozialleistung überhaupt in Anspruch zu nehmen, wie eine DIW-Studie gezeigt hat. Ein wichtiger Grund dafür ist das negative Stigma, das dieser Leistung anhaftet und das durch die spalterische Debatte verstärkt wird.
      Wenn es wirklich um die oben genannten Ziele von Chancen und Befähigung und einer möglichst schnellen Rückkehr in sinnstiftende Arbeit geht, dann muss der Staat mehr und nicht weniger fördern und unterstützen. Das wird für die kommenden Jahre deutlich höhere Ausgaben für Bürgergeld, Qualifizierung und Re-Integration erfordern. Aber dies sind die besten Investitionen, die ein Staat tätigen kann, nämlich in seine Menschen und vor allem in die verletzlichsten Mitglieder der Gesellschaft.
      Das Bürgergeld ist eine wichtige und richtige Reform der Bundesregierung. Den einen geht sie nicht weit genug, sie fordern höhere Regelsätze und eine komplette Abschaffung der Sanktionen. Den anderen sind die Reformen und Leistungen zu großzügig, sie wünschen sich mehr Fordern und mehr Härte. Man kann und muss sich über die Ausgestaltung streiten. Problematisch ist, mit welcher Emotionalität und mit wie vielen falschen Behauptungen dieser Diskurs in Politik und Medien heute geführt wird. Dies erhöht lediglich die soziale Polarisierung in unserer Gesellschaft, stigmatisiert und geht zulasten der verletzlichsten Menschen unserer Gesellschaft."

      zeit.de/wirtschaft/2022-11/bue…eitsmarkt/komplettansicht
    • Populistische Tricks: Der konstruierte Zensurvorwurf

      22. Dezember 2021
      Im Repertoire der Strategien und Taktiken des Populismus ist der Vorwurf der Zensur generell ein probates Mittel, um inhaltlichen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Die vorgebliche Einschränkung der Meinungsfreiheit, eines unserer höchsten Güter in der Demokratie, liefert verlässliche Ablenkung vom eigentlichen Streitpunkt, sorgt für Schlagzeilen und mediale Präsenz und bietet eine Bühne für die eigene Darstellung. Nun braucht es in einer Demokratie, die sich auf ein Grundgesetz mit explizit ausgeschlossener politischer Zensur stützt, eigentlich schon handfeste, valide Beweise für so eine Behauptung, aber auch diese lassen sich oft ebenso leicht inszenieren, wie so eine Behauptung aufgestellt ist. Dieser Artikel ist daher einer in einer Reihe über solche Strategien, die gerne im Populismus angewendet werden.
      Es geht natürlich nicht darum, dass die gelieferten, vorgeblichen Beweise hieb- und stichfest sind, sie können in der Tat im Extremfall noch nicht mal etwas mit der eigentlichen Sache zu tun haben. Sie müssen nur “erzählbar” genug sein, also oberflächlich logisch sein und genau das aufzeigen, was von Menschen, die einem solchen Vorwurf Glauben schenken wollen, gerne gehört wird. Einem auch nur oberflächlichen Faktencheck halten sie keineswegs Stand, aber es wird von populistischer Seite eben davon ausgegangen, dass ein solcher in der Regel nicht stattfinden wird und “offiziellen” Faktencheckern sowieso nicht geglaubt wird, da sie ja angeblich Teil des Systems sind.
      Es ist also relativ leicht, einer Regierung, Institution oder sonstigen Einrichtung, die für Meinungspluralität steht, Zensur vorzuwerfen und sich damit gleichzeitig in einer Opferrolle zu inszenieren. Manchmal ergeben sich solche Narrative der Zensur oder bewusster Unterdrückung von Einfluss auch aus der Community, die solchen populistischen Strömungen folgt.

      Das Grundschema

      In der Regel folgt ein solcher Vorwurf folgendem Muster:
      • Es werden Behauptungen aufgestellt, Thesen geäußert, provoziert, bis eine zu erwartende Reaktion einer bestimmten Stelle eintritt (Distanzierung der Universität von den Forschungen, Widerruf von Einladungen, Kündigungen oder Auflösen von Verträgen)
      • Tritt die zu erwartende, vollkommen legitime Reaktion ein, wird sie öffentlichkeitswirksam als Zensur dargestellt
      • Die Gründe für die Reaktion werden verzerrt oder gänzlich falsch dargestellt
      Was übrig bleibt, ist auch Jahre später noch das Narrativ der Zensur, während die eigentlichen Details und Hintergründe aus den Köpfen der Menschen verschwunden sind.
      Davon abgesehen, dass die Meinungsfreiheit sowieso an dem Punkt endet, wo die Freiheit anderer Menschen beeinträchtigt wird oder der Inhalt der getätigten Äußerungen strafrechtlich relevant ist, hat die Reaktion hier noch nicht einmal inhaltlich etwas mit den getätigten Äußerungen zu tun.


      Ein paar Beispiele

      Die Bundespressekonferenz hat am 21.12.2021 verlauten lassen, dass Boris Reitschuster aus dem Verein ausgeschlossen wird. Der Bundespressekonferenz e.V. lädt – ein weltweit in dieser Form einmaliges Modell – die Politik zu regelmäßigen Pressekonferenzen. Voraussetzung einer Mitgliedschaft ist, dass man hauptberuflich aus Bonn oder Berlin in deutschen Medien über Bundespolitik berichtet. Da die Voraussetzungen wiederholt nicht erfüllt waren und Reitschuster sich auch auf Aufforderung nicht zu den Vorwürfen geäußert hat, wurde folgerichtig durch eine Abstimmung ein Ausschluss Reitschusters beschlossen. Konkret ging es um die Impressumsadresse, welche wiederholt auf Reitschusters Blog (dem einzigen Medium, für das er berichtet) einen Firmensitz in Montenegro anzeigte.
      In einer Darstellung auf Reitschusters Blog, die geschickt in einem Gastbeitrag auf seinem Blog unter dem Titel “Ausschließen, Ausgrenzen, Rauschmeißen” veröffentlicht wurde, liest sich der Vorwurf natürlich anders: Hier wurde Reitschuster von der Bundespressekonferenz “ausgeschaltet”, es ist von einem “Jubel der Linken” die Rede. Der Artikel liefert noch weitere großartige Beispiele von Framing, um diese Botschaft zu transportieren. Der eigentliche Grund, der fehlende Sitz in Deutschland, wird jedoch nicht erwähnt. Dieser ist zwar in einem weiteren Artikel, der eigenen Stellungnahme erwähnt, der Fokus liegt dort aber auch eher auf der angeblichen Ungerechtigkeit. Man werde notfalls vor Gericht ziehen (und bittet in diesem Zuge auch gleich um Spenden).
      Das Ergebnis ist ein Narrativ der Zensur gegenüber einem Journalisten, das sich auch weiterhin halten wird, egal wie oft Gegendarstellungen und Richtigstellungen veröffentlicht werden, und egal wie wenig dies mit der Realität zu tun hat.


      Interessanterweise wird in dem Gastartikel auf Reitschusters Blog auch gleich ein weiteres, sehr passendes Beispiel gebracht: Eine “wirkmächtige und unüberhörbare Stimme” eines Experten in der Pandemie sei ebenfalls “ausgeschaltet” worden. Konkret geht es um den Virologen Prof. Dr. Dr. Alexander Kekulé, dem die Direktion der Martin-Luther-Universität Halle eine “vorläufige Dienstenthebung” ausgesprochen hatte. Zu dem Zeitpunkt, an dem die Uni Halle für eine Stellungnahme noch nicht zu erreichen war und es nach ersten Presseberichten um eine Streitfrage bezüglich des Lehrdeputats, also der Verpflichtung, an der Universität zu unterrichten, ging, stand in dem Gastbeitrag auf Reitschusters Blog bereits fest, dass damit eine Expertenstimme ausgeschaltet werden sollte. Auch ein mittlerweile erschienener, weiterer Gastbeitrag bringt die “Entlassung” bereits im im Artikelteaser mit den Corona-Maßnahmen in Verbindung.
      Auch hier ist es eigentlich irrelevant, warum Kekulé beurlaubt wurde. Die Tatsache dass dem so ist, wurde sofort aufgegriffen und argumentativ als eine Art der Zensur dargestellt, die “Stimme” wurde “ausgeschaltet”. Dass die Entscheidung der Universität Kekulés Auftreten in Talkshows, seine Stellungnahmen und Interviews in Zeitungen und Medien, sein Podcast und sämtliche anderen öffentlichwirksamen Aktivitäten in keiner Weise beeinträchtigt, ist hier auch egal, bzw. wird vernachlässigt. Dass sich im Prinzip an seiner Präsenz und Wahrnehmung in der Öffentlichkeit nichts ändert, wird nicht erwähnt.

      Ein weiteres Beispiel eines ähnlich gelagerten Vorwurfs, bzw eine Begebenheit mit einem richterlichen Urteil als Begründung ist der Fall der sogenannten “Hockeyschlägerkurve” des Klimawissenschaftlers Michael Mann. Diese Kurve, die die Temperatur im Verlauf der Erdgeschichte zeigt und in der ein starkes Ansteigen in der jüngeren Zeit erkennen lässt, war seit ihrer ersten Veröffentlichung um die Jahrtausendwende Gegenstand populistischer Kritik von klimawandelleugnender Seite. Eine in verschwörungsideologischen Kreisen gängige Argumentation ist, dass ein kanadisches Gericht die Veröffentlichung der Kurve verboten habe, so zu lesen auch in vielen deutschsprachigen, populistischen Blogs (wie z.B. Tichys Einblick: “Gericht urteilt gegen den Schöpfer des Klimawandel-Hockeyschlägers”). Es wird allgemein das Bild gezeichnet, dass Prof. Mann ein Betrüger sei, dem erst ein Gericht das Handwerk legen konnte. Es wird zwar hier nicht von Zensur gesprochen, da hier die staatlichen Institutionen, das Gericht, ja positiv entschieden haben, aber das zugrundeliegende Prinzip ist gleich: Es wird eine Begründung für ein Ereignis konstruiert, die mit der Realität wenig bis nichts zu tun hat, und das Gesamtbild dann entsprechend verkauft.



      Die wahre Geschichte dahinter ist nämlich, dass es in dem Gerichtsverfahren überhaupt nicht um diese Temperaturkurve ging. Es handelte sich um eine Verleumdungsklage, die vom Gericht im Hinblick auf den schlechten Gesundheitszustand des Klägers, dem Kreationisten Tim Ball und die bisherige sowie die noch zu erwartende Verzögerung, abgewiesen wurde. Es existiert noch nicht einmal ein Urteil. Das Narrativ vom Klimaforscher, der durch ein Gericht widerlegt wurde, existiert jedoch seitdem als beispielhaftes Argument in den entsprechenden verschwörungsideologischen Kreisen.

      Natürlich interessiert die Menschen, die diese Zensur-Narrative glauben wollen nicht, was wirklich dahintersteckt. Damit konfrontiert, werden diese Widersprüche in der Regel geleugnet oder gewollter Propaganda zugerechnet. Wer diese Geschichten glauben will, wird das auch weiterhintun, ungeachtet sämtlicher Faktenchecks.
      Wichtig ist aber, dass wir als Gesellschaft um die Tricks und Kniffe des Populismus wissen. Dass wir erkennen, wenn sie angewendet werden, und das wir diese auch als solche benennen. Der “Werkzeugkasten der populistischen Rhetorik” ist leider sehr gut ausgestattet, und wie man oft an Kommentaren in den sozialen Medien erkennen kann, sind diese Werkzeuge auch sehr wirksam. Wenn wir sie aber kennen, sind sie leicht zu enttarnen.

      ( der goldene aluhut dergoldenealuhut.de/populistis…nstruierte-zensurvorwurf/ )


    • Ex-Schach-Weltmeister wittert "dreckige PR-Kampagne"


      In der Schach-Szene geht es seit knapp drei Wochen mal wieder drunter und drüber. Mit Vladimir Kramnik und Hikaru Nakamura sind zwei der ganz großen Namen des Sports öffentlich aneinander geraten. Darüber, was
      genau gesagt und gemeint wurde, gibt es unterschiedliche Auffassungen. Über den Gewinner der Auseinandersetzung nicht.

      Vladimir Kramnik hat die Nase gestrichen voll. Von der "sehr dreckigen PR-Kampagne", die gegen ihn gefahren wird, wie der frühere Weltmeister am Wochenende in einem auf Youtube veröffentlichten Video erklärte. Die
      Anschuldigungen gegen seine Person seien "komplett falsch". Für jeden, der das Gegenteil behaupte, werde es "definitiv rechtliche Konsequenzen geben", kündigte der 48-jährige Russe an.

      Was er damit meint: Jeder, der behauptet, Kramnik habe US-Großmeister Hikaru Nakamura des Betrugs beschuldigt, solle besser zurückrudern, etwaige Artikel oder Videos offline nehmen - oder müsse eben den Preis bezahlen.

      Mit dieser Drohung versucht der russische Großmeister eine Lawine zu stoppen, die er selbst ausgelöst hat.


      Kramnik postet "interessante" Nakamura-Statistiken
      Los ging alles am 20. November mit einem Blog-Beitrag des Russen auf "chess.com". Dort postete er eine Statistik von einem Spieler, der im Rahmen einer Online-Session gegen spielstarke Gegner 45,5 von 46 möglichen Punkten holte. "Ich glaube, das findet jeder interessant", schrieb er und suggerierte, dort könnte womöglich nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein.

      Schnell war klar, dass es sich um eine Session von Hikaru Nakamura handelte. Dieser macht den Vorfall umgehend publik und verriet, dass ihn Kramnik in der Vergangenheit hinter vorgehaltener Hand des Betrugs verdächtigte. Die möglichen Betrugsvorwürfe, die Kramnik so gar nicht getätigt haben will, aber von allen so aufgefasst wurden, lächelte der äußerst populäre US-Großmeister in vielen seiner Videos und Streamsweg.

      Kramnik ließ sich jedoch nicht von seinem Weg abbringen. In einem weiteren Blog-Beitrag erklärte er, er habe mehrere Performances von Nakamura mit geringer Wahrscheinlichkeit entdeckt. "Einige hatten EXTREM niedrige mathematische Wahrscheinlichkeiten, laut Mathematikern von unter einem Prozent." Dies nicht zu untersuchen, sei "eine Beleidigung" für alle anderen Schachspieler. Zwar gebe es mehrere Erklärungen für Nakamuras Ergebnisse, "am unwahrscheinlichsten ist aber die, dass alle Beteiligten 'sauber' waren", schrieb Kramnik, der selbst in diesen Worten keinen Betrugsvorwurf erkennt.


      Nakamura antwortete auf seine Weise. Am 24. November spielte er eine Schnellschach-Session, in der er 43 Partien in Folge gewann. Vor laufenden Kameras und Zehntausenden Zuschauern. Damit widerlegte er in Echtzeit Kramniks These von den nahezu unmöglichen Wahrscheinlichkeiten. Jeder mit einem Internet-Anschluss konnte live zusehen. Eine digitale Ohrfeige für den Russen.

      Auch "chess.com" stellte eine Untersuchung an und teilte mit: "Was die Vorwürfe von Vladimir Kramnik gegen Hikaru Nakamura angeht, haben wir knapp 2000 Analysen von Hikarus Partien mit unserem FairPlay-System
      vorgenommen und keine Hinweise auf Betrug gefunden." Kramnik verlangte vom Unternehmen, den Satz innerhalb von 24 Stunden zu streichen, da er laut eigener Aussage nie Vorwürfe erhoben habe. Der Artikel ist bisheute unverändert online.


      Wie Nakamuras Serien zustande kommen
      Während der Zoff in den letzten Tagen weiter eskalierte und vor allem Kramnik darum bemüht ist, sich zu rechtfertigen, blendet der 48-Jährige die Gründe für Nakamuras zahlreiche Siegesserien weiter aus. Dabei ist die Erklärung denkbar einfach.

      Nakamura hat sich mit dem Live-Streaming seiner Partien ein kleines Imperium aufgebaut. Um regelmäßig Content zu produzieren, sucht er sich bewusst schwächere Gegner aus, um seinen Zuschauern während der Partien
      deren Fehler aufzuzeigen. Keine Amateure, aber eben auch keine Spieler aus der absoluten Weltspitze. Das ist abwechslungsreich und unterhaltsamer als Partien zwischen zwei gleichstarken Großmeistern, die sich kaum Fehler leisten und soweit voraus denken, dass kein normaler Hobbyspieler folgen kann.

      Dazu verfügt Nakamura ohnehin über herausragende Fähigkeiten im Schnellschach. Nicht wenige bezeichnen ihn in dieser Disziplin als besten Spieler der Welt. Das wiederum führt dazu, dass andere Spieler Fehler gegen ihn machen. Etwas, wovon unter anderem auch Magnus Carlsen in seiner Karriere immer wieder profitierte.

      Vladimir Kramnik will oder kann das nicht erkennen. Für ihn sind und bleiben die Ergebnisse Nakamuras untersuchungswürdig. Eine oberflächliche Untersuchung wie die von "chess.com" angestellte reicht ihm nicht. Er will der Sache weiter auf der Grund gehen - auch, wenn da offensichtlich gar nichts ist. Gewinnen wird er diese Partie aber ganz sicher nicht mehr.

      Hier der Originalartikel: sport.de/news/ne6049568/schach…agne-und-droht-mit-klage/








      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Interview mit Jörg Schulz zum Thema Prävention sexualisierter Gewalt


      Liebe Schachfreundinnen, liebe Schachfreunde,
      mit diesem Interview beende ich für mich dieses nicht erfreuliche, aber wichtige Thema, (außer es kommen Neuigkeiten) und wünsche allen Leserinnen und Lesern offene Augen, aber keinerlei Hysterie.
      Jörg Schulz ist auf dem Thema ein Experte. Er ist vielleicht nicht immer ein einfacher Mensch, dafür ist er extrem konsequent (was auch was hat), ein absoluter Humanist, ich halte seine Gedanken oftmals für wunderbar. Er gehört zu den Leuten, die ich öfters um Rat frage. Es wäre ein riesiger Fehler, nicht von seiner jahrzehnelangen Erfahrung zu profitieren.

      Hallo Jörg, bitte stelle dich vor!
      Moin Walter, ich bin seit den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts in der Deutschen Schachjugend als Vorsitzender und Geschäftsführer tätig gewesen. Jetzt bin ich noch als Beauftragter für Ausbildung aktiv und als Vorsitzender der Deutschen Schulschachstiftung. Der Staat sagt, ich bin Rentner, von Ruhestand ist allerdings noch keine Rede.
      Du hast jahrzehntelang viele schöne, aber auch nicht so schöne Dinge im Schach erlebt. Gibt es sexuellen Missbrauch im Schach?



      Ja, es gab viele, sehr viele wunderschöne Erlebnisse in der Kinder- und Jugendarbeit. Aber, das lässt sich wohl nicht verhindern, auch einige weniger schöne.


      Natürlich kommt es auch im Schachsport zu sexuellem Missbrauch, auch wenn wir im Schachsport dazu neigen, alles zu ignorieren, was im Sport, in der Gesellschaft vorkommt. Ob es sich nun um Betrug und Unfairness handelt, ob um Doping im Schach und im Sport, oder eben um den komplexen Bereich sexueller Missbrauch im Sport. Viele glauben immer noch, wir sind der bessere Sport. Dabei stehen wir doch mitten in der Gesellschaft und sind nichts Besonderes!

      Wo lauern denn die Gefahren beim sexuellen Missbrauch im Schach?
      Es geht dabei um Macht, darum Abhängigkeiten zu schaffen. Im Schach, im Sport, in der Schule, Kirche, überall wo es Jugendgruppen gibt. Die späteren Täter:innen verfolgen eine bestimmte Strategie. Sie machen sich in der Gruppe, hier im Schachverein, unverzichtbar. Sie sind der gute Geist im Verein, sie schaffen zu sich Vertrauen im Verein. Sie schaffen sich geschützte Räume für ihre Taten. Im Schach ist es zum Beispiel der Raum Einzeltraining. Man bietet einzelnen Kindern und Jugendlichen an, sie noch intensiver zu fördern, da sie so talentiert sind. Das geschieht zuerst in den Familien der Kinder, Jugendlichen. Zuerst noch unter Aufsicht, dann, da man ja Vertrauen in den Trainer, die Trainerin setzt, ohne Aufsicht. Der nächste Schritt ist dann das Training in der Wohnung des Trainers. Das sei ja viel praktischer für alle, wird den Familien suggeriert. Und wie zufällig liegt dann da offen ein Pornoheft rum, läuft ein Video auf dem Laptop, wird das Kind, der Jugendliche in Gespräche verwickelt. „Hast du schon mal …, komm lass uns doch mal …“. Danach wird dann aus den beiden eine verschworene Gemeinschaft. „Das bleibt jetzt aber unter uns, das muss keiner wissen, das ist unser beider Geheimnis.“ Das Opfer schweigt, will den Trainer nicht verlieren, er fördert ihn ja, er nominiert im Verein, stellt die Mannschaften auf.


      Die Strategien der Täter:inen sind bekannt, nachgewiesen. Und ja an mich sind verschiedenste Fälle von sexualisiertem Missbrauch im Schach herangetragen worden, mit denen wir uns beschäftigen mussten, wo wir Trainer:innen sperren mussten, in denen es auch zur Anklage kam, zu Verurteilungen. Genau nach dem beschriebenen Muster, oft beim Einzeltraining.

      Wobei der sexuelle Missbrauch ein komplexer Bereich ist. Es geht nicht immer um die harten Fälle, es fängt oft im Kleinen an. Wir mussten uns mit Trainer:innen beschäftigen, wobei es meist Trainer waren, die sich bei Meisterschaften Jugendlichen genähert haben, sie bedrängt haben, oft durch schriftliche Nachrichten über die sozialen Medien. Und dabei das Nein der Jugendlichen nicht akzeptiert haben. Es geht aber auch um herablassende Redewendungen gegenüber Jungen und Mädchen, wobei oft nicht bedacht wird, wie das bei den Betroffenen ankommt, was es bei ihnen auslösen kann.
      Es geht um Missbrauch unter Jugendlichen, wobei es dabei auch um Macht geht. Schwächere Jugendliche werden genötigt sich vor anderen auszuziehen, sich zu entblößen, werden dabei gefilmt. Auch mit solchen Fällen mussten wir uns beschäftigen und aktiv werden.

      Wie reagieren Vereine und Verbände auf solche Fälle?
      Leider oft durch Wegschauen, durch ignorieren. Opfer von sexuellem Missbrauch tragen das mit sich herum, öffnen sich selten oder nur sehr spät Dritten gegenüber. Und das Schlimmste, was ihnen dann passieren kann, sozusagen die zweite Tat nach der ersten, ist dann auf Misstrauen und Ablehnung zu stoßen. Hier greift dann die beschriebene Strategie der Täter:innen. „Er, sie ist doch ein solch guter Trainer, gute Trainerin, das kann gar nicht sein.“ „Wenn wir den, sie verlieren, dann bricht doch bei uns im Verein alles zusammen.“ Es gibt viele nachgewiesene Fälle, wo am Ende das Opfer den Verein verlassen musste und nicht der Täter. Eben die zweite Tat, die fast noch schlimmer ist als die erste!

      Die Taten werden oft nicht ernst genommen, die Komplexität nicht erkannt. In dem beschriebenen Fall des Missbrauchs unter Jugendlichen, versuchten Eltern zu relativieren. „Mein Sohn hat ja nur die Kamera gehalten, der andere war doch der eigentliche Täter.“ Aber es gibt eben auch die Eltern, die sofort reagieren, mit ihren Söhnen, Töchtern nach Gründen suchen, die Tat aufarbeiten, zur Therapie gehen.
      Genauso kann man sagen, es hat sich in den letzten Jahren auch in den Verbänden und Vereinen einiges getan. Es gibt Vereine mit eigenen Schutzkonzepten, Ansprechpersonen, die sich professionellen Rat holen.
      Aber zur Wahrheit gehört auch, der Schachsport steht bei der Prävention gegenüber sexuellem Missbrauch noch am Anfang seiner Arbeit. Das Thema ist noch nicht in allen Köpfen der Handelnden angekommen.


      Wie kann ich als Übungsleiter:in erkennen, dass es zum sexuellen Missbrauch gekommen sein kann?
      Das ist nicht leicht und erfordert genaues Hinschauen. Opfer tragen den Kampf nach dem Missbrauch meistens mit sich aus, schämen sich, suchen oft sogar die Schuld bei sich. „Welche Signale habe ich gegeben, dass es dazu kommen konnte?“ Sie reagieren aber trotzdem erkennbar. Aktive, offene Jugendliche werden plötzlich verschlossen, ziehen sich zurück, verlieren ihr Interesse am Training, an ihrer Sportart, an der Gruppe. Andere werden aggressiv, aufsässig. Dies veränderte Verhalten mag verschiedene Gründe haben, muss nichts mit einem Missbrauch zu tun haben, aber man muss als Verein darauf eingehen, darf den Gedanken nicht wegschieben, dass die Gründe für das veränderte Verhalten eben auch sexueller Missbrauch sein kann.

      Welchen Rat gibst du, wenn Personen so etwas auffällt?
      Kein schneller Aktionismus. Damit kann man viel kaputtmachen. Eine Vertrauensperson im Verein finden, die das Gespräch sucht mit den Jugendlichen, auch mit den Eltern. Und vor allem sich professionelle Hilfe holen. Es gibt viele Organisationen, Vereine, die darauf spezialisiert sind zu beraten, Hilfe zu geben. Es ist kein Zeichen von Schwäche, sich an sie zu wenden, sondern ein Zeichen von Stärke. Auf der Seite der Deutschen Schachjugend findet man dazu Hinweise und Kontaktdaten:

      Wichtig aber vor allem ist, mit offenen Augen im Verein aktiv sein. Und Anzeichen nicht ignorieren, sondern ernst nehmen. Nicht zum zweiten Täter werden.
      Und wenn sich herausstellt, dass es zu einem sexuellen Missbrauch gekommen ist, sich schützend vor das Opfer stellen und nicht den Täter schützen. Nichts gegen den Willen des Opfers unternehmen. Das Opfer entscheidet über das weitere Handeln.

      Und als Verantwortlicher im Verein auch im Auge behalten, wer sind die Übungsleiter:innen, welche Ausbildung haben sie, welche Motivation haben sie, wie verhalten sie sich? Sie sind das Kernstück der Vereinsarbeit, daher muss da auch hingeschaut werden.
      deutsche-schachjugend.de/dsj-i…rantwortung/kinderschutz/

      Welche Stellen sind beim DSB und bei der DSJ hierfür zuständig?
      Beide Organisationen haben eine offizielle Beauftragte für Prävention. Beim DSB ist es Astrid Hohl (praevention@schachbund.de oder 030 / 3000 78 50). Bei der DSJ ist es Victoria Hauk (psg@deutsche-schachjugend.de). Auf der schon genannten Internetseite der DSJ findet man weitreichende Informationen zum Thema. Beim DSB ist es die Seite schachbund.de/safe-sport.html
      Was ist dein Wunsch für die Zukunft?



      Es ist nicht ein Wunsch, es sind viele Wünsche.
      Der Hauptwunsch ist,
      • Leute nehmt das Thema ernst, egal auf welcher Ebene ihr aktiv seid.
      Weitere Wünsche sind zum Beispiel:
      • Zum Thema Prävention muss flächendeckend ausgebildet werden. In die C-Trainerausbildung muss das Thema mit einem vernünftigen Stundenkontingent aufgenommen werden. Denn man muss Trainer:innen auch zeigen, wie sie sich schützen können.
      • Auf allen Ebenen muss es Ansprechpersonen geben, die sich in die Thematik eingearbeitet haben und auf ihren Ebenen Einfluss haben, ernst genommen werden.
      • In den Vereinen, vor allem mit Jugendarbeit, muss es ein Schutzkonzept geben, dass vom Vorstand zusammen mit den Übungsleiter:innen erarbeitet wird. Diesem haben sich alle zu unterwerfen ob mit einem Ehrenkodex oder einem Führungszeugnis.
      • Auf Meisterschaften, größeren Veranstaltungen muss es Ansprechpersonen geben und deren Kontaktdaten sichtbar veröffentlicht werden.
      Und zum Schluss noch einmal:

      originalartikel: chess-international.com/?p=84748
      Schützt und helft den Opfern sexualisierter Gewalt und schützt nicht die Täter:innen!
      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Sprachverbote: So nehmen dir Gender-Gegner deine Freiheit weg!

      von FlorenceTrübiger | Aug 2, 2023 | Analyse

      Schon komisch, dass genau die Leute, die so dafür sind, die„Freiheit der Sprache“ zu wahren, Verbote durchsetzen, die genau diese Freiheit einschränken, oder? In Sachsen beispielsweise darf man in Verwaltungen oder in einer Schulklausur keine Satzzeichen mehr zum Gendern verwenden, um die eigene Sprache inklusiver zu gestalten. Völlig egal, ob man Gendern gut findet oder nicht – wer ständig von der „Freiheit“ spricht, sollte nicht Verbote fordern, oder? Genau das ist aber bei den meisten Gender-Gegner:innen der Fall.

      Wo soll dieser ganze „Nicht-Gender-Zwang“ noch hinführen? Wir zeigen auf, dass es nirgendwo einen Genderzwang gibt – dafür aber jede Menge Genderverbote. Hier soll nicht das Gendern verteidigt werden – lass es, wenn du es nicht willst. Hier soll die Freiheit verteidigt werden, es zu tun oder zu lassen. Die wahre Verbotsdiktatur kommt von Rechts unter dem Deckmantel der geheuchelten Freiheit.

      Niemand wird zum Gendern gezwungen, verboten wird es aber

      Um es einmal ganz zu Beginn klarzustellen: Zurzeit gibt es weder auf Bundes- noch auf Landesebene irgendwelche Gesetze oder Verordnungen zur Gender-Pflicht. Das bedeutet im Klartext, dass niemand zum Gendern gezwungen wird oder gezwungen werden kann. …..

      Lediglich in zwei Bundesländern wird Gendern von offizieller Seite befürwortet und eine einheitliche Schreibweise vorgeschlagen, die man freiwillig nutzen kann, wenn man es möchte...

      Es wird also wieder deutlich: Alles kann, nichts muss. Freiheit eben.
      Zur Freiheit gehört eben auch, dass man toleriert, dass andere etwas tun, was man nicht mag. Sonst ist man eben nicht für die Freiheit, sondern nur für Freiheit für einen selbst – also Verbote für andere. Niemand wird zum Gendern gezwungen. Das ist schließlich weder der Sinn des Genderns noch die Intention der Gender-Befürworter:innen. Anders sieht es bei den Gegner:innen aus. Die wollen sehr wohl andere zu etwas zwingen, nämlich mit dem Gendern aufzuhören. Damit tun sie genau das, wovor sie selbst ständig warnen: Andere in ihrer Freiheit, zu Sprechen einschränken....

      Wo ist Gendern verboten?

      Obwohl es, wie bereits erwähnt, keine Gesetze zur Gender-Pflichtgibt, gibt es durchaus Bundesländer, in denen das Gendern per Erlass oder Verordnung verboten wurde. Ach herrje, das klingt ja nach einer richtigen Sprach-Diktatur! Ich will mir doch nicht von jemandem sagen lassen, wie ich zu reden habe? … Na, fällt was auf?
      Richtig: Genau die, die sich immer darüber beklagen, sie würden in einer „Gender-Diktatur“ leben und ihnen würde der Mund verboten werden, tun jetzt genau dasselbe: Sie verbieten Menschen, die Gendern möchten, den Mund!…...

      Wo wir also gerade schon beim Thema waren, wird es nun Zeit, mal über die rechtsextreme Verbotspartei AfD zu sprechen. Die spielt nämlich eine große Rolle, wenn es darum geht, wer Gendern zu einem gesellschaftlich so präsenten Thema gemacht hat. Das allgemeine Narrativ scheint ja zu sein, dass die bösen Linken nur noch übers Gendern reden und keine anderen Themen mehr hätten. Aber wer bringt das Thema wirklich ständig auf den Tisch? Journalist:innen des Tagesspiegels haben sich für die Beantwortung dieser Frage anlässlich der Bundestagswahl 2021 alle Tweets von deutschen Politiker:innen seit 2017 angeschaut. Überprüft wurde, wie oft das Wort „Gender“ in den jeweiligen Tweets vorkam. Und das Ergebnis könnte einige überraschen:

      „Im Vergleich der Tweets aller Parteien nutzen also nicht etwa die frauenpolitischen Sprecher*innen von Linken, SPD und Grünen das Wort„Gender“ besonders häufig, sondern erklärte Gegner*innen des Konzepts.“

      Und das sind hauptsächlich AfD-Politiker:innen, aber auch Mitglieder der CDU. Tabellenführer ist dabei der Bundestagsabgeordnete Marc Jongen von der AfD. Er benutzte im Zeitraum 2017-2021 in 5 % seiner insgesamt 234 Tweets das Wort„Gendern“. Bei Platz 2,4 und 5 handelt es sich ebenfalls um AfDPolitiker:innen. Platz 3 wird von Jana Schimke (CDU) belegt. Erst auf Platz 6 kommt jemand von den Grünen: Nur 2,5 % aller Tweets von Ulle Schauws beinhalteten in 4 Jahren das Wort Gender.…..

      Es sind nicht die Grünen, es ist die AfD, die über nichts anderes redet und dir verbieten will, wie du zu sprechen hast.

      Was übrigens auch sehr spannend ist: Am häufigsten folgte auf das Wort „Gender“ in den AfD Posts das Wort „gaga“, am zweithäufigsten „wahn“. Bei Grüne und Linke wurde „Gender“ am häufigsten im Zusammenhang mit „paygap“ verwendet. Auch daran sieht man wieder: Die Rechten nutzen die Thematik, um noch mehr negative Stimmung zu verbreiten. Grüne und Linke hingegen sprechen gar nicht über das Gendern, sondern über Geschlechtsunterschiede bei der Bezahlung. Und genau diese unterschiedliche Verwendung des Begriffs mache die Diskussion um Gender so schwierig, halten die Autor:innen des Tagesspiegel-Artikels fest.….

      Klar, du musst Gendern nicht mögen, du kannst es ungeschickt, unangenehm finden. Ist völlig in Ordnung, einige unserer Autor:innen Gendern auch nicht deswegen. Du kannst auch der Meinung sein, dass es nun mal nicht der deutschen Rechtschreibung entspricht. Klar. Aber es ist ja auch nicht verboten, wenn jemand grammatikalisch falsch spricht oder schreibt. Warum wird es dann verboten, wenn es jemand absichtlich tut, um inklusiv zu sein? Du kannst all das Denken –für Sprechverbote zu sein ist aber noch einmal was anderes. Echte Freiheit bedeutet, auch zu tolerieren, dass andere etwas machen, wasdu selbst nicht gut findest. ..

      „Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, wenn Zwickauer Lokalpolitiker mit breitestem sächsischen Akzent erklären, man müsse „einen Sprachfehler haben, um das ordentlich aussprechen zu können“, oder meinen, „der Sprecher brauche einen Logopäden“.“

      Der Gedanke dahinter ist: Warum wird so sehr auf dem Gendern herumgehackt, wenn wir doch eh alle unterschiedlich sprechen und unterschiedliche Sprachgewohnheiten haben? Redewendungen, die in Norddeutschland alle verstehen, werden in Süddeutschland komisch beäugt und machen keinen Sinn. ..

      Und auch das Wort „Sprachverbot“ ist im Zusammenhang mit Gendern – so wie Markus Söder es indiesem Tweet nutzte – ziemlich sinnfrei: Indem man gendert, nimmt man niemandem etwas weg, nein, man gibt wortwörtlich etwas dazu. Es wird schließlich bewusst mehr gesagt als eigentlich nötig. Wie man das als Verbot oder Einschränkungverstehen kann, ist mir wirklich schleierhaft. Bist du für dieFreiheit? Dann steh zu deinen Worten und lass sie auch anderen. Gendern musst du nicht gut finden dafür.

      Gendern ist Freiheit
      Durch das ständige Aufbringen des angeblichen „Gender-Zwangs“ – den es nicht gibt, wie dieser Artikel mehr als deutlich gemacht hat – hat sich der gesellschaftliche Blick auf die Thematikverändert. Zu viele Menschen wurden von rechter Propaganda beeinflusst zu glauben, Gendern sei eine Gefahr und eine Einschränkung der sprachlichen Freiheit.
      Dabei ist es offensichtlich genau andersherum: Es gibt in immer mehr Bundesländern Verbote zum Gendern.
      Rechte machen stets Angst vor erfundenen Verboten, um ihre eigenen Verbote durchzubringen. Rechte bedrohen deine Freiheit. Sie lügen dich an. Fall nicht darauf herein.
      Schüler:innen, die gendern, bekommen schlechte Noten, nur weil sie sich inklusiv verhalten wollen. Lehrer:innen müssen mit Abmahnungen rechnen, wenn sie in Unterrichtsmaterialien gendern.Nicht binäre Personen werden sprachlich ausgeschlossen, weil öffentliche Einrichtungen sie nicht mehr schriftlich einbeziehen. Über diese Einschränkungen wird öffentlich natürlich nicht so häufig gesprochen. Klar, würde ja auch das rechte Narrativ zerstören, wenn Menschen verstehen, dass es keinen Gender-Zwang, sondern sogar einen Anti-Gender-Zwang gibt.
      Dabei sagt sogar die Wissenschaft sagt, dass Gendern ein Ausdruck sprachlicher Freiheit ist. Deswegen: Gendert bitte munter weiter, wenn ihr das möchtet. Oder lasst es halt. Lasst euch nicht von denen den Mund verbieten, die die Wahrheit verdrehen.


      volksverpetzer.de/analyse/gender-verbot-gegen-freiheit/

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    • «Der freie Wille – ich wüsste nicht, was das sein soll»: Hossenfelder sorgt in ihren Beiträgen immer wieder für Ernüchterung. - Teil 1 -

      Frau Hossenfelder, dass die Physik interessante Antworten auf grundlegende Fragen bietet – wie zum Beispiel «Ist die Realität nur eine Illusion?» oder «Existiert Zeit wirklich?» –, sind die meisten nicht gewohnt. Und es passiert ja selten, dass jemand das verständlich erklärt. Sie jedoch stürzen Ihre Zuschauer in Sinnkrisen, wie man das eher von Theologen oder Philosophen erwartet. Wie machen Sie das?


      Es gibt ja sehr viele populärwissenschaftliche Ansätze, die alles ein bisschen beschönigen, was wir über die Welt wissen. Ich bringe das alles nüchterner rüber, und das finden manche Leute offenbar verstörend. Ich habe ab und zu als Reaktion auf meine Bücher oder Videos sehr traurige Leserbriefe bekommen. Gerade wenn es in meinen Büchern oder Videos um Fragen geht, wie das Universum begann oder ob wir einen freien Willen haben. Ich beschränke mich dann auf die Sachen, die wir wirklich wissen. Das ist für manche Menschen ernüchternd, deshalb gebe ich inzwischen eine Vorwarnung: Bei mir wird nicht herumgeschwafelt.

      Und? Gibt es einen freien Willen?


      Selbst von der philosophischen Seite her ist das ja eine schwierige Fragestellung, denn wie soll man das überhaupt definieren? Deshalb gehe ich das so an: Es gibt die Naturgesetze. Und die Naturgesetze sind teilweise deterministisch. Sie sagen: Die Zukunft folgt aus der Vergangenheit, Ihre heutigen Handlungen ergeben sich aus dem Universum von gestern, das sich wiederum aus dem Zustand des Universums von vorvorgestern ergibt, und so weiter, bis zurück zum Beginn des Universums. Dann gibt es noch die Quantenmechanik, die noch ein Zufallselement mit hineinbringt. Der freie Wille – ich wüsste nicht, was das sein soll und wo der da noch hineinpassen könnte.

      Also war unser Gespräch, das gerade stattfindet, vorherbestimmt seit dem Urknall?


      Auf grundsätzlicher Ebene, ja. Inwieweit gelegentliche Quantensprünge das menschliche Gehirn beeinflussen, darüber streiten sich Wissenschafter allerdings.

      Sie sprechen von Quanten und forschen zur Quantenmechanik. Was ist das überhaupt?



      Die Quantenmechanik ist die Theorie, mit der wir das Verhalten aller Teilchen im Universum beschreiben. Also das, woraus alles ist, auch Sie und ich oder das Licht, das aus Teilchen mit dem Namen Photonen besteht. Und das beschreiben wir mit einem mathematischen Objekt, das sich Wellenfunktion nennt. Damit können wir die Wahrscheinlichkeit berechnen, dass wir etwas Bestimmtes beobachten werden.

      Alles im Universum, Würmer, Steine, Menschen, besteht aus lauter kleinen Teilchen, deren Verhalten man berechnen kann. Sie sagen, wir seien zusammengesetzte Objekte.

      Nach allem, was wir wissen, ist das Ganze tatsächlich nur die Summe seiner Teile. Das, was grosse Objekte tun, ist lediglich eine Konsequenz dessen, was viele unserer kleinen Bestandteile miteinander tun. Sie und Ihr Verhalten werden vom Verhalten all Ihrer subatomaren Teilchen bestimmt, aus denen Sie bestehen. Allein im Gehirn sind es unvorstellbare tausend Mal eine Billion Mal eine Billion Atome.

      Laut Ihnen ist wirklich alles rein materieller Natur. Liebe, Träume, Erinnerungen – alles elektrische Impulse. Das mag schon etwas verstören in Zeiten von Achtsamkeit und Selbstliebe. Und Sie verärgern auch noch mit der Aussage, es gebe gar kein Jetzt. Dabei sollen wir doch waldbadend im Hier und Jetzt leben, so der Zeitgeist.



      Es gibt natürlich dieses Empfinden vom Jetzt, das wir alle haben. Aber das ist ein psychologischer Effekt. In den fundamentalen Theorien gibt es dieses Jetzt nicht, zum Beispiel in Einsteins spezieller Relativitätstheorie. Denn man kann mathematisch nur ein Jetzt für einen einzelnen Beobachter definieren, nicht aber für mehrere. Jeder hat ein eigenes Jetzt. Deshalb geht man davon aus, dass das keine fundamentale Bedeutung im Universum hat. Daraus folgt, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Universum gleichzeitig existieren. Aber das hat auch Einstein sehr belastet – weil es unserer Wahrnehmung sehr widerspricht –, und er hat viel mit anderen Forschern darüber diskutiert. Bis heute haben wir keine bessere Lösung für die Beschreibung des Universums in diesem Bereich.

      Wenn man Ihnen zuhört, fällt auf: Die Wissenschaft weiss gar nicht besonders viel über das Universum.


      Das stimmt, und es ärgert mich manchmal, dass etwas anderes suggeriert und kommuniziert wird. Selbst Einstein sagte: «Gott würfelt nicht», und er meinte damit einen bestimmten Messprozess in der Quantenmechanik. Dieser war damals State of the Art in der Wissenschaft, aber Einstein wusste selbst, dass diese Beobachtung – hier als Würfeln bezeichnet – nicht das ist, was wirklich passiert, sondern dass wir in Wahrheit einfach noch keine Ahnung haben.


      Ich dachte auch immer, es sei Stand der Wissenschaft, dass das Universum aus dem Urknall heraus entstanden sei. Doch in Wirklichkeit sei das eine völlig unbewiesene Theorie unter vielen, sagen Sie.


      Ja, viele Physiker haben sich eine Vielzahl von Urknall-Theorien ausgedacht, in ganz vielen Varianten. Jeder bastelt sich da so sein Ding zusammen, da ist es auch ganz egal, was man beobachtet oder was es für Daten gibt. Es gibt viele schöne Theorien, die im Grossen und Ganzen zu den Beobachtungen passen und die sich schwer widerlegen lassen. Ob es dann wirklich der Big Bang ist oder ein Big Bounce, ein Schwarzes Loch oder das sogenannte zyklische Universum – diese Theorien haben einen Unterhaltungswert, und man kann sie auch sehr gut in sogenannten wissenschaftlichen Journalen veröffentlichen. Ein Unterhaltungswert ist auch ein Wert, das sehe ich ein – auch wenn Sie jetzt die Augenbrauen hochziehen. Ich habe allerdings dann ein Problem, wenn man das als Wissenschaft verkauft. Denn eigentlich ist so etwas eher eine Philosophie, oder es grenzt schon fast an eine Art Religion.

      In Ihrem Buch «Das hässliche Universum» kritisieren Sie aus diesen Gründen die zeitgenössische Teilchenphysik, wie sie etwa am Cern in Genf betrieben wird, aber auch die Kosmologie. Was läuft falsch?


      Es geht mir vor allen Dingen um die Frage, wieso wir so viele Theorien und Hypothesen haben, die falsch sind. Wenn Sie sich angucken, was alles berechnet und vorhergesagt wurde: Das Higgs-Teilchen wurde in den 1960er Jahren von Herrn Higgs vorhergesagt, das hat gestimmt. Aber seit den 1980er Jahren: Protonenzerfall, supersymmetrische Teilchen, Extra-Dimensionen, Teilchen der Dunklen Materie, das hat man alles nie erhärten können. Zehntausende wissenschaftliche Papers sind dazu entstanden, dabei waren diese Ideen nichts als mathematische Phantasie, die sich die Leute zusammenbasteln, weil sie nichts anderes zu tun haben. Eine enorme Zeit- und Geldverschwendung. In der Teilchenphysik ist dieses Problem extrem, weil sich da schon lange nichts Grosses mehr getan hat – jetzt werde ich wieder Ärger bekommen von den Teilchenphysikern. Und jetzt schwappt das Problem auch in die Astrophysik.

      Es wurden doch aber viele Satelliten wie das James-Webb-Teleskop jüngst ins All geschossen. Da müsste es doch in der Astrophysik viele neue Erkenntnisse geben?


      Ja, in manchen Bereichen der Physik kommen ständig neue Daten rein. Doch auch da gibt es das gleiche Problem der Theorieentwicklung: Es werden ohne Ende Papers über irgendwelche schönen Theorien geschrieben, die man sich mit viel Sorgfalt ausdenkt, damit sie irgendwie auf die Daten passen. Aber ich und auch andere Kollegen sagen schon seit vielen Jahren: Das ist Schwachsinn. Man kann nicht einfach hingehen und sich eine Mathematik zusammenbasteln, um dann zu hoffen, dass die Natur das auch am Ende so produziert.



      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Teil 2 -

      Warum ergibt das keinen Sinn?

      Es gibt unendlich viele von diesen Theorien, und die Wahrscheinlichkeit, dass eine davon stimmt, ist null. Eins durch unendlich. Wenn man diese Theorien überhaupt testen kann, schliesst man sie in der Regel aus. Doch leider hat sich diese unwissenschaftliche Herangehensweise so eingebürgert, und das lernen die Studenten, auch bei mir war das so. Dabei mangelt es nicht an der Härte der Gleichungen. Es ist eigentlich fast eine philosophische Frage: Physiker lernen, dass es okay ist, sich allen möglichen Kram zusätzlich auszudenken, der schön klingt, den es aber nicht braucht, um die Beobachtungen zu erklären. Das wird in der Ausbildung leider gar nicht besprochen. Dabei wäre das wichtig: Wann braucht es überhaupt eine neue Theorie, was ist ein gutes Kriterium dafür?

      Was sollten Physiker stattdessen tun?


      Ich frage mich: Was hat sich denn verändert? Denn bis in die 1970er Jahre hat die Theorieentwicklung viel besser funktioniert. Physiker haben Vorhersagen gemacht wie zum Beispiel zu Neutrinos oder dem Higgs-Teilchen, auch zu elektromagnetischen Wellen, und die waren richtig. Da gibt es zwei Gründe für die gegenwärtigen Schwierigkeiten. Ein Problem ist sicher jenes, welches früher oder später alle Wissenschaften haben: Die einfachen Sachen sind irgendwann gemacht, man muss grosse Experimente bauen, es wird schwierig und teuer, Ergebnisse zu erzeugen. Deshalb haben wir mittlerweile riesige Kollaborationen von Tausenden von Physikern und Beschleuniger, die 26 Kilometer messen.

      Und das andere Hindernis?

      Auf der anderen Seite ist es so: Wenn in der Vergangenheit Vorhersagen gemacht wurden auf Basis einer Theorie, die richtig war – dann war es in der Regel so, dass Physiker ausgehend von einem echten mathematischen Problem argumentiert haben. Ein berühmtes Beispiel ist Einstein, der die allgemeine Relativitätstheorie entwickelte, weil seine spezielle Relativitätstheorie nicht mit der Newtonschen Gravitation zusammenpasste. Er hat so einen mathematischen Widerspruch gelöst und fand nebenbei noch etwas Neues. Ein anderes Beispiel ist die Vorhersage elektromagnetischer Wellen. Sehen Sie sich die Gleichung für elektromagnetische Felder an. Wenn Sie das mathematisch richtig beschreiben wollen, müssen da elektromagnetische Wellen rein. Der Physiker James Maxwell hatte verstanden: Es kann nicht anders sein, dabei war das damals komplett neu. Wenn es um theoretische physikalische Vorhersagen geht, die aus der Mathematik herauskommen – dann kam das immer aus der Lösung eines Widerspruchs.

      Also wie sollten Physiker konkret vorgehen, um gute Theorien zu entwickeln?

      Wir sollten wieder genau das tun: Widersprüche in den Theorien korrigieren. Ich habe eine Liste von Widersprüchen, die es im Moment gibt. Einer davon ist zum Beispiel die fehlende Quantisierung der Gravitation, Details erspare ich Ihnen jetzt. Oder auch der Messprozess in der Quantenmechanik, der schon Einstein nicht gefiel und den er mit Gottes Würfeln beschrieben hat. Der Grund, warum ihm der nicht gepasst hat, war, dass der Messprozess in der Mathematik schneller als Licht ist. Dabei war es natürlich Einstein, der sagte: Nichts ist schneller als Licht. Davon gehen wir aus, benutzen aber trotzdem noch den Messprozess, der dem widerspricht. Das müssen wir lösen, und dann finden wir womöglich endlich wieder etwas Neues.


      nzz.ch/wissenschaft/sabine-hos…dverschwendung-ld.1814811


      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Wie retten wir die Demokratie?
      Weil es nicht egal ist - Gastbeitrag von Rafik Schami in der Süddeutschen Zeitung - 1. Teil


      Der schnellste Weg ins Verderben?


      Gleichgültigkeit. Wer Hass aus Faulheit oder Feigheit zulässt, ebnet den Rechten den Weg.

      Es gibt kaum eine Menschengruppe, die so viel Einfluss auf die Weltgeschichte hat wie die Gleichgültigen. Ihre Passivität hat zu allen Zeiten die radikalsten Umbrüche ermöglicht. Und das Bemerkenswerte daran ist, niemand spricht von ihnen. Die Gleichgültigen nehmen alles hin. Sie folgen Faschisten, Kommunisten oder Liberalen, sind weder dafür noch dagegen. Die Gleichgültigen riskieren nichts und versuchen - zur Not auch auf Kosten ihrer Würde - immer auf der sicheren Seite zu sein. Die Niederlage ihres Fussballvereins bewegt sie mehr als der Völkermord.

      Nichts bringt die Gleichgültigen aus der Fassung, da sie gar keine Fassung besitzen. Das Leid der anderen bedeutet ihnen nichts. Sie haben stets eine Entschuldigung parat. Etwa:"Man kann sowieso als Einzelner nihts verändern." Sie sind programmiert aufs bloße Überleben, und die Geschichte bestätigt sie insgeheim: Die Gleichgültigen überleben immer. Sie möchten nach gesellschaftlichen Katastrophen die Unschuldslämmer spielen, aber irhe Mitschuld macht sie zu stinkenden Hammeln.

      Man könnte meinen, dass Gleichgültigkeit ine leichte Tätigkeit wäre, aber weit gefehlt! Man muss dabei gegen alles Menschliche in sich ankämpfen, das noch nicht abgestorben ist. Sicher, mit der Zeit hat man Übung darin, doch bis zum Tod des Gewissens müssen Gleichgültige alle Spuren der Humanität in sich ausradieren. Das ist nicht einfach: Niemand kann mir erzählen, dass der Anblick eines verhafteten Juden im Dritten Reich von seinen Nachbarn, die mit ihm friedlich zusammengelebt hatten, im Gedächtnis so einfach ad acta gelegt wurde.

      Die Gleichg+ltigen verdrängen, verdrängen und verdrängen. Sie wissen, was passiert, wenn der syrische Diktator Gift und Bomben über Zivilisten abwirft. Gleichgültogkeit bedeutet nicht Unwissen, sondern verdrängtes oder gelähmtes Wissen. Die Schutzschicht, die Gleichgültige umgibt, ist nicht aus Stein oder Stahl, eher aus Panzerglas. Sie sehen alles, verstehen alles, aber es berührt sie nichts.

      "Ich bin rechts, weil es keine Linke mehr gibt" - solche Sätze sind Anlass zur Trauer

      Eine besondere Art der Gleichgültigkeit erzeugt Dikatur, sie kann nur bestehen, wenn die Menschen zur willenlosen Herde werden. Das gilt für große Diktaturen wie das Dritte Reich oder die Sowjetunion unter Stalin und auch für die schäbigen kleinen Diktaturen. Sie verlassen sich auf die Gleichgültigkeit der "freien" Welt, die daran interessiert ist, dass Rohstoffe billig bleiben und der Zugang zu den Märkten des Landes nicht beshränkt wird. Saddam, Hussein, Muammar al-Gaddafi oder der Assad-Clan hätten nicht so lange regieren können, wenn die Demokratien des Westens Charakter bewiesen hätten.

      In einer Diktatur wird jede Aktivität, die dem Regime zuwiderläuft, hart bestraft. Daher herrscht Angst im Land, man misstraut seinen Nächsten. Und wo die Wände Ohren haben und man stets den Rat bekommt, "es ist besser für dich, wenn du dich nicht einmischst", ist Gleichgültigkeit die einzige Rettung. Deshalb ist es umso erstaunlicher, dass auch Menschen, die Freiheit und Demokratie genießen, gleichgültig gegenüber Angriffen auf die Würde anderer bleiben. Nicht nur, wenn diese auf fernen Kontinenten, soondern auch, wenn sie im eigenen Land geschehen.

      Der Aufstieg der Rechten in diesem Land baute weitgehend auf dem bereits existierenden Fremdenhass und der Gleichgültigkeit weiter Teile der Gesellschaft auf. Das geschah weder plötzlich nich überraschen. Medienerfahrene Angstmacher waren die ebsten Helfer. Prominente, die viele im Nebel der verbalen Beteuerungen für Linke gehalten hatten, erwiesen sich im Gegenteil als Stichwortgeber für die AfD. So wurde beispielsweise der Begriff "Lügenäther", den Peter Sloterdijk 2006 präghte und auch später noch verteidigte, zum Wegbereiter des "Lügenpresse"- Begriffs.

      Populisten sind immer willkommen, leider nicht nur in der Yellow Press. Die Angst vor Islamisierung Deutschlands nährt sich der ehemalige SPD_Senator Thilo Sarazin in all seinen Büchern. Der ehemalige Marxist Matthias Matussek, nach eigenen Angaben "Symtaphisant der Identitären", stimmte mit ein. Diese alten Herren wissen wohl um die Wirkung ihrer Worte. Akif Pirincci scheute sich weder, die Muslime in Deutschland als "Moslem-Müllhalde" zu bezeichnen, noch von einer "Umvolkung" zu sprechen. Nicht anders verhält sich Bernd Rabehl, einst Rudi Dutschkes Weggefährte. Er machte 1998 eine Kehrtwende, als er eine Rede vor der BurschenschaftDanubia hielt, in der er vor der kulturelllen "Überfremdung" warnte. Man könnte seine Erklärung lächerlich finden, doch für mich ist sie Anlaß zur Trauer über den Zusammenbruch eines großen Geistes. "Ich bin rechts, weil es keine Linke mehr gibt", sagte er.

      Humanistische Kritiker gesellschaftlicher Zustände benennen schonungslos Taten und Täter. Die kulturelle, religiöse oder ethnische Zugehärigkeit der Täter ist dabei ohne Belang. Solche Kritik ist fundiert und über jeden Zweifel der gegner erhaben. Der rassistische Kritiker dagegen greift in der Regekl eine Minderheit an, und wenn er seinen Namen nennt, so interessiert ihn weder der Mensch noch dessen Thema. Er beeilt sich, die Schuld dieser Person auf deren fiktive oder auch reale Herkunft oder Zugehörigkeit zurückzuf+hren, so daßß ein allgemein bekanntes Vorurteil bestätigt und befeuert wird. Rassisten kann man nicht aufklären. Beweist man ihnen die Falschheit einer ihrer Aussagen, ziehen sie das nächste Vorurteil aus der Westentasche.

      Oft haben die Hetzer von heute eine linke Vergangenheit. Waren sie aber wirkliche Linke? Sind sie jetzt Rechte? Weder noch! Ihre Kehrtwende ist keine Laune, sondern folgt, dem Diktatvon Eitelkeit und der Mode. Und zu ihrem zweifelhaften Ruhm haben sie ihre Ziele erreicht. Dieser neue Typus von Intellektuellen steht in absolutem Gegensatz zu dem, was man bisher unter diesem Begriff verstand.

      Oft reden Fremdenfeinde so, als lebten sie auf einem anderen Planeten.

      Dabei haben sie wirklich nichts neues erfunden, wie das folgende Zitat zeigt: "Diejenigen, die hierherkommen, sind im Allgemeinen von der ignorantesten, dümmsten Sorte ihrer Nation. Es ist fast un,öglich, ihnen überkommene Vorurteile wieder zu nehmen .... Da sie an die Freiheit nicht gewöhnt sind, können sie mit ihr nichts anfangen. Sie lehnten es bescheiden ab, an unseren Wahlen teilzunehmen, aber jetzt kommen sie in hellen Scharen...Kurz, wenn es nicht gelingt, ihren Zuflusstrom.... zu lenken, werden sie uns bald an Zahl übertreffen"

      Erraten Sie, von wem diese Aussage stammt? Nein das hat nicht Thilo Sarazin, sondern Benjamin Franklin geschrieben, einer der Gründerväter der USA. Und gemeint waren nicht die Muslime, sondern die deutschen Einwanderer.

      Sei 2015 habe ich mich mit fremdenfeindlichen Interviewa und Artikeln beschäftigt. Oft reden Fremdenfeinde so, als lebten sie auf einem anderen Planeten. Aber die Ursache für ihre Haltung ist eine andere. All diese Herren und Damen leider unter einer Demenz des Gewissens. Mein Vorwurf gegen sie wiegt schwer. In keinem ihrer Beiträge habe ich auch nur ein Wort über den Raub der Rohstoffe und Reichtümer arabischr Länder gefunden oder über die Waffengeschäfte mit den Diktaturen, die diesen Raub verwalten. Das ist eine vorrangige Ursache der Flucht. Die Heuchler sind belesen genug, um zu wissen, dass sie lügen, indem sie diese Ursache verschweigen. Lügen sie, weil sie diesen Zustand nicht verändern wollen?

      Auch die Masse ist gegenüber Opfern von Hass und Verfolgung oft göeichgültig, sonst hätte die Mehrheit der Menschen im Dritten Reich nicht weiter "normal" gelebt. Nein, sie feierten, gingen in die Kirche, hörten klassische Musik und küssten zärtliche ihre Kinder, während sie zeugen der Prognome gegen Juden, Sinto und Roma sowie andere "Unerwünschte" wurden.

      Was uns das Leben lehrt:

      Wissen und geniale Begabung reichen nicht aus, um Menschen zu weisen, humanistischen Denkern zu machen, wenn das herz, die Seele oder meinetwegender bereich im Gehirn, der für Ethik und Humanität zuständig ist, unterentwickelt ist. So viel genialität auf mehreren Gebieten wie der Fremdenhasser Benjamin Franklin oder der Antisemit Henry Ford besaß kaum ein anderer Amerikaner.


      Teil 2 folgt
      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Wie retten wir die Demokratie? Teil 2



      Sie sind laut wie Trommeln - und bekantlich ist eine Trommel umso lauter, je leerer sie ist.

      Warum aber werden Geflüchtete gehasst? Vielleicht, weil sie uns vor Augen führen, was in unserer Welt nicht stimmt: Die Ungerechtigkeit, die Plünderung ganzer Kontinente, die Untersrückung der Würde. Im Grunde zeigen sie uns das, was wir alle ahnen: Die Geflüchteten sind Vorboten und Mahner einer weltweiten Verelendung.

      Der große Druck, der durch die verbalebn Angriffe der Populisten und Rechtsradikalen und auch durch die physische Gewalt der Rassisten gegen geflüchtete und ihre Heime ausgeht, deformiert sie noch mehr, die sie ohnehin unter schweren Bedingungen leben. Ich bin kein Psychologe, sondern ein Schriftsteller, der gerne Menschen zuhört. Hier in kurzer Form das Resultat meiner Beobachtungen:

      Viele Geflüchtete idealisieren ihre Ursprungsheimat bis hin zum Lob auf die Diktatur, die sie aus ihren Häusern gebombt und vielleicht sogar gefoltert hat. Sie bevorzugen oft eine schnelle Scheinassimilation nach dem Motto" Lieber gesichtslos getarnt, als durch Andersartigkeit auffallen und beschimpft zu werden." Andere befürworten eine absolute Abschottung gegen die deutsche Gesellschaft, auch gegen die Helfer und Helferinnen, was letzten Endes Parallelgesellschaften erzeugt.

      Für die Lösung solcher und anderer Problemne interessieren sich rechte Populisten nicht wirklich. Sie gefährden mit ihrem Handeln die Sicherheit ihres Volkes, nur um punkten zu können. Sie haben kein Konzept gegen Umweltzerstörung und krieg, aber dafür sind sie laut wie Trommeln, und beklanntlich ist eine Trommel umso lauter, je leerer sie ist. Die sogenannten !Querdenker"und "Reiuchsbürger" sind fremdenfeindlich, rassistisch und bisweilen sogar antisemitisch. Was für ein Hohn, in diesem Land, in dem über sechs Millionen Juden barbarisch ermordet wurden, auch nur eine Andeutung auf eine jüdische Weltverschwörung zu machen.

      Die Massen der Gleichgültigen bilden von jeher den entscheidenden Anhängerteil im Faschismus. Die Nationalsozialisten wären niemals zu solcher Macht gekommen, wenn nicht ein Heer Gleichgültiger nach einem herdenführer gesucht hätten. Der kam und sprach die Sprache, die sie verstanden, uznd auf einmal spielte es keine Rolle mehr, dasss jüdische nachbarn, Kollegen oder Verwandte verhaftet oder ermordet wurden.

      Gleichgültigkeit kann mehr verletzen als die Angriffe von menschenfeinden.

      All das festigt meine Überzeugung: Die Gleichgültigen sind die schlimmsten Feinde der Demokratie. Sie sind nach meiner Meinung genauso gefährlich wie die rechtsradikalen Ideologen. Es ist Zeit, dass man die Gleichgültigen unmissverständlich an ihre Verantwortung erinnert. Wie lange noch sollen sie sich dumm, unwissend, gleichgültig stellen, als agierten die Rechtsradikalen auf eienr fernen Insel. Doch die agieren vor unserer Haustür: Wenn rechtsradikale reichsbürger einen Umsturz vorbereiten, spricht Alice Weidel kaltherzig und ironisch von einem "Rollator-Putsch"als hätten diese menschen mit ihrer Partei nicht das geringste zu tun. Und nun, nach der Aufdeckung des Treffens in der Potsdamer Villa, stottert sie eine unglaubwürdige Distanzierung.

      Es ist eine gefährliche Entwicklung, die gerade in der Bundesrepublik stattfindet. Doch mir machen die Hunderttausenden, tapferen Menschen Hoffnung, die in vielen Städten Deutschlands auf die Straße gingen und gehen, um eindeutig "Nein zu Rassismus, Nein zur Gefährdung der Demokratie und Freiheit" rufen. Das ist die beste Antwort!

      Ich bin in einer historisch zweifachen Minderheit geboren: Aramäer unter den Arabern und Christ unter den Muslimen, und durch mein Exil bin ich in eine dritte Minderheit geraten: Fremder in Deutschland. In jeder dieser Konstellationen lernte ich, dass, wer Fremde hasst, ein menschenhasser ist. und dass die Gleichgültigkeit der anderen mehr verletzen kann, als die Angriffe von menschenfeinden.

      Lasst uns also nicht gleichgültig bleiben. Allein, um der Freiheit würdig zu sein, die wir in diesem Land genießen.


      sueddeutsche.de/kultur/gleichg…ay-1.6430161?reduced=true
      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.

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