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    • Schwerwiegende Sicherheitslücke in der führenden Schach-Plattform Chess.com ermöglicht Millionen-Schummel


      Die Sicherheitsforscher von Check Point haben eine schwerwiegende
      Sicherheitslücke in der führenden Schach-Plattform entdeckt, durch
      Teilnehmer sich den Sieg erschummeln konnten.
      Chess.com ist die weltweit führende Plattform für Online-Schachspiele, mit über 100 Millionen Mitgliedern und mehr als 17 Millionen gespielten Partien am Tag. Es besteht ein starker Fokus auf Foren und Blogs. Mit sozialen Funktionen, wie einer Nachrichtenseite und einer Social-Networking-Plattform wird es den Spielern ermöglicht, Kontakte zu knüpfen, Gedanken und Erfahrungen auszutauschen sowie voneinander über das Schachspiel zu lernen. Außerdem führt Chess.com Meisterschaften durch, in der Teilnehmer um ein Preisgeld von 1 000 000 US-Dollar und den begehrten Titel Chess.com Global Champion konkurrieren.


      Frühere Betrugsvorwürfe

      Im Jahr 2022 beschloß Magnus Carlsen (norwegischer Weltmeister seit 2013), sich von einem Turnier zurückzuziehen, weil er glaubte, dass Hans Niemann (amerikanischer Großmeister) während des Spiels betrogen hatte.
      In einer offiziellen Antwort behauptete Chess.com: „Niemann hat wahrscheinlich in mehr als 100 Online-Schachpartien betrogen […] er ist der am schnellsten aufsteigende Spitzenspieler im klassischen OTB-Schach in der modernen Geschichte.“
      Chess.com beschloß daher, einen Tag nachdem Niemann den Norweger Magnus Carlsen geschlagen hatte, Niemann von der Plattform und von der Global Chess Championship zu verbannen. Diese Entscheidung wurde getroffen, weil Niemann zugegeben hat, dass er in Schachpartien auf der Website im Jahr 2020 betrogen hatte. Chess.com stieß über die eigene Betrugserkennungs-Software verdächtiges Verhalten.


      Motivation für diese Forschung

      Chess.com investiert Ressourcen in die Erkennung von Betrügern und verwendet maschinelles Lernen, um vorherzusagen, welche Züge ein Mensch in einer bestimmten Stellung machen könnte. Chess.com achtet außerdem auf die Ranglisten-Wertung von Spielern, um zu entscheiden, ob sie an Spielen teilnehmen und größere Preise gewinnen können. Zum Beispiel basieren Turniere auf Bewertungen.
      Jedoch haben die Forscher von CPR beschlossen, die beliebte Online-Plattform selbst zu analysieren und zu prüfen, ob es Sicherheitslücken gibt. Tatsächlich wurden sie fündig:
      1. Es ist möglich, Spiele zu gewinnen, indem man heimlich die Zugzeit des Gegners verkürzt und das Spiel durch eine Zeitüberschreitung des Gegners gewinnt.
      2. Es ist möglich, erfolgreiche Schachzüge zu extrahieren, um Online-Puzzle-Herausforderungen zu lösen und einen hohe Puzzle-Wert zu erreichen. Bei dieser Methode muss man lediglich die Kommunikation zwischen der Client-Seite (Spieler) und dem Server (Chess.com-Website) abfangen. Der Server sendet nämlich versehentlich die richtige Lösung des Rätsels. Dadurch kann man dann die Rätselmeisterschaften (bei denen der Gewinner ein Preisgeld erhält) gewinnen, weil man einfach die richtigen Züge, die so gefunden wurden, einreicht. Außerdem ist es möglich, zu ändern, wie viel Zeit gebraucht wurde, um das Rätsel zu lösen.




      Die perfideste Methode

      Wenn zwei befreundete Konten eine Partie spielen, dann kann man dem Partner 15 Sekunden zusätzliche Zugzeit per Knopfdruck schenken (dieser muß das Akzeptieren). Dies kann ein Betrüger missbrauchen. Er fängt die Kommunikation mit dem Server ab und ändert die Anfrage in den Befehlszeilen so, dass dem Mitspieler Sekunden abgezogen werden.

      Zeitgeschenk.

      Zeitbetrug.



      So kann er dessen Zugzeit, zum Beispiel, auf 10 Sekunden verkürzen, was der Mitspieler kaum bemerkt, doch wenn diese abgelaufen ist, hat der Betrüger gewonnen. Alles, was er dafür tun muß, ist ein freundlicher
      Chat mit einem Nutzer, der dann eine Partie mit ihm eingeht und währenddessen, oder davor, die Freundschaftsanfrage akzeptiert, sowie das vermeintliche Zeitgeschenk annimmt.


      Check Point hat die Ergebnisse dieser Untersuchung an Chess.com gemeldet. Die Sicherheitslücken wurden geschlossen. Die vollständige Analyse wird im CPR-Blog ausführlich beschrieben. #CheckPoint

      gefunden: netzpalaver.de/2023/03/17/schw…pZprCJ_wDUjuh5P_mpu3B4VJw
      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Für den Ernst zu viel Spiel, für das Spiel zu viel Ernst - Teil 1 -



      Ende des 18. Jahrhunderts reiste ein Herr von Kempelen mit einem Schachautomaten durch Europa, dem „Türken“, der alle, die gegen ihn antraten, Schachmatt setzte. Benjamin Franklin verlor gegen den Automaten ebenso wie Napoleon verlor oder Katharina die Große. Kempelen galt den Zeitgenossen als Genie, seine Apparatur als ein rätselhaftes, mechanisches Wunderwerk. Das im Innern der kunstvoll gearbeiteten Mechanik ein Liliputaner das Räderwerk bewegte, wussten nur wenige und die es wussten, schwiegen.

      Autor: Rainer-Kurt Langner | 07.02.2004


      Im 11. Jahrhundert setzte der Halberstädter Bischof einen Wendenfürst im Ströbecker Wehrturm fest. Seinen Bewachern, den Bauern des Dorfes, lehrte der Gefangene das Schachspiel und alle waren zufrieden. Als der
      Fürst entlassen wurde, wurden die Abgaben und Steuern der Ströbecker gesenkt – mit der Verpflichtung, das königliche Spiel nie zu vergessen. Seit 1823 wird in der Schule Schach gespielt, als Unterrichtsfach. Unddas Ströbecker Hochzeitsrecht besagt, dass der Bräutigam seine Braut erspielen oder, wenn er verliert, Strafgeld in die Gemeindekasse zahlen muss.


      Schach fasziniert die Welt, seit mehr als zweitausend Jahren. Millionäre spielen es ebenso wie Obdachlose, Kinder wie Greise. Schach, heißt es, ist nicht wie das Leben: Schach ist das Leben. Die Lange Nacht vom Schach erzählt eine kleine Kulturgeschichte des Schachs und manch kuriose Anekdote; erzählt vom Wesen eines Spiels, vom dem Gotthold Ephraim Lessing sagte, dass es „für den Ernst zu viel Spiel und für das Spiel zu viel Ernst“ habe.


      Das Schachspiel ist wie ein See
      in dem eine Mücke baden
      und ein Elefant ertrinken kann

      (Indisches Sprichwort)


      Einstieg für Streifzüge durchs Internet:
      schachgeschichte.de

      „Für den Ernst zu viel Spiel, für das Spiel zu viel Ernst.“ – so beschrieb Gotthold Ephraim Lessing das Brettspiel mit 32 Figuren auf 64 Feldern. Andere nennen es mit Goethe einen „Probierstein des Gehirns“,
      oder verweisen auf den Zusammenhang zwischen Spiel und Leben, denn schließlich, so Benjamin Franklin, „ist das Leben selbst eine Art Schachspiel“.

      Auszug aus dem Manuskript:


      Unsere Reise mag in Ströbeck beginnen, jenem Flecken am nördlichen Harzrand, den einst der Dichter Joseph Roth besuchte, vor achtzig Jahren.

      „Sie, lieber Freund, werden wahrscheinlich nie etwas von diesem merkwürdigen Dorf erfahren haben. In der Geschichte des Landes, in manchen Kreisen Deutschlands und der Welt ist es als das „Schachdorf“
      bekannt und berühmt. Es ist ein uraltes Dorf, zum ersten Male in einer Urkunde Heinrichs II. erwähnt, es führt ein Schachbrett im Wappen, und seit dem Mittelalter ist das Schachspiel in Ströbeck die natürliche
      Beschäftigung von alt und jung. Zweimal in der Woche erhalten die Schulkinder Schachunterricht. Jeden Donnerstagabend versammeln sich die Bauern im alten Schachwirtshaus, zum Schachspiel. Jedes Jahr wird ein
      Schachturnier veranstaltet, manchmal mit lebenden Figuren, die Sieger erhalten Schachbretter als Preise, mit belobenden Inschriften. Ein Turm, ursprünglich eine Mauer- warte, wie es ihrer viele in Mitteldeutschland gibt, wird der „Schachturm“ genannt. Die Überlieferung erzählt, dass ein Wendenfürst von den Bauern lange Zeit in diesem Turm gefangen gehalten wurde. Der Fürst langweilte sich in der Gefangenschaft, ließ sich ein Schachspiel zimmern und gab den Bauern Unterricht im Schach.

      osef Cacek war lange Leiter des Ströbecker Schachmuseums: „Es ist soweit verbürgt, dass der Halberstädter Bischof Arnulf 1011 einen Gefangenen – Kunzelin von Meißen, einen Markgrafen, hier zur Verwahrung bekommen
      hatte. Der Bischof wollte ganz sicher gehen, und die Ströbecker Bauern dazu bewegt, diesen Gefangenen zusätzlich zu bewachen. Die zweite Version ist, dass 1068 der Bischof Burkhard II., genannt Buko, auf dem
      Kriegszug gegen die Wenden im ostelbischen Raum... von diesem Raubzug brachte er einen Gefangenen mit. Der wurde auch hier im Ströbecker Haftturm verwahrt. Alle Angehörigen des Adels hatten das Schachspiel
      kennen gelernt und wurden dann mit den Ströbecker Bauern in diese Situation gebracht, dass sie ihnen das Spiel beibrachten.“

      180 Jahre Kampf um Bretter und Steine



      180 Jahre Kampf um Schachbretter und Figuren an der Ströbecker Schule


      Im 11. Jahrhundert wurden die Einwohner von Ströbeck mit dem Schachspiel erstmals vetraut gemacht, und zwar durch Adlige, die als Gefangene im Ströbecker Haftturm einsaßen und von Ströbecker Bauern abwechselndbewacht wurden.

      Einer dieser Fürsten räumte nach seiner Freilassung den Ströbeckern einige Privilegien ein (Steuerfreiheiten, weniger Abgaben), nahm ihnen aber dafür das Versprechen ab, dieses königliche Spiel stets zu pflegen und von Generation zu Generation weiterzugeben.

      Daraufhin bildeten sich bestimmte Gepflogenheiten heraus, zum beispiel das Spiel um die Braut, wenn ein junger Mann heiraten wollte, oder das Spiel mit den lebenden Figuren zur Begrüßung hoher Persönlichkeiten auf dem Schachplatz.

      Von größter Bedeutung für die Traditionspflege war wohl die Einführung das Schachspiels als Unterrichtsfach in der Schule, denn hier lernten alle Kinder das Spiel kennen und konnten es dann untereinander oder mit ihren Eltern ausüben.

      Ein nachweisbarer Beleg für die Ausübung des Schaches in der Schule mit entsprechenden Prüfungen stammt eben aus dem Jahre 1823.

      Hierzu weist die Ströbecker Chronik aus, dass der Dorfschulze Andreas Bock am 3.Februar 1823 an den Landrat von Hünecke zu Dedeleben die Bitte richtete, eine bestimmte Geldsumme aus der Gemeindekasse als Geldpreise für die besten Schachspieler der oberen Klassen verwenden zu dürfen.

      Wörtlich heißt es in dem Schreiben: „Schon länger als dreihundert Jahre ist die hiesige Gemeinde wegen des Schachspiels bekannt gewesen. Um diesen guten Ruf der Gemeinde mit der löblichen Sitte auch für die Zukunft zu erhalten und die erwachsenen Schulkinder schon zu diesem Spiel zu ermuntern, bin ich mit dem hiesigen Cantor und Schullehrer der ersten Klasse dahin übereingekommen, dass alljährlich mit dieser Klasse des nachmittags nach vollendetem Examen in Gegenwart des Ortsvorstandes und des Herrn Predigers, sowie der beiden Lehrer eine Probe der Geschicklichkeit veranstaltet werden soll,......“

      Der Landrat verfügte darauf, alljährlich 3 Reichsthaler bereitzustellen. Nun hatten die Ströbecker Gemeinderäte einen großartigen Einfall, denn sie verteilten nicht das Geld an die Schüler, sondern es wurden Schachbretter angeschafft, die eine bleibende Erinnerung an den einstigen Erfolg darstellten.

      Die sechs Gewinner von 1823 sind in den Aufzeichnungen namentlich genannt. Es waren 3 Jungen und 3 Mädchen.

      Zu diesen Preisen stiftete die Kirche einen Satz Figuren, um die ein Jahr darauf nur die Gewinner der Bretter spielen durften.

      An den Ehrentafeln in der Schule und im Schachmuseum sind die Gewinner der einzelnen Jahrgänge aufgeführt.

      Schachmuseum Ströbeck

      Impressionen aus dem Schachmuseum Ströbeck


      Auszug aus dem Manuskript:

      In der Schule des Schachdorfes Ströbeck lernen die Schüler Schach spielen, den gegnerischen König ins Matt zu setzen, nicht den Gegner zu schlagen.

      Josef Cacek, der viele Jahre hindurch Schach an der Ströbecker Sekundarschule unterrichtete, kann mit einem Spiel, das sich gelegentlich als ein unblutiger Krieg präsentiert, nichts anfangen. Vielleicht liegt es ja auch daran, dass er seinen Schülern die Regeln, Strategie und Taktik des Schachspiels beibrachte, nicht die psychologische Spielführung – jedenfalls ist aus dem Schachdorf noch kein Weltmeister gekommen, nicht einmal ein Großmeister wurde hier geboren.
      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Für den Ernst zu viel Spiel, für das Spiel zu viel Ernst - Teil 2 -

      Auch Rudi Krosch, der Bürgermeister, macht sich so seine Gedanken: „Man braucht eine gewisse Anzahl Schüler, man braucht auch bestimmte Räumlichkeiten, es werden höhere Anforderungen angelegt an diesen Status ‚Sekundarschule‘. Und ich denke, dass wir gute Voraussetzungen haben, diesen Status zu erfüllen und zum anderen hoffe ich auch, dass viele Kinder aus dem Nachbarkreis hier in Ströbeck sich in der Schule anmelden... Derzeit ist es so, dass wir sehr gute Kontakte in den Landkreis Wernigerode haben – der Landkreis Wernigerode in dieser Hinsicht uns auch freiwillig unterstützt, indem er eben sagt, den Kindern, die in Ströbeck zur Schachschule gehen möchten, denen legen wir keine Steine in den Weg. Also die Eltern können ihre Kinder dann hier anmelden und der Schülertransport wird dann entsprechend abgesichert. Ich denke, dass ist ein gutes Beispiel einer kreisübergreifenden Zusammenarbeit.“

      1.200 Menschen wohnen im Schachdorf, in dem zwei landwirtschaftliche Betriebe ums Überleben kämpfen; viele pendeln zur Arbeit ins niedersächsische Salzgitter oder nach Wolfenbüttel. Zwei Wirtschaften warten auf Touristen, die sich gelegentlich hierher verirren, und zu den jährlichen Turnierspielen der Halberstädter Sparkasse oder wenn die Lebendschachgruppe auf dem Marktplatz sich zu einer Partie Schach aufstellt. Viel ist es nicht, was die Wirtsleute aus dem Geschäft herausholen, und so kann es geschehen, dass ein Besucher im Dorf vor zwei verschlossenen Gasstätten steht. Während Josef Cacek die eher mangelhafte Infrastruktur des Dorfes beklagt, zeigt sich Rudi Krosch zuversichtlich. Man werde das Schachmuseum vielleicht im leerstehenden Rathaus unterbringen, da hätte es endlich den Raum, den es verdient. Ein Restaurant könne er sich im Rathaus vorstellen, ein Café und eine Spielfläche für Kinder. Man wird sehen, sagt er: „Ich denke, die Gemeinde hat in den vergangenen Jahrzehnten auch schon davon profitiert, dass neue Bürger hier nach Ströbeck gezogen sind. Gerade in den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass viele junge Leute nach Ströbeck kommen, allerdings auch viele Ströbecker in die alten Bundesländer gehen, dort wo eben die Arbeitsplätze sind... Aber es ist kurioserweise so, dass sich speziell die Neubürger in Ströbeck hier für den Erhalt der Schule, für den Erhalt der Schachtradition sehr engagieren.“

      Die Zukunft Ströbeck's ist eine Hängepartie, deren Ausgang offen bleibt, solange das Kultusministerium im Land Sachsen-Anhalt die Stellung noch analysiert und sich auch der Landesvater nicht entscheidet, nach welchen
      Regeln gespielt werden soll.

      Ernst Bönsch, einst Trainer der DDR-Schachmannschaft, die 1993, als die DDR schon nicht mehr existierte, die Bronzemedaille der Weltmeisterschaft im Fernschach gewann, kennt die Tücken, die eine Schachpartie jedem Spieler bereithält, wenn er sie eröffnet. Sich durch das Gestrüpp der Eröffnungen zu schlagen, so Bönsch, helfe einzig das ausdauernde Studium der Eröffnungstheorie. „Wenn man erfolgreich spielen will, muss man sich in der ersten Phase einer Schachpartie auf eine bestimmte Zügezahl konzentrieren. Man kann nicht, wenn man sich ans Brett setzt, irgend etwas spielen, sondern man muss genau von vornherein schon wissen, man spielt also entweder diesen Bauern oder einen anderen. Das ist im Prinzip ein Trainingselement, was alle Schachspieler der Welt beherrschen müssen. Also niemand wird Erfolg haben, wenn er sich nicht vorher vorbereitet hat und wenn er nicht eine Eröffnung wirklich versteht und entsprechend dann anwenden kann.“

      Der Ungar Peter Leko wurde 1994 mit knapp fünfzehn Jahren der jüngster
      Großmeister aller Zeiten, zugleich gewann er den Weltmeistertitel der
      U16, der unter Sechszehnjährigen.


      Seine Homepage:
      Homepage von Peter Leko

      TeleSchach in der CyberCity

      Bundesligaportal schachbundesliga.de

      Deutscher Schachbund e.V. – DSB

      Internationale Geraer Schachtage

      Bobby Fischer, USA, Schachweltmeister 1972-75

      Die ausdauerndsten psychologischen Krieger der Schachgeschichte waren Boris Spasski und Bobby Fischer, als sie um den Weltmeistertitel kämpften, ebenso das ungleiche Paar Garri Kasparow und Anatoly Karpow.
      Da verweigerte man den Handschlag zur Begrüßung oder kam zur Partie zu spät, man kommentierte den Zug des Gegners mit höhnischem Lächeln oder kehrte ihm den Rücken zu... Schach ist Krieg, sagte Bobby Fischer – die
      Mehrzahl der offiziellen Weltmeister haben sich so auch verhalten, als psychologische Krieger.

      Dutzende Bücher wurden über das Match zwischen Boris Spassky und Bobby Fischer geschrieben, alleine in Holland erschienen bereits kurz nach dem Match drei Bücher. Das interessanteste Buch wurde damals von Jan Timman und Max Euwe geschrieben: „De tweekamp Spasski – Fischer 1972“. weiterlesen: Max Euwe & Jan Timman: Fischer World Champion!

      Möglicherweise ist es so, dass spätere Historiker den Beginn des Informationszeitalters datieren werden mit der Niederlage Kasparows gegen Deep Blue... als erstmals ein amtierender Schachweltmeister gegen eine Maschine verlor ... und das ist ja nur der Anfang einer Entwicklung, die sehr rapide, sehr schnell voranschreitet.“ meint Kurt Beiersdörfer.

      Ein Bonmot – nicht mehr. Natürlich weiß Kurt Beiersdörfer, Geschäftsführer des Heinz Nixdorf MuseumsForum in Paderborn, dass jener Februar 1996, als der damals beste Spieler der Welt von einem Computer mattgesetzt wurde, nur eine Fußnote der Zivilisationsgeschichte ist, nicht aber eine ihrer bedeutsamen Zäsuren.

      Heinz Nixdorf MuseumsForum

      An der Freien Universität Berlin beschäftigt sich Professor Raúl Rojas im Fachbereich Informatik mit der sogenannten „künstlichen Intelligenz“.

      Lehr- und Forschungsgebiet Künstliche Intelligenz, Humboldt-Universität zu Berlin

      Das Schach ist die Welt,
      die Steine sind die Erscheinungen im Weltall
      und die Spielregeln heißen Naturgesetze.
      (Thomas Huxley)

      Auch der Anthroposoph Rudolf Steiner sah im Schach die Gesetze der Welt gespiegelt. Das Schachbrett sollte sich zudem als Experimentierfeld mathematischer Gesetzmäßigkeiten erweisen, auf dem Leonhard Euler und Karl Gauss mathematische Problemstellungen lösten. Euler untersuchte das Rösselsprungproblem, danach ein Springer, von jedem beliebigen Feld aus, zu über das Brett gezogen werden sollt, dass es über alle Felder zieht, ohne je ein Feld zweimal zu berühren. Kempelens Schachautomat hat die Lösung der Aufgabe später dem staunenden Publikum immer wieder vorführen müssen. Gauss wiederum löste eine andere Aufgabe, die Aufstellung von achten Damen auf 64 Feldern, ohne dass sie sich schlagen können. Er entdeckte 82 mögliche Positionen. Andere haben seine Rechnungen weitergeführt und herausgefunden, dass es 3612 verschiedene Möglichkeiten gibt, zwei Könige aufzustellen, ohne dass sie sich schlagen könnten. Zwei Könige und zwei Bauern können zu 7,4 Millionen spielgerechten Stellungen aufgestellt werden; zwei Könige und zwei Offiziere schaffen 13 Millionen Positionen. Das Schachspiel ist eine Welt für sich und seine Seelenverwandschaft mit den Künsten, der Zahlentheorie und der Philosophie ist nahe liegend.


      Voltaire, Rousseau, Leibniz , Kant, sie alle haben die Figuren geführt, ohne sie je wirklich zu beherrschen. Voltaire könnte seine Wut über eine verlorenen Partie nicht beherrschen und auch Rousseau blieb
      ein ewiger Verlierer. Diderot dagegen, erschien dagegen als Kiebitz zu den Schachpartien, wollte sich einem möglichen Matt erst gar nicht aussetzen.
      Schach in der Literatur

      Schachfreunde Hannover von 1919 e.V.

      Ein habgieriger und grausamer König, der viele Länder erobert und an sich gerissen hatte, dünkte sich als der mächtigste Eroberer. Deshalb geriet er in Zorn, als ihm die Worte eines armen Weisen zu Ohren kamen,
      dass ein König ohne sein Volk nicht einen Sieg erringen könnte. Der König befahl den Weisen in seinen Palast und verkündete ihm: „Wenn Du Deine Worte nicht beweisen kannst, wirst Du hingerichtet. Eine Nacht sei Dir zum Überlegen gegönnt.“

      Der Beweis für seine Behauptung gereichte dem Weisen zur Ehre: Er überbrachte dem König ein originelles Spiel, das Schachspiel, dessen Regeln überzeugend darlegen, dass ein König ohne Hilfe seiner Figuren (das Volk) keine Partie zu gewinnen vermag.

      Dem König gefiel das Schachspiel so, dass er dem Erfinder vorschlug, sich eine Belohnung zu wünschen. Wie verwundert war er allerdings, als der Weise weder Gold noch Edelsteine haben wollte, sondern lediglich Weizenkörner ! Genauer gesagt, der Weise verlangte ein Weizenkorn auf das erste Schlachtfeld, zwei auf das zweite, vier auf das dritte, acht auf das vierte und so fortlaufend immer das Doppelte an Weizenkörnern.

      Der König glaubte, einige Säcke Weizen würden reichen und befahl seinen Dienern, die geforderte Weizenmenge auszurechnen. Es stellte sich jedoch heraus, dass eine solche Menge nicht vorhanden war, selbst wenn die Ernte der ganzen Welt zur Verfügung stünde. So war, wie die Legendeschließt, der hochmütige Herrscher wiederum beschämt. Weiterlesen:
      Brunos Schachseite

      Die FIDE Schachregeln gelten für das Spielen am Brett. Der englische Text ist die authentische Fassung der FIDE Schachregeln, angenommen vom 71. FIDE-Kongress, Istanbul (Türkei), November 2000. Sie treten am 1.
      Juli 2001 in Kraft. In diesen Regeln werden Personenbezeichnungen und ihre Fürwörter so verwendet, dass sie unterschiedslos das männliche und das weibliche Geschlecht mit einschließen. Nachzulesen mit den häufig gestellte Fragen:

      Literaturliste: (Auswahl)


      Icchokas Meras
      Remis für Sekunden
      Aufbau-Verlag, Berlin 1963


      Auf der webseite des Deutschlandfunks gehts noch weiter mit Buchempfehlungen, habs dann hier nicht mehr reinbekommen. Hier der Link


      deutschlandfunk.de/fuer-den-er…el-zu-viel-ernst-102.html
      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Betrug beim Schach - und was man dagegen tun kann

      Es ist der wohl größte Skandal im Schach: Magnus Carlsen bezichtigt Hans Niemann des Betrugs. “Sport erklärt” zeigt, wie der Betrug funktioniert - und was dagegen getan wird Schach boomt. Corona verhalf dem 1.500 Jahre alten Spiel zu einer nie dagewesenen Beliebtheit. Aber auch schon vorher war Schach auf der Streaming-Plattform Twitch eine der beliebtesten Sportarten. Zahlreiche Spieler leben nicht nur von Preisgeldern, sondern auch davon, ihre Partien zu streamen. Aber natürlich nur die besten. Das verleitet dazu, sich illegal in die Riege dieser besten einzuschleichen. So auch Hans Niemann. Er gab zu, früher beim Online-Schach betrogen zu haben: "Ich war bereit, alles zu tun, um meinen Stream zu vergrößern." Oft geht es beim Betrügen darum, die eigene Elo-Zahl (benannt nach dem Erfinder Arpad Elo) aufzuwerten. Je höher sie ist, desto stärker der Spieler. Mit einer hohen Elo-Zahl gewinnt man an Ansehen in der Szene, kann gegen bessere Gegner spielen und an wichtigeren Turnieren teilnehmen.


      Komplettes Schach-Turnier in der Ukraine erfunden
      Im Jahr 2005 wurde ein komplettes Turnier in der Ukraine frei erfunden - inklusive Ergebnislisten und angeblicher Fotos von dem Event. Alles, um die Elo-Zahl einiger Spieler künstlich zu boosten. Die Elo-Manipulation funktioniert auch in die andere Richtung: Manche Spieler machen sich mit Absicht schlechter, um zum Beispiel an Amateur-Turnieren mit vergleichsweise hohem Preisgeld teilnehmen zu können - obwohl sie aufgrund ihrer Stärke eigentlich im Profi-Bereich spielen müssten. Diese Art von Betrug passiert immer wieder, ist aber vergleichsweise selten. Viel häufiger passiert es, dass im Spiel selbst betrogen wird - durch Schach-Programme oder Apps. Seitdem der IBM-Computer “Deep Blue” Mitte der 90er Jahre den damaligen Weltmeister Garri Kasparow besiegte, hat sich die Technik so stark weiterentwickelt, dass Menschen keine Chance mehr gegen die Programme haben. Inzwischen kann jeder Laie mithilfe eines Smartphones die besten Spieler der Welt besiegen.

      Schachprogramme erreichen höhere Elo-Zahlen
      Um es anschaulich zu machen: Für den Titel des Großmeisters braucht man eine Elo-Zahl von mindestens 2.500. Die höchste, die je ein Mensch geschafft hat, war 2882. Erreicht von Magnus Carlsen im Jahr 2014. Schach-Programme kommen inzwischen locker auf 3.500. Das liegt an ihrer schieren Rechenleistung: Im Schach gibt es wahnsinnig viele mögliche Züge. 10 hoch 123 um genau zu sein – das ist eine 1 mit hundertdreiundzwanzig Nullen. So viele Positionen kann zwar auch ein Super-Computer nicht durchrechnen. Aber eine künstliche Intelligenz kommt dem Ziel deutlich näher als ein Mensch. Die stärksten Schachcomputer heißen unter anderem Alpha Zero und Leela Chess Zero. Beide sind Autodidakten mit einem künstlichen neuronalen Netzwerk – sie spielen Millionen Spiele gegen sich selbst und bewerten die Positionen anhand der zuvor gespielten Spiele. Irgendwann können sie einfach „sehen“, was eine gute Position ist. Weit besser als jeder Mensch.

      Betrüger lassen Schachprogramme spielen
      Und das nutzen Betrüger aus: Sie geben einfach alle bisherigen Züge in ein Schach-Programm ein und spielen dann so, wie die App es ihnen vorschlägt. Am einfachsten geht das natürlich bei Partien im Netz. Man lässt einfach in einem zweiten Browsertab oder auf dem Smartphone eine Schach-Software laufen und benutzt sie wie einen Spickzettel in einer Klassenarbeit. Bei Turnieren vor Ort ist das mit dem Betrügen natürlich sehr viel schwieriger. Da ist es selbstverständlich verboten, während des Spiels aufs Handy zu schauen. Trotzdem finden manche einen Weg - zum Beispiel indem sie ein Smartphone auf der Toilette deponieren und in wichtigen Spielphasen aufs Klo gehen.

      Gerüchte um Betrug per Sex Toy
      Andere Betrüger lassen sich von Komplizen helfen, die ihnen die richtigen Züge zum Beispiel mittels Knopf im Ohr übermittelten. Es gibt sogar Gerüchte, dass die Tipps per ferngesteuertem Sex Toy übermittelt werden könnten, das im Körper des Spielers steckt. Weil die kleinste Info reicht, könnte schon ein kleiner vibrierender Empfänger reichen. Mit Morsecode könnten ganze Züge durchgegeben werden. Springer auf Feld A 3 wäre dann einfach SA3 oder „… / .- / …--". Aber egal ob mit Handy auf dem Klo, Komplizen im Publikum oder vibrierenden Kugeln im Hintern: Wer einen Weg findet, wie die Tipps des Schach-Programms zum Spieler am Brett kommen, kann relativ einfach betrügen.

      Veranstalter führen strenge Kontrollen ein
      Deshalb versuchen die Veranstalter von Schach-Turnieren, möglichst strenge Kontrollen einzuführen. Es gibt Metalldetektoren am Eingang, die Mülleimer werden nach versteckten Smartphones durchsucht. Oder die Partien werden mit Zeitverzug ins Netz gestreamt, um illegalen Helfern am Bildschirm das Betrügen unmöglich zu machen. Um zu beweisen, dass er nicht betrügt, bot Hans Niemann sogar an, in Zukunft nackt zu spielen. Da solche Kontrollen aber nur bei Spielen am Brett überhaupt etwas bringen, setzen die Veranstalter von Online-Turnieren noch auf eine weitere Überführungs-Methode: Sie analysieren die Partien mithilfe statistischer Analysen. Die berechnen, ob ein Spieler gleich lang für einfache und für komplizierte Züge braucht, ob er auf einmal deutlich besser als zuvor spielt, ob er verdächtig oft zur Seite schaut, wo ein zweiter Bildschirm stehen könnte. Und sie vergleichen die Züge der Spieler mit denen einer Software. Da selbst die weltbesten Spieler in der Regel nicht über 80 oder 85 Prozent Übereinstimmung kommen, kann ein deutlich höherer Wert ein Hinweis auf Betrug sein.

      Analyse von Hans Niemanns Partien
      So hat die Seite Cess.com die Online-Partien von Hans Niemann analysiert und kam in einem 72 Seiten langen Bericht zu dem Ergebnis, dass er vermutlich bei mehr als 100 Partien betrogen hat - deutlich öfter, als er selbst zugegeben hat. Bei einigen Spielen stimmten seine Züge komplett mit denen einer Schach-Software überein. Das ist zwar noch kein Beweis, dass er tatsächlich ein solches Schach-Programm benutzt hat. Es könnte auch Zufall sein. Oder Niemann ist einfach so ein Ausnahmetalent, dass er so gut spielt wie ein Computer. Für Chess.com reichten die Indizien aber aus, um Niemann von der Seite zu verbannen. Oft ist die Indizienlage aber weniger eindeutig. Denn Großmeister brauchen in der Regel nicht bei jedem Zug Hilfe, oft reicht schon ein winziger Hinweis, um eine Partie zu kippen. Und das macht es so schwierig, Betrüger zu erwischen.

      swr.de/sport/sport-erklaert/betrug-beim-schach-100.html
      Quelle:









      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Gibt es mehr als zwei Geschlechter?
      Der Mediziner Olaf Hiort erklärt, wie facettenreich die biologische Geschlechtsentwicklung und die Geschlechtsidentität sind.


      spektrum.de/frage/geschlechtsi…zwei-geschlechter/1835662


      Die Frage, wie viele Geschlechter es gibt, erscheint Ihnen vielleicht zunächst unsinnig. Die meisten von uns lernen von klein auf, dass es natürlich zwei sind: männlich und weiblich. Männer und Frauen bekommen Kinder, die dann die nächste Generation bilden. Bei der sexuellen Fortpflanzung ist das der Weg, eine Spezies zu erhalten.


      Aber ist es wirklich so einfach mit dem Geschlecht? In den letzten Jahrzehnten hat sich gezeigt, dass neben der Biologie auch unsere kulturelle Wahrnehmung von Bedeutung ist. Demnach entscheidet nicht zuletzt die Erziehung darüber, was wir als typisch männlich oder typisch weiblich empfinden. Wir nehmen also eine Geschlechterrolle ein, die kulturell geprägt ist.
      Nun kann die Selbstwahrnehmung eines Menschen von seinem biologischen Geschlecht abweichen – wir sprechen dann von Transidentität. Manchmal ist das ­biologische Geschlecht aber nicht eindeutig bestimmbar, dieses Phänomen wird meist Intersexualität oder auch Variante der Geschlechtsentwicklung genannt. Die Betreffenden lassen sich dem üblichen Mann-Frau-Schema nicht klar zuordnen. Um dem Rechnung zu tragen, regelt seit Ende 2018 das Personenstandsgesetz in Deutschland, dass sich eine Person mit einer Variante der Geschlechtsentwicklung als männlich, weiblich oder als divers bezeichnen kann.
      Anfang der 2000er Jahre kam der Begriff der »Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung« auf. Wir wissen heutzutage, dass das chromosomale Geschlecht, die ­typische Konstellation XX oder XY, weder das äußere Geschlecht noch die geschlechtliche Selbstwahrnehmung eines Menschen eindeutig festlegt. Die Gene geben lediglich wieder, welches Potenzial üblicherweise im Bauplan des Menschen ausgeschöpft wird.
      Die Gene steuern die Entwicklung der Keimdrüsen. Das sind die Organe, die sich zu Hoden oder Eierstöcken entwickeln können. Schon auf dieser Ebene sind Abweichungen vom üblichen Ablauf möglich. Kinder weisen dann sowohl Eierstock- als auch Hodenanteile auf. Für die Ausprägung der Geschlechtsmerkmale, also Penis, Vagina, Gebärmutter und so weiter, sind letztlich Hormone zuständig.
      Nach heutigem Erkenntnisstand ist hierbei die Hormon­produktion des Hodens von entscheidender Bedeutung. Hier werden zwei Arten von Hormonen gebildet: Testosteron sowie das so genannte Anti-Müller-Hormon. Der Clou daran: Jeder Fötus besitzt zunächst die Anlage, eine Gebärmutter zu entwickeln. Durch Ausschüttung des Anti-Müller-Hormons aus dem Hoden­gewebe wird die Bildung der Gebärmutter unterdrückt. Ist dieser Botenstoff gar nicht oder nicht in ausreichender Menge vorhanden oder wirkt er nicht richtig, kann am Ende trotz sonst männlicher Merkmale eine Gebärmutter entstehen.
      Ähnlich verhält es sich mit dem Testosteron. Steht es nicht in genügender Dosis zur Verfügung oder verfehlt es seine Wirkung, wird das bei beiden Geschlechtern am Beginn des Embryonalstadiums gleich aussehende Genital nicht zu einem Penis. Dann entstehen Zwischen­formen der Geschlechter, die keinem klar männlichen oder weiblichen Erscheinungsbild entsprechen.
      Die geschlechtliche Entwicklung kann sehr vielfältig verlaufen, da hier viele verschiedene Gene und Hormone zusammenwirken. So können die äußeren Geschlechtsmerkmale mitunter eindeutig männlich oder weiblich aussehen, obwohl sich die Keimdrüsen anders entwickelt haben oder die Bildung und Wirkung der Hormone vom Normalfall abweichen. Die biologische Geschlechtsentwicklung ist höchst facettenreich und bislang nur in groben Zügen verstanden. Unklar ist etwa, welche Auswirkungen die hormonelle Variabilität auf die Geschlechtsidentität hat. Manche Menschen mit den beschriebenen Besonderhei­ten bezeichnen sich selbst als intersexuell, während sich andere klar als männlich oder weiblich empfinden.
      Die Kategorien Mann und Frau bilden eine Art Rahmen, innerhalb dessen vielfältige Ausprägungen von Geschlechtlichkeit möglich sind – sowohl genetisch, anatomisch und hormonell als auch psychologisch und sozial. Diese Varianten sind jedoch nicht krankhaft, sondern sollten als natürliches Spektrum der Geschlechtsentwicklung verstanden werden.

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      Gender in der Biologie: Es gibt mehr als zwei Geschlechter
      Nur „weiblich“ und „männlich“ ist zu wenig. Es gibt mehr als zwei Geschlechter. In der Biologie ist das inzwischen anerkannt.

      tagesspiegel.de/wissen/es-gibt…geschlechter-5211841.html

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      "Natürlich" gibt es mehr als zwei Geschlechter
      Interview mit Marianne Regard, Titularprofessorin für Neuropsychologie,Universitätsspital Zürich

      stud.phzh.ch/globalassets/stud…als_zwei_geschlechter.pdf

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    • Die neue Erzählung von der Anpassung an den Klimawandel: Habt euch nicht so!

      Untergang Wer redet noch von Katastrophe? Anpassung ist der neue Trend in der Klima-Erzählung. Ein Trend, der viele Schulmeister hat – und nichts anderes ist als eine Neuauflage des faschisierten Pseudo-Darwinismus

      Das, was unter den Stichworten „Klimawandel“, „Erderwärmung“ oder einfach „Katastrophe“ seit geraumer Zeit ein Hintergrundrauschen aller Diskurse und Debatten war, ist längst vom Stadium eines Szenarios in das der direkten Evidenz übergegangen. Waldbrände, Überschwemmungen, Stürme, Dürren, Artensterben, Gletschersterben, Ernteausfälle finden statt. Das nächste absehbare Stadium ist die Verwandlung von „irgendwie“ zusammenhängenden Einzelkatastrophen in einen katastrophischen Zustand.

      Das Unangenehme der katastrophischen Evidenz liegt in ihrer Unberechenbarkeit. Es gibt Menschen, Ideen und Kulturen, denen eine sichere Apokalypse immer noch lieber ist als ein Zustand der chaotischen Offenheit. Ebenso aber gibt es auch Menschen, Ideen und Kulturen, die gerade aus der Unberechenbarkeit das Apokalyptische verbannen. Da wir nicht genau wissen, was geschieht, können wir ebenso gut auch nichts tun. Schlimmer gesagt: weiter das tun, was wir schon immer getan haben.
      In den Gesellschaften des nicht mehr so goldenen Westens haben sich fünf Fraktionen herausgebildet:

      1. Die Leugner: Dort finden sich die üblichen Verschwörungsfantasten, aber ebenso auch solche, die ihrer biografischen Beharrung eine wissenschaftliche Maske verleihen (Klimaveränderungen auf einem Planeten hat es schon immer gegeben), und schließlich schlichte Ignoranten.

      2. Das genaue Gegenteil, die Klimaaktivisten: Sie setzen einen Teil ihrer Lebensmöglichkeiten aufs Spiel, widmen ihre Fantasie und Kraft dem gelegentlich schon verzweifelten Versuch, ihre Mitmenschen im Allgemeinen, die Politik im Besonderen dazu zu bringen, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um wenigstens einen Teil der sich abzeichnenden Katastrophe zu vermeiden.

      3. Die Solutionisten: Sie setzen darauf, dass die Technik, die vielleicht am Ursprung der Katastrophe gestanden hat, auch dazu eingesetzt werden kann, um sie bannen.

      4. Die Moralisten: Sie empfinden die Klimakrise vor allem als Prüfstein für richtiges oder falsches Verhalten. In gewisser Weise ergötzen sie sich an den Katastrophen, da sie Bestätigungen ihrer Haltung und also ihrer Überlegenheit sind.

      5. Mainstream, große Mehrheit also: die Relativisten, in der Mythologie des Alltags die Vertreter des Sowohl-als-auch. Man setzt auf gutmütige und marktwirtschaftliche Veränderungen, gleich weit entfernt von den „Klimaleugnern“ wie von den „Klimaradikalen“. Auch diese Fraktion ist unterschiedlich in ihrer Argumentation und Fantasie, das reicht von der Hoffnung auf einen grünen Kapitalismus bis zum Doppelbild der Apokalypse: Zu viel Klimaschutz wird zu globalen Bürgerkriegen führen. Man muss etwas tun, aber nicht übertreiben, man muss „alle mitnehmen“, soziale Verwerfungen vermeiden, und überhaupt soll nichts übertrieben werden.

      Was bedeutet nun angesichts all dessen Regieren? Die einfachste Möglichkeit besteht darin, sich mit einer oder vielleicht zwei zueinander offenen Fraktionen zu verbünden, wie es in erster Linie Autokraten und Populisten tun, die sich gern und erfolgreich der Fraktion der Leugner bedienen. In einer noch funktionierenden Demokratie dagegen heißt Regieren, die auseinanderstrebenden Fraktionen irgendwie auszubalancieren. Was daraus entsteht, wird zunächst als Chaos empfunden, wofür es kein treffenderes Bild als eine „Ampel-Koalition“ gibt – das heißt, ein regierungsförmiges Signalsystem, in dem die Lichter für Weiterfahren, Anhalten und Obachtgeben gleichzeitig aufleuchten.

      Was also wäre zu tun? Einen Konsens zu schaffen, ist innerhalb dieses auf Wettbewerb basierenden Systems weder in den Mikro-Organisationen der Gesellschaft noch im globalen Geflecht möglich: Wer etwas für den Klimaschutz tut, schwächt sich selbst und hilft dem Konkurrenten. Neun steigen aufs Fahrrad um und der Zehnte fährt sie mit seinem Zweit-SUV über den Haufen. Ein Land spart beim CO₂-Ausstoß so viel, dass sich das Nachbarland gern etwas mehr davon gönnen kann.

      Die Ausgangsposition für jeden Diskurs zur Klimaveränderung ist leicht beschrieben: 1. Die Katastrophe wäre nur abzuwenden, wenn wir radikale Maßnahmen ergreifen würden. 2. Das ist unmöglich, weil es a) „wir“ gar nicht gibt und b) die Folgen womöglich unberechenbarer wären als der Anlass. Die bestehende Ordnung der Welt zu retten ist wichtiger, als die Welt selbst zu retten, das leuchtet doch ein, oder?

      Was „wir“ (also ein Durcheinander von Wirs und Ichs und Interessen, Zwängen und Fantasien) brauchen, ist somit keine Lösung des Problems, sondern eine neue Erzählung, und das Zauberwort darin heißt: „Anpassung“. Interessant, wer sich in der Produktion dieser neuen Erzählung bisher so trifft: Springer-Chef Mathias Döpfner, ein Fernsehmoderator, bajuwarische Ministerpräsidenten und zwei Ökonomen im passenden Organ namens Der Spiegel. In den Aussagen all dieser Menschen wird der Begriff „Anpassung“ als magisches Mem verwendet und immer wieder in Gespräche und in Sätze geschmuggelt, unabhängig, ob das einen logischen Sinn ergibt oder nicht. Anpassung soll zum semantischen Zentrum der neuen Erzählung werden, deren Grundelemente rasch erklärt sind: Weder die radikale Leugnung noch der radikale Aktivismus sind mehrheitsfähig. Angesichts der Evidenz der Veränderung und der Unfähigkeit etwas gegen sie zu tun, bleibt nur als Ausweg: mit der Katastrophe agieren. Aus der Resignation heraus soll eine neue Perspektive gefunden werden, in der sich alle Fraktionen der Mitte treffen können.

      Söder lädt zum Praktikum
      Alle Vertreter der Anpassung-Erzählung (halten wir die Beobachtung, dass es sich, was die öffentliche Aufmerksamkeit anbelangt, ausschließlich um Männer handelt, für einen anderen Diskurs zurück) benutzen die Schulmeister-Rolle: Markus Söder lädt die Politiker anderer Regionen zum „Praktikum“ in Bayern ein, die Anpassungsökonomen Reiner Eichenberger und David Stadelmann erklären im Spiegel gleich in der Überschrift ihres Gastbeitrags: „So könnte Deutschland zum Klimavorbild werden“, und Markus Lanz inszenierte sich schon vergangenes Jahr im Herbst in seiner Sendung gleich als einer, der die Rotzlöffelinnen von der Letzten Generation mal gehörig abkanzelt: „Sie müssten Zutrauen haben zur Fähigkeit zur Anpassung“, herrscht er eine junge Vertreterin des Öko-Aktivismus an, und noch mehr verlangt er Zutrauen ins System, Zutrauen gar zu den Älteren. Seine Körpersprache indes zeigt: Die Anpassung, die er im Sinne hat, die hat nichts mit Zutrauen zu tun. Die verlangt Unterwerfung.

      So soll offensichtlich eine neue Dreieinigkeit des Konsenses entstehen: Anpassung als Generallinie – schließlich haben sich Menschen schon immer an veränderte Bedingungen angepasst (na ja, jedenfalls ein Teil), begleitet von regionalen und möglichst „netten“ Gesten (Bäume pflanzen, Bäche säubern statt Klebe-Aktionen, Grillwürste aus Soja, Designerhäuschen mit klimaneutralen Baustoffen) und retromanischem Progressismus: Zurück zur Atomenergie, und irgendwas mit Wasserstoff wird dann schon kommen. Flankiert wird sie von der militanten Ausgrenzung aller, die es wirklich ernst mit dem Klimaschutz meinen: Das Gebot der Anpassung funktioniert nicht ohne das Feindbild des Ökoterroristen.

      Auf die Erzählung der großen Krise folgt nun also die Erzählung der großen Anpassung, die, wenn man ihr auf den Grund geht, nichts anderes ist als eine Neuauflage des faschisierten Pseudo-Darwinismus. Anpassen an die fundamental veränderten Umweltbedingungen kann sich nämlich nur, wer die Mittel dazu hat. So hieß es etwa vonseiten der Anpassungsökonomen im Spiegel: „Zwar sind die Schäden durch Hitze, Wind, Sturmfluten, Meeresspiegelanstieg in absoluten Zahlen riesig (…). Doch relativ zur Wirtschaftsleistung betragen sie global betrachtet gemäß den allermeisten Studien ohne besonders scharfe Klimapolitik im Jahr 2100 nur etwa zwei bis sechs Prozent.“ Nachdem uns erklärt wurde, dass wir uns nicht so haben sollen, wegen menschlichem Leid und Verlust an Flora, Fauna und Lebenswelt, wenn es doch der Wirtschaft gar nicht mal so schlecht geht, wird die Idee der Anpassung nach dem alten techno-solutionistischen Prinzip propagiert: „Da die verwendeten Modellierungen zumeist die bisherigen Auswirkungen von eher kurzfristigen und lokalen Klima- und Wetterveränderungen erfassen und dann auf Klimaszenarien extrapolieren, unterschätzen sie zudem tendenziell die Anpassung von Mensch und Technik an den langfristigen und globalen Klimawandel.“

      Die große Erzählung von der Anpassung hat eine Kehrseite. Was ist mit denen, die sich nicht anpassen wollen, vor allem mit denen, die sich nicht anpassen können (vor allem, weil die Kultur der Anpassungsschulmeister ihnen dafür die Mittel geraubt hat)? Wissen wir doch von unserem Lieblingsfach, Wirtschaftskunde: Wer sich nicht anpasst, geht unter.
      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Geburtstagsbrief an meinen Körper

      Ich bin vor ein paar Tagen 67 Jahre alt geworden. Es gab einen Moment um zwei Uhr früh, als ich aufwachte und plötzlich die Leuchtziffer im Dunkeln vor mir sah: 67! Fast 70. Unheimlich. Eine Freundin fragte mich dann beim Geburtstagsbrunch, ob man mit Ende 60 im Sommer kurzärmelig herumlaufen dürfe. Von wegen Echsenhaut an den Armen und so. Der alte Mensch als Verschandelung in der Öffentlichkeit. In der nächsten Nacht schrieb ich den Brief an meinen Körper. Hier ist er:


      Lieber Körper!



      Jetzt hast Du 67 Jahre lang durchgehalten, danke dafür. Okay, das Klettern lasse ich inzwischen. Ich jogge auch nicht mehr, Deine Knie, lieber K., freuen sich über mehr Beschaulichkeit. Auf dem Tempelhofer Feld kann ich inzwischen das Löffelkraut von der Ackerwicke unterscheiden, da gehe ich gerne spazieren.

      Meine Einstellung zur Dir hat sich komplett geändert, weißt Du. Früher, vor 20 Jahren, bin ich tatsächlich mit einem Schönheitschirurgen ins Gespräch gekommen. Mit Botox solle man früh anfangen, damit sich die Stirnfalten nicht eingraben, sagte er. Ich habe nix machen lassen und auch deswegen sind wir zwei noch so gut befreundet miteinander, lieber K., Du und ich.

      Wie guten Freun­d:in­nen sehe ich auch Dir heute einiges nach. Echsenhaut an den Armen? Ist nicht schön, aber halt da. Weißt Du noch, wie ich vor 20 Jahren diesen hysterischen Anfall gekriegt habe wegen der Dellen an den Oberschenkeln? Ich fing an, mit einem Massagehandschuh und der Creme an den Beinen rumzurubbeln. Müssen wir heute beide drüber lachen, lieber K. Dein Gewebe ist halt weicher geworden, so what.

      Immerhin

      Immerhin hältst Du Dich noch gut. In der Dämmerung sehe ich zwar ohne Brille jetzt in der Ferne doppelt, aber den orangeroten Sonnenuntergang kann ich noch gut erkennen. Ich kann auf dem Fahrrad das Gleichgewicht halten. Ich weiß meistens noch die Vornamen, wenn ich alte Bekannte zufällig treffe.


      Meine Maßstäbe haben sich verändert, es ist, als hätte ich in den vergangenen Jahren einen riesigen Bilderrahmen durch die Gegend getragen und an anderer Stelle wieder aufgebaut. Wenn ich die Welt jetzt dadurch betrachte, wirkt sie anders als früher. Das Rauschen der Kiefernwälder – schöne Kindheitserinnerung. Das Blühen des Rhododendron-Hains – überwältigend. Ein überraschender Anruf einer lieben Freundin – herzerwärmend. Altwerden macht kitschig, lieber K.

      Ich bleibe weiter nett zu Dir, ich lass Dich nicht hungern und Du musst auch nicht mit dem Oberkörper hundertmal aus dem Liegen nach oben klappen, damit die Bauchmuskeln fester werden. Du bist noch da, das ist das Wichtigste. P. und V. und B. und D., die hatten nicht so viel Glück. Also, K., weiterhin auf gute Freundschaft. Morgen gehen wir zusammen in den Schlachtensee und lassen uns treiben. Es wird sonnig und warm. Herzlichst, Deine B.

      gefunden in: taz.de/Bodypositivity-statt-Ageism/!5940078/

      Hat mir gefallen :saint:
      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.

    • 80 Jahre Helmut Pfleger (gefunden Perlen vom Bodensee) Teil 1

      Die andauernden Bombenangriffe, die Zerstörung. Das Ausharren im Keller. Unter diesen Umständen wollte Elisabeth Pfleger 1943 in Berlin kein Kind zur Welt bringen. Die werdende Mutter verließ ihre Heimatstadt. Sie reiste in das vom Krieg weitgehend unberührte Teplitz-Schönau im Sudetenland, eine Stadt mit Schachtradition: 1922 Schauplatz eines Weltklasseturniers (Sieger: Reti und Spielmann), heute der Ort des jährlichen „Teplice Opens“. Dort wurde am 6. August 1943 Helmut Pfleger geboren.

      Arzt, Schachgroßmeister, Psychotherapeut, Kolumnist, Moderator, Autor. Helmut Pfleger hat zeitlebens viele Felder beackert, bei weitem nicht nur die 64 von a1 bis h8. Die breite Öffentlichkeit kannte und kennt ihn vor allem als den Schacherklärer aus dem Fernsehen. Von den frühen 80ern bis Mitte der 2000er war Helmut Pfleger das TV-Gesicht des deutschen Schachs. Bis zu eine Million Menschen schaute zu, wenn Pfleger, kongenial assistiert von Vlastimil Hort, Schachpartien erklärte. Und das möglichst langsam und simpel, damit jeder Anfänger vor dem Fernsehschirm mitkommt.

      Nicht wenige Schachexperten neigen zu demonstrativer Herablassung gegenüber ewigen Anfängern, die einfach nur gerne spielen, ohne je besser zu werden. Anfänger zum Beispiel, die nie von Rudolf Spielmann und Richard Reti gehört haben, aber mit Begeisterung Stafford-Gambit zocken und die Botez-Schwestern verwechslungsfrei beim Vornamen nennen können. Die heutige, mit dem Online-Boom aufgekommene Debatte um Elitismus im Schach hätte auch anhand der Pfleger-Sendungen in den 80ern und 90ern geführt werden können. Vielleicht ist sie das sogar in den Leserbriefspalten damaliger Schachzeitschriften


      Böse Briefe von königlichen Gralshütern hat Pfleger im Lauf der Jahre einige bekommen. Wer als Turnierschachspieler auf Erkenntnisgewinn hoffte, wer Schach zum Bildungs- und Kulturgut oder zur Wissenschaft erhöht sehen wollte, der war bei Pfleger und Hort falsch. „Möglichst einfach, plastisch, verständlich“ war das Credo der beiden, um ein möglichst breites Publikum zu erreichen, eines, dass Schach mehrheitlich einfach nur als Spiel sieht.


      Ohne Helmut Pflegers Sendung hätte nicht nur Felix Magath nicht zum Schach gefunden. Gegen 1.d4 spielt Magath offenbar Tarrasch-Verteidigung, die Eröffnung, die Helmut Pfleger zwei Schwarzsiege über den WM-Kandidaten Lew Polugajewski bescherte (siehe weiter unten).

      Felix Magath ist wahrscheinlich bei weitem nicht der Einzige, den Helmut Pfleger auf diese Weise fürs Schach gewonnen hat. Während einer Verletzungspause ans Bett gefesselt, schaute Fußballprofi Magath „Schach der Großmeister“, blieb dran und war bald besser als viele Vereinsspieler. „Helmut Pfleger hat den Zuschauern das Gefühl gegeben, mit am Brett zu sitzen und zu verstehen, was vor sich geht“, sagt Wissenschaftsautor Harald Zaun, ein anderer Prominenter, den Pfleger zum Schach gebracht hat.

      Zaun hat jetzt den mit 2×5.000 Euro dotierten „Kommunikatorpreis“ im Schach ausgeschrieben. Ohne Pfleger gäbe es diesen Preis nicht. Und säße er nicht in der Jury, Helmut Pfleger wäre vermutlich der erste Kandidat, ihn zu bekommen. Als Kolumnist für die Welt und die Zeit, als regelmäßiger Gast diverser Veranstaltungen kommuniziert er bis heute rund ums Schach. Und das ohne Handy, Notebook und Soziale Medien.


      Helmut Pfleger im Gespräch mit Johannes Fischer. Alle Pfleger-Zitate in diesem Text stammen aus diesem Gespräch, viele Fakten auch.

      „Aus der Zeit gefallen“ sei er, sagt er selbst, und wirkt recht zufrieden damit. Wahrscheinlich ahnt Pfleger, dass er mit seinen Kolumnen, mit seinen Büchern und als gefragter Gesprächspartner unverändert mehr Reichweite erzielt als die meisten digitalen Kommunikatoren im Schach. Pfleger zieht, das lässt sich an seinem jüngsten ChessBase-Gespräch mit Johannes Fischer sehen. Das Interview stieg binnen Tagen zum meistgesehenen Video des deutschen ChessBase-Kanals auf: gut 16.000 Zuschauer, fast dreimal so viele wie das Zweitmeistgesehene.

      Am Brett ein Bär

      Wer Helmut Pfleger nur als TV-Schachonkel kennt, den wird überraschen, wie stark Pfleger am Brett war. Top 50 der Welt, Nationalspieler, Großmeister. Tal geschlagen, Kortschnoi geschlagen (Bilanz 3:3), Polugajewski geschlagen (zwei Mal, jeweils mit Schwarz). Einer der beiden Siege über Lew Polugajewski, erzielt bei der Schacholympiade 1978 in Buenos Aires, hat historische Qualität: Es war der entscheidende Punkt zum Sieg der deutschen Amateure gegen die Übermannschaft aus der Sowjetunion

      In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewannen die Sowjets mit ihrer Riege aus (Ex-)Weltmeistern und WM-Kandidaten jede Schacholympiade – bis eben auf die 1978. Weil die Deutschen dank Pflegers Sieg die Sowjets geschlagen hatten, triumphierten dieses eine Mal die Ungarn.

      Wegen dieses sensationellen, prestigeträchtigen Erfolgs bekamen bzw. bekommen alle Mitglieder des ungarischen Siegerteams bis ans Lebensende eine staatliche Rente ausbezahlt. Kein Wunder, dass die alte Garde der ungarischen Großmeister Pfleger besonders gewogen ist. Zoltan Ribli hat seinem Freund Helmut gar die Patenschaft seiner Tochter angetragen.

      Seiner Erinnerung nach muss Helmut Pfleger etwa sechs Jahre jung gewesen sein, als er bei seinem Vater Robert abschaute, wie Schach geht. Die fünfköpfige Familie – Vater, Mutter mit den Kindern Gisela, Horst und Helmut – war gegen Ende des Kriegs nach Bamberg geflüchtet, wo der 1906 geborene Robert Pfleger zum zweiten Mal begann, einen pharmazeutischen Betrieb aufzubauen. Schon 1938 hatte der promovierte Chemiker sich selbstständig gemacht. Der Krieg und der Dienst in der Wehrmacht stoppten diesen ersten Versuch

      In Bamberg war der leidenschaftliche Schachspieler Robert Pfleger dem SC 1868 beigetreten. An der Blüte des Vereins in den 1960er- und 70er-Jahren haben die drei männlichen Mitglieder der Pfleger-Familie als Spieler wie als Funktionäre erheblichen Anteil. Gemeinsam mit dem 15 Jahre älteren Lothar Schmid, „mein Vorbild“, führte Helmut Pfleger seinen Heimatclub zu drei Deutschen Mannschaftsmeisterschaften 1966, 1976 und 1977.


      Schon 1963, noch titellos, wäre Pfleger in Bad Pyrmont beinahe Deutscher Einzelmeister geworden. Im Stichkampf unterlag er Wolfgang Unzicker 1,5:2,5. 1965 beendeten Unzicker und Pfleger den Wettbewerb erneut punktgleich. Diesmal brachte der Stichkampf keinen Sieger hervor. Alle vier Partien endeten remis.
      Die Verantwortlichen des Schachbunds forderten, die beiden sollten weiterspielen, bis ein Sieger gefunden ist. Dem verweigerten sich die Kontrahenten – mit der Folge, dass 1965 keiner von beiden Deutscher Meister wurde. Monate später muss den DSB-Funktionären aufgefallen sein, dass sich das Meisterschaftspatt auch intelligent auflösen lässt. Die erste Entscheidung wurde revidiert. Fortan teilten sich Pfleger und Unzicker den Titel Deutscher Meister 1965.

      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • 80 Jahre Helmut Pfleger Teil 2

      Oje der Pfleger

      Dass er so schnell so gut wurde, führt Pfleger allein auf sein Naturtalent zurück. An Training und Arbeit kann es jedenfalls nicht gelegen haben. „Oje, der Pfleger“, hört Helmut Pfleger seinen einstigen Nationalmannschaftskollegen Klaus Darga bis heute wispern, ein Szenario, das sich einstellte, sobald Darga ausgangs der Eröffnung seinem Mitspieler über die Schulter schaute – und schon wieder eine Ruine erblickte.


      „In der Eröffnung habe ich immer nur versucht zu überleben. Ich kannte keine Theorie“, sagt Pfleger. Und behauptet, dass dieses Defizit nicht zu reparieren war. Der eine Grund: „Mein notorisch schlechtes Gedächtnis, allein daran wäre es gescheitert. Zahlen und Sprachen, das geht einigermaßen. Ansonsten vergesse ich nahezu alles.

      Es mag Koketterie sein, wenn der hochgebildete Doktor mit seinem unerschöpflichen Fundus von Anekdoten und Erinnerungen aus acht Jahrzehnten das Sieb in seinem Kopf beklagt. Aber Pfleger nennt noch einen zweiten Grund, warum er nicht an seinem Schach gearbeitet hat, und der ist authentisch: „Ich war dazu gar nicht bereit. Ich habe ja so viel anderes gemacht.“

      Schach war und ist für Pfleger nicht mehr als „eine schöne Beschäftigung“ – die er freilich mit vollem Einsatz und aller Kraft betrieb, sobald er am Brett saß. Er bereut nicht, dass er nicht versucht hat, noch besser zu werden. „Dass ich kein Profi werde, war immer klar.“ Außerdem, trotz allen Naturtalents, erahnt Pfleger seine „natürlichen Grenzen“: „Für ganz oben hätte es nicht gereicht.“

      Todesangst: “Ich bin nicht geerdet”
      Nach der Schule studierte Pfleger Medizin bis zur Promotion 1971 in München, gefolgt von fünf praktischen Jahren ebendort. Trotz der gelegentlichen 80-Stunden-Woche im Klinikum Perlach absolvierte Pfleger parallel ein zweites Studium: Psychoanalyse und Psychologie.


      Dieses zweite Studium diente der Selbstfindung. Seiner makellosen Vita nach war der Mensch Helmut Pfleger in der Spur, seinem Gefühl nach nicht. „Mangelhaftes Empfinden meines Selbst“ machte ihm zu schaffen. „Ich fühlte, ich bin nicht geerdet.“
      „Todesangst“ habe ihn schon als Kind begleitet, sagt Pfleger. Weniger die Angst vor dem Sterben meint er, eher die davor, dass seine Existenz plötzlich für immer vorbei sein soll. Jahrzehntelang hat Helmut Pfleger an seiner seelischen Gesundheit gearbeitet, Gruppentherapien absolviert, sich seinen Ängsten
      gestellt, „um seelisch-psychisch die Füße auf die Erde zu bekommen“. Ein mitunter schmerzhafter Weg liegt hinter ihm.

      Manchen Wegbegleiter, auch manchen Patienten seiner Münchner Praxis, die er bis 2010 betrieb, hat er nach der Angst vor dem Tod gefragt. „Weil es mich selbst so interessierte.“ Pfleger nahm überrascht zur Kenntnis, dass die Angst der meisten Befragten anders gelagert war als seine eigene: tot sein, okay, das passiert, aber bitte nicht qualvoll sterben.
      Mit den Jahren sei seine Todesangst unmerklich geschwunden. „Heute ist sie nicht mehr da“, sagt Pfleger – und zögert. Die Angst mag gegangen sein, die Zweifel, ob er sich etwas vormacht, nicht vollständig. „Wie wird es sein, wenn Bruder Hein an die Tür klopft?“

      977 klopfte Helmut Jungwirth. Der NDR-Redakteur und Karpow-Vertraute sollte 1985 in die Schlagzeilen geraten, als Anatoli Karpow in Deutschland Strafanzeige gegen ihn erstattete. Jungwirth hatte rund eine halbe Million Dollar veruntreut, die Karpow als Honorar für Schachcomputer-Werbung zustanden. Drei Jahre später wurde Jungwirth verurteilt. „Teilweise unredlich, aber auch erfindungsreich“ hat Pfleger Jungwirth in Erinnerung.

      Eine von Jungwirths Erfindungen: Schach im Fernsehen. Jungwirth wollte deutsche TV-Zuschauer gegen Großmeister spielen lassen, jede Woche ein Zug, um den herum Jungwirth ein kurzes Schachformat für die dritten Programme strickte. Unzicker, Schmid, Hecht, Pfleger – fast alle deutschen Großmeister machten mit.


      Pfleger war der Einzige, der Ehrgeiz entwickelte. „Mir war das für mein Ego unheimlich wichtig. Ich wollte möglichst viel davon“, sagt Pfleger. Er wurde Stammgast im Fernsehen; der Anfang seiner Karriere als TV-Gesicht des deutschen Schachs. Und, bald, das Ende seiner Karriere als Wettkämpfer am Brett.
      Vor der Schacholympiade 1984 musste Helmut Pfleger eine fundamentale Entscheidung treffen: entweder mit der Nationalmannschaft in Thessaloniki spielen oder im Fernsehen darüber berichten. Pfleger entschied sich fürs Fernsehen, „das war mir letztlich wichtiger“. Für den NDR gestaltete und moderierte er die wöchentliche Sendung über den WM-Kampf 1984/85, dazu das WDR-Format.

      Im Turnierschach folgte eine „quälende Absetzbewegung“. Einerseits wollte Helmut Pfleger nicht mehr spielen und schon gar nicht dafür
      hunderte Kilometer durch die Gegend fahren müssen, andererseits fühlte er sich seinen Bambergern verpflichtet, speziell seinem Bruder, der sich
      im Vorstand engagierte. Bis Mitte/Ende der 90er blieb PflegerMannschaftsspieler in Bamberg.


      Die Absetzbewegung bei „Schach der Großmeister“ lief andersherum. Nicht Pfleger setzte sich ab, sondern das Fernsehen – und das trotz ordentlicher Quote, trotz denkbar günstiger Produktion, sogar trotz zwischenzeitlicher Intervention des Bundespräsidenten, wie Pfleger 2005 im Gespräch mit dem Schreiber dieser Zeilen berichtete.Beim WDR wanderte das Schachformat nach und nach auf nächtliche Sendeplätze, bis es der Sender ganz einstellte. „Ich hätte gerne weitergemacht“, sagt Pfleger. Als er ein letztes Mal beim Redaktionsleiter vorsprach, um für seine Sendung zu kämpfen, erklärte der ihm, für Schach gebe es ja jetzt das Internet.


      Originaltext: perlenvombodensee.de/2023/08/06/80-jahre-helmut-pfleger/


      Hier findet man auch you-tube-videos, z.B. von der partie Kasparow gegen Magath, ein Gespräch mit Pfleger und vieles andere.


      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Verzicht...

      Sich einschränken? Ja, aber bitte zuerst die anderen: Verzicht hat einen schlechten Ruf – dabei mache er uns erst zu Menschen, sagt der Philosoph Otfried Höffe


      Wir haben alles und wollen noch mehr. Nur kann das kaum so bleiben. Umweltprobleme, Krieg, Flüchtlingskrise und Energieknappheit dürften uns zu Einschränkungen zwingen. Zeit, darüber nachzudenken, was Verzicht bedeutet.

      «Können die Deutschen verzichten?», fragte die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» im Sommer des vergangenen Jahres zwölf Autorinnen und Autoren. Strommangellage und Gasknappheit waren damals die Schlagworte der Stunde, die Angst vor einem Winter in ungeheizten Wohnzimmern oder einer Einschränkung des Bahn- und Busverkehrs ging um. Und interessanterweise gab keiner der zwölf Texte wirklich eine Antwort auf die Frage.

      Dafür gab es viel krudes Geschwätz. Grundsätzlich würde man zwar vielleicht schon verzichten können, war da verklausuliert zu lesen, aber eigentlich halt doch eher nicht. Und vor allem: Warum soll man verzichten, wenn die internationalen Grosskonzerne trotz Krieg und Klimakrise nichts Gescheiteres zu tun haben, als Steuerschlupflöcher zu suchen und Gewinne zu maximieren? Darum ging’s zwar nicht, aber auf die böse Wirtschaft zu schimpfen, lag den Schriftstellerinnen und Schriftstellern von Sibylle Berg bis Katja Petrowskaja offensichtlich näher, als sich ernsthaft mit der Frage zu befassen, was das bedeuten könnte: auf etwas verzichten.

      Leben heisst verzichten
      Das ist symptomatisch. Sich einschränken? Klar, aber bitte zuerst die anderen. Verzicht steht in schlechtem Ruf. Davon geht auch Otfried Höffe in seinem neuen Buch, «Die hohe Kunst des Verzichts», aus. Im Untertitel verspricht der Essay des emeritierten Tübinger Philosophen eine «kleine Philosophie der Selbstbeschränkung» zu liefern. Das tut er. Aber auf seine eigene Weise. Und um zur Frage zu kommen, was Verzicht konkret heissen soll, angesichts von Wirtschaftskrise, Umweltzerstörung und globaler Verunsicherung, muss man sich fast bis zum Ende des Buchs durchlesen.

      Das ist gut so. Höffe geht das Thema grundsätzlich an, leitet es philosophiegeschichtlich von den Bedingungen ab, denen das menschliche Leben unterworfen ist, und zeigt: Ohne Verzicht geht nichts. Leben heisst verzichten. Weil Menschen Mängelwesen sind und weil nie alle Bedingungen erfüllt sind, die für ein verzichtsfreies Leben idealerweise herrschen müssten. Aber auch weil die Fähigkeit zum Verzicht uns erst zu dem macht, was wir sind. Der Mensch, sagt Höffe, werde zum Menschen, indem er verzichte.

      Keine Gesellschaft, kein Staat
      Bei Tieren ist die Fähigkeit zur freiwilligen Selbstbeschränkung in Ansätzen angelegt. Die Bereitschaft, Ansprüche bewusst und freiwillig abzugeben, zeichnet allerdings vor allem den Menschen aus. Otfried Höffe entwickelt den Begriff des Verzichts in anthropologischer und politischer Perspektive. Jede Gesellschaft lebt davon, dass Individuen bereit sind, private Interessen zugunsten der Allgemeinheit zurückzustellen. Ohne geregeltes Abtreten von Rechten ist kein Staatswesen möglich.
      Dass der Mensch das Wesen ist, das verzichten kann, heisst allerdings nicht, dass er es gerne tut. Und es heisst auch nicht, dass jeder Verzicht sinnvoll wäre. Nicht das letzte Verdienst dieses Buchs liegt darin, zu zeigen, wie schillernd der Begriff ist. Und wie vielfältig die Konzepte, die dahinterstecken können.


      In Otfried Höffes bisweilen verzweigten Gedankengängen bieten die Überlegungen zu Pandemie, Umweltproblemen, Krieg, Flüchtlingskrise und Energieknappheit den Anwendungsfall. Lässt sich der westliche Lebensstandard halten? Ist Wachstum noch ein taugliches Konzept für die Zukunft?


      Möglicherweise ja, aber wir kommen nicht darum herum, darüber nachzudenken, was verzichten bedeutet. Und ob wirklich immer die anderen damit anfangen müssen.


      Otfried Höffe: Die hohe Kunst des Verzichts. Kleine Philosophie der Selbstbeschränkung. C.-H.-Beck-Verlag, München 2023. 192 S., Fr. 29.90.

      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Alles wird gut – Zur Dialektik der Hoffnung Teil 1


      Konrad Paul Liessmann veröffentlicht am 28 September 2023 11 min


      Das Thema des diesjährigen Philosophicum Lech war die Hoffnung in all ihrer Ambivalenz. Lesen Sie hier den Eröffnungsvortrag des Philosophen Konrad Paul Liessmann.

      Es gibt Begriffe, die lechzen geradezu danach, sich in einem Kalenderspruch oder Sprichwort wiederzufinden. Zu diesen zählt zweifellos und prominent die Hoffnung. Wer im Internet kurz nach Zitaten zur Hoffnung sucht, wird auf Anhieb mit mehreren hundert Fundstellen beglückt. Auch wir beginnen deshalb mit einer alten Weisheit. Dum spiro spero – Solange ich atme, hoffe ich. Diese Sentenz gehört wahrscheinlich zu den meist zitierten Sätzen der Antike, sie wird gemeinhin Marcus Tullius Cicero zugeschrieben. Recherchiert man ein wenig dazu im Internet, wird man darauf verwiesen, dass diese Formel unvollständig sei, und im Original laute: Dum spiro spero / Dum spero amo / Dum amo vivo – Solange ich atme, hoffe ich / solange ich hoffe, liebe ich / solange ich liebe, lebe ich.

      Der Leser stutzt. Das klingt eher nach der christlichen Einbettung der Hoffnung in die Liebe, weniger nach einem römischen Staatsmann. Sieht man sich die als Quelle genannten Briefe an Atticus genauer an, bestätigt sich dieser Vorbehalt. Dort schreibt Cicero, bezugnehmend auf eine politisch-militärisch prekäre Lage, ziemlich lakonisch: „Wie man sagt, dass ein Kranker, solange er Atem hat, Hoffnung hat, so habe ich, solange Pompeius noch in Italien stand, nicht zu hoffen aufgehört.“ Hier ist nicht von Liebe und Leben, sondern von Bürgerkrieg und Tod die Rede. Aus dem können wir zweierlei lernen: Traue nie dem Internet, überprüfe alles. Und: Wir denken uns, ohne es uns stets bewusst zu machen, die Hoffnung gerne in einem theologisch angehauchten Kontext. Mittlerweile darf zwar der Glaube fehlen, doch die Liebe ist unverzichtbar!

      „In den Akten des Hoffens und Fürchtens erfahren wir uns als Wesen“

      Diese Assoziation verbindet die Hoffnung mit dem moralisch Guten und Erstrebenswerten. Die Frage, ob sich die Hoffnung mit negativen Gefühlen wie Gier, Neid oder Hass verbinden kann, wird ungern gestellt, obwohl sie auf der Hand liegt. Auch der Kriminelle hofft, dass sein Verbrechen gelingt und unentdeckt bleibt, auch der Terrorist hofft, dass sein Anschlag die gewünschte Wirkung, die Verbreitung von Angst und Schrecken, zeitigt. Ähnliches gilt für weniger drastische Fälle: Wer, der in einem politischen oder ökonomischen Konkurrenzkampf steht, hofft nicht auf einen Fehler des Mitbewerbers, auf Enthüllungen, Skandale, die Aufdeckung von Jugendsünden? Vorab zumindest sollten wir vom Pathos, das den Begriff der Hoffnung gerne umgibt, einmal absehen.

      Was tut jemand, der hofft? Das schöne deutsche Wort „Hoffen“ ist etymologisch nah mit dem „Hüpfen“ verwandt. Wer hofft, ist in unruhiger Erwartung in Hinblick auf ein kommendes Ereignis. Wir hoffen, dass der Mensch, mit dem wir uns verabredet haben, auch tatsächlich kommt, und sind, je länger dieser auf sich warten lässt, dementsprechend unruhig. Die innere Bewegtheit der Hoffnung indiziert, dass diese prinzipiell zukunftsgerichtet ist. Hoffnung ist eine Form, sich emotional auf ein positiv gedachtes Zukünftiges einzustellen. Das Gegenteil ist die Furcht. Diese erwartet von der Zukunft das Schlimme. In beiden Emotionen verschränken sich Gegenwart und Zukunft: Ich hoffe oder fürchte mich jetzt, aber erst die Zukunft wird zeigen, ob sich das Hoffen erfüllt oder das Befürchtete eintritt. In den Akten des Hoffens und Fürchtens erfahren wir uns als Wesen, denen etwas bevorsteht. Lebten wir in reiner Unmittelbarkeit – wie man sie lange den Tieren zugeschrieben hat – gäbe es für uns im strengen Sinn nichts zu hoffen – aber auch nichts zu befürchten. Aus dieser Perspektive ist die These zu verstehen, dass der Mensch das einzige Wesen ist, das hoffen kann.

      In welches Verhältnis zur Zukunft setzen wir uns durch den Modus des Hoffens? Und lassen sich dabei verschiedene Formen und Intensitäten unterscheiden? Solange ich atme, hoffe ich. Dieses Sprichwort trifft einen entscheidenden Punkt: Wir können uns die Hoffnung und das aktive Hoffen aus unserem Leben kaum wegdenken und selbst alltägliche und wenig dramatische Verrichtungen werden davon begleitet. Wir hoffen, dass ein Ansuchen korrekt ausgefüllt wurde, eine Urlaubsreise erholsam sein möge, ein Kind seine Prüfung besteht, die Partei, der wir unsere Stimme gegeben haben, auch die Wahl gewinnt. Dieses ubiquitäre Hoffen bezeichne ich als „kleinere Hoffnung“. Sie geht uns leicht über die Lippen, ist oft nicht mehr als eine Höflichkeitsformel, eine Floskel, und enthält doch eine entscheidende Einsicht: dass wir nie vollständig über die Zukunft verfügen können. Wer die Erwartung des Zukünftigen im Modus der Hoffnung beschreibt, signalisiert anderes als derjenige, der vorgibt, über die Zukunft uneingeschränkt verfügen zu können. Angesichts einer politisch schwierigen Situation zu sagen „Wir schaffen das“ ist etwas anderes als ein „Ich kann nur hoffen, dass wir das schaffen“. Einem auftrumpfenden Allmachtsgefühl steht eine Haltung gegenüber, die weiß, dass wohl manches, beileibe aber nicht alles in unserer Macht steht – wie schon der spätantike Stoiker Epiktet lehrte. Doch stoizistische Selbsterkenntnis gehört nicht zu den Tugenden aktueller Politik.

      Gefährliches Hoffen
      Darauf zu hoffen, dass es Auswege aus persönlichen und gesellschaftlichen Krisen geben möge, darf allerdings nicht mit diesem Ausstrahlen routinierter Zuversicht verwechselt werden. Es gibt einen Umgang mit Zukunft, der uns existentiell betrifft und den ich in Anlehnung an den Titel eines einstmals berühmten Romans von Ilse Aichinger die „größere Hoffnung“ nennen möchte. Diese ist von dem Wissen grundiert, dass wir der Zukunft gegenüber bestenfalls mit Wahrscheinlichkeiten rechnen können. Da die Zukunft offen ist, beschreiben alle Prognosen und Modellrechnungen nur Möglichkeiten, aber keine Notwendigkeiten, nur mehr oder weniger gut argumentierbare Plausibilitäten, aber keine Gewissheiten. Erführen wir unser Leben als vollständig determiniert, ohne Freiheit und ohne Zufall, erübrigte sich ebenfalls jedes Hoffen.

      Hoffen bedeutet, daran zu glauben, dass das Unwahrscheinliche gegen alle empirischen und vernünftigen Gründe dennoch eintreten könnte. Oder umgekehrt: Wie oft hoffen wir, dass Ereignisse, die allen Beobachtungen und Berechnungen nach wahrscheinlich eintreten werden, dann doch ausbleiben. Diese Hoffnungen speisen sich aus jenen Erzählungen, die davon berichten, dass es das Unvorhersehbare gibt: den schwarzen Schwan, die Spontanheilung einer unheilbaren Krankheit, das Wunder des Überlebens in einem verschütteten Stollen.

      In einer prekären oder ausweglosen Situation zu hoffen, kommt dem Eingeständnis gleich, dass die Abwendung des Unabwendbaren außerhalb des Horizonts unserer berechtigten Erwartungen und möglichen Handlungen liegt. Das heißt nicht, dass Hoffen – wie oft behauptet – zur Passivität verleitet, das heißt nur, dass es für unsere Anstrengungen und Versuche keinerlei Erfolgsgarantie gibt. Wer die kleinste Chance erkennt, wird nicht hoffen, sondern diese ergreifen. Zu hoffen bedeutet hingegen, dass wir nicht wissen, wie es weitergehen soll. Wir hoffen auf einen Ausweg, obwohl sich keiner zeigt. Wir hoffen auf die Tatkraft anderer Menschen, auf den Zufall, auf einen Gott, der uns retten möge. Das kann bedeuten: Wir leisten Widerstand. Lassen uns nicht einschüchtern. Kämpfen weiter. Harren aus. Warten.


      Die Dialektik der Hoffnung zeigt sich nicht zuletzt darin, dass Hoffnung auch, ja vor allem dort ansetzen kann, wo bei Abwägung der Umstände alles verloren scheint. Kalkulierbare Erfolgsaussichten gehören nicht zur Logik der Hoffnung. Im Roman Wilderer des österreichischen Autors Reinhard Kaiser-Mühlecker heißt es einmal über die Einstellung der Hauptfigur zum Leben: „Entsprach nicht genau das seiner Vorstellung von Hoffnung? Nicht etwas zu tun, weil man gewiss war, es werde gut ausgehen, sondern weil es Sinn ergab?“ Der Protagonist dieser Erzählung paraphrasiert damit einen berühmten Satz des tschechischen Dichters und Politikers Václav Havel: „Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.“ Wer hofft, glaubt nicht, dass alles gut wird; wer hofft, hält es für sinnvoll, an das Gute zu glauben, auch wenn alles böse enden könnte. Das macht die Hoffnung nicht nur stark, das macht sie auch gefährlich – wenn der Sinn zur Ideologie wird, dem die Wirklichkeit geopfert wird.
      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.

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    • 2. Teil


      Die Rolle der Geduld

      Wir können nicht nur uns, wir können auch anderen Menschen Hoffnungen machen. Diese reichen von vagen Andeutungen bis hin zu Versprechungen, deren Einlösung immer wieder hinausgezögert wird. Womöglich wird unterschätzt, welche konstitutive, mitunter auch fatale Rolle das Erwecken von Hoffnungen für die Beziehungen und das Zusammenleben von Menschen spielt. Solange jemand auf einen anderen hoffen kann oder hoffen muss, bleibt er in dessen Bann und wird in den Modus des Wartens versetzt. Hoffenden wird Geduld abverlangt. Das gilt in Partnerschaften ebenso wie zum Beispiel für das Verhältnis zwischen einem Patienten und seinem Arzt. Das Aufrechterhalten von Hoffnungen kann deshalb auch zu einer politischen Strategie werden, auch und gerade dann, wenn vollmundig etwas für die Zukunft garantiert wird. Garantien, die niemand garantieren kann, sind die politische Erscheinungsform der Hoffnung. Erfüllen sich solche Hoffnungen nicht, sind wir mit dem höchst interessanten und paradoxen Phänomen der enttäuschten Hoffnung konfrontiert. Wie kann man, so müsste man sich fragen, von einer Hoffnung enttäuscht sein, wenn das Wesen der Hoffnung im Wissen besteht, dass es weder moralische noch rechtliche, weder sachlich gerechtfertigte noch vernünftig argumentierte Ansprüche auf etwas Erhofftes gibt?


      Auch wenn Hoffnungen mit dem Unwahrscheinlichen konfrontiert sind, finden sich in der Regel Gründe, Hinweise, wenigstens zarte Andeutungen, die unserem Hoffen eine gewisse Berechtigung geben. Wir sind deshalb offen für alle Anzeichen in unserem Leben und in der Welt, die uns zuversichtlich stimmen. Vom Licht am Ende des Tunnels bis zum Silberstreif am Horizont reicht das Arsenal der Metaphern, mit denen wir uns an die Zukunft anschmiegen. Was aber, wenn wir hoffen, und alles bleibt im Dunkeln, im Reich der Schatten? Es gibt eine dritte Form der Hoffnung, die an die „radikale Hoffnung“ Jonathan Lears erinnert: „Diese Hoffnung ist genau deswegen radikal, weil sie sich auf eine Güte richtet, die das gegenwärtige Vermögen übersteigt, einzusehen, worin sie besteht.“ Es ist die Hoffnung, die sich nicht nur auf das Reich des Möglichen und Unwahrscheinlichen bezieht, sondern auf eine absolute Ungewissheit, auf eine Situation, in der wir von uns, von dieser Welt und ihren Bewohnern nichts mehr zu erhoffen haben. Es ist jene Hoffnung, auf die sich Immanuel Kant in seinen berühmte Fragen, die das weite Feld unseres Denkens und Handelns abgrenzen, bezieht: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch? Die Beantwortung der dritten Frage überantwortete Kant der Religion, und das gibt dieser Frage ihren radikalen Sinn: Was dürfen wir angesichts unserer Endlichkeit, unserer Sterblichkeit, unseres Leidens, was dürfen wir über den Tod hinaus hoffen?


      Eine lockende Frucht

      Diese radikale Hoffnung wird absolut, wenn sie sich dem Absoluten aussetzt, ohne jede Gewähr. Wir hoffen gegen alle Vernunft, gegen alle Erfahrung, gegen alle Wahrscheinlichkeit. Es gibt selbst für gläubige Menschen keine Mechanik, die eine Seele, die sich redlich um das Gute bemüht hat, mit Notwendigkeit ins Paradies katapultiert – der Ablasshandel hat nur in seinen irdischen Dimensionen einigermaßen funktioniert. Die Pointe bei Kant: Wenn wir uns der Glückseligkeit durch unsere moralische Integrität würdig erweisen, dürfen wir auf sie hoffen. Der Akzent liegt auf dem Dürfen. Dass uns das Hoffen erlaubt ist, garantiert keinen Erlösungsanspruch. Böse Menschen haben hingegen nicht einmal das Recht zu hoffen. Deshalb steht über Dantes Inferno, in das alle Übeltäter verbannt werden, der Satz: „Lasst, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren.“

      Lasst alle Hoffnung fahren. Gilt dies nur für die Hölle? Oder wäre es ob ihres theologischen Hintergrundes nicht vernünftiger, zumindest der radikalen Hoffnung im irdischen Leben eine Absage zu erteilen? Kommt in der Hoffnung nicht eine Blindheit zum Ausdruck, die einen nüchternen Blick auf sich selbst, auf den Menschen und die Welt nicht mehr zulässt? Kann Hoffnung nicht auch eine Trotzreaktion sein, die sich allen unangenehmen Einsichten verweigert? Erwarten wir uns von jeder Hoffnung nicht zu viel? Und gibt sie uns nicht immer zu wenig? Läuft nicht jede Hoffnung Gefahr, in einem Warten zu erstarren, das uns der Zukunft gegenüber nicht zuversichtlich, sondern unsicher und verzagt erscheinen lässt?

      Scharf ging der dänische Philosoph und Theologe Sören Kierkegaard mit der Hoffnung ins Gericht. Die Hoffnung ist für Kierkegaard wie „ein neues Kleid, steif und stramm und glänzend, man hat es jedoch niemals angehabt, und weiß darum nicht, wie es einen kleiden wird oder wie es sitzt“. Im Gegensatz zu konkreten Plänen, präzisen Vorstellungen, erfahrungsgesättigten Handlungen bleibt die Hoffnung ihrem Wesen nach vage. Man hofft, weiß aber im Grunde nicht, auf was. Aber gut soll es werden. Die Hoffnung, so Kierkegaard, „ist eine lockende Frucht, die nicht satt macht“. Der Hoffende lebt im Ungefähren, entbindet sich von der Verantwortung des Tuns. Deshalb kann Kierkegaard ein vernichtendes Urteil über die Hoffnung fällen: „Wer nichts als hoffen will, ist feige.“


      Das Unwahrscheinliche im Blick

      Wiederum anders setzt Friedrich Nietzsche seine Kritik an der Hoffnung an. Natürlich, es gibt bei Nietzsche alles, so auch gerne zitierte Verklärungen der Hoffnung. In einem Fragment findet sich die poetische Formulierung: „Die Hoffnung ist der Regenbogen über den herabstürzenden jähen Bach des Lebens, hundertmal vom Gischt verschlungen und sich immer von neuem zusammensetzend, und mit zarter schöner Kühnheit ihn überspringend, dort wo er am wildesten und gefährlichsten braust.“ Das Bild des Regenbogens verweist aber schon auf den illusionären Charakter der Hoffnung, den Nietzsche später scharf konturierte. Als Altphilologe kennt er den Mythos von der Büchse der Pandora und deutet diesen folgendermaßen: „Zeus wollte nämlich, dass der Mensch, auch noch so sehr durch die anderen Übel gequält, doch das Leben nicht wegwerfe, sondern fortfahre, sich immer von Neuem quälen zu lassen. Dazu gibt er dem Menschen die Hoffnung: sie ist in Wahrheit das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert.“


      Nietzsche wusste um die Fallstricke der Hoffnung, vor allem, wenn wir in großem Stil auf ein besseres Leben, eine menschenfreundlichere Zukunft, einen geretteten Planeten hoffen. In Menschliches, Allzumenschliches findet sich ein hellsichtiger Aphorismus, der eines der verborgenen Motive unserer politischen Hoffnungen freilegt: „Unsere gesellschaftliche Ordnung wird langsam wegschmelzen, wie es alle früheren Ordnungen getan haben, sobald die Sonnen neuer Meinungen mit neuer Glut über die Menschen hinleuchteten. Wünschen kann man dies Wegschmelzen nur, indem man hofft: und hoffen darf man vernünftigerweise nur, wenn man sich und seinesgleichen mehr Kraft in Herz und Kopf zutraut, als den Vertretern des Bestehenden. Gewöhnlich also wird diese Hoffnung eine Anmaßung, eine Überschätzung sein.“ Wir können nur hoffen, bei all unseren Hoffnungen dieser Anmaßung, dieser Überschätzung zu entgehen. Aber auch diese Hoffnung hofft auf das Unwahrscheinliche.






      philomag.de/artikel/alles-wird…ur-dialektik-der-hoffnung


      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Kindern Respekt beibringen”: die Schachrevolution auf Korsika und ihr Weltmeister

      Das Schachwunder von Korsika begann 1978 in einer Zelle des Pariser Hochsicherheitsgefängnisses „La Santé“, als Léo Battesti nicht einschlafen konnte. Wegen eines versuchten Bombenanschlags auf eine Finanzbehörde war der korsische Unabhängigkeitskämpfer zu neun Jahren Haft verurteilt worden. Seine erste Nacht als Häftling „war außergewöhnlich“, erzählte Battesti unlängst dem Guardian: „Ich versuchte zu schlafen, aber da war dieses Klopfen: tok-tok-tok!“

      Andere Häftlinge erklärten ihm, was er nachts hörte: zwei einsitzende KGB-Spione, die per Morsecode von Zelle zu Zelle Schach spielen… Schach! Das hatte Battesti früher auch gespielt. Er besorgte sich ein Brett und Bücher und begann, Fernschach zu spielen, anfangs ein Zeitvertreib gegen die Langeweile in der Zelle. Später organisierte Battesti ein Gefängnisturnier im Zellenblock für politische Gefangene. “Das einzige internationale Turnier, das ich gewonnen habe“, sagt er rückblickend.

      Schach sollte zu Battestis ständigem Begleiter werden, zu seiner Mission sogar. Das vorläufige Ergebnis dieser Mission: Auf Korsika spielen heute 7.000 der 340.000 Einwohner organisiert Schach, prozentual mehr als 25-mal so viele wie auf dem französischen Festland, Tendenz steigend. Schach ist als Schulfach etabliert, das korsische Schach-Curriculum auf dem Weg zum Exportschlager.

      Ihren ersten Großmeister hat die Insel seit 2021, als Marc-Andria Maurizzi sich 14-jährig – jüngster französischer GM jemals – den Titel sicherte. Jetzt hat Korsika sogar einen Weltmeister. Maurizzi, mittlerweile 16, hat am Sonntag die Juniorenweltmeisterschaft gewonnen – vor den Elofavoriten und deutlich älteren Hans Niemann und Frederik Svane.

      Die Korsen zu guten, gar zu groß- und weltmeisterlichen Schachspielern zu machen, war nie das Anliegen von Battesti. Hauptsache, sie spielen. Der Mann, der einst zu den Waffen rief, hat eine erstaunliche Wandlung durchlaufen – zu einem Mann, der seine Mitbürger an die Bretter ruft. Heute sieht Battesti die Beschäftigung mit Schach als „kleine Schule der Staatsbürgerschaft“. Nicht mit Waffen, sondern mit dem Kopf und ihrer Individualität sollen die Korsen die Entwicklung ihrer Gesellschaft prägen.

      1975 war Battesti, mit einer Schrotflinte bewaffnet, Teil der Gruppe, die ein Weingut in Aléria an der Ostküste der Insel besetzte. Die antikolonialistischen Kämpfer für die korsische Autonomie wollten Winzer enteignen, die von der Pariser Regierung nach dem Algerienkrieg Land auf der Insel bekommen hatten. Die Regierung fühlte sich provoziert, hunderte Polizisten rückten an. Es kam zu einem Feuergefecht, zwei Polizisten starben.

      Als Folge dieses „Dramas von Aléria“ gründete sich 1976 die militante korsische Befreiungsbewegung FLNC, zu deren Mitgründern Battesti gehört. Nach fast dreijähriger Haft begnadigte ihn 1981 Präsident François Mitterand. Battesti entsagte dem bewaffneten Kampf: “Wenn man sich in einem System Gewalt befindet, kann man immer nur monströs sein. Und je politischer man ist, desto monströser ist man.” Diese Monströsität sah er als unvereinbar mit einer zivilen, demokratischen Entwicklung Korsikas.

      Battesti wurde Politiker, durchaus einer, der auf die Selbstbestimmung seiner Insel pocht, nicht aber auf die vollständige Unabhängigkeit der ärmsten Region Frankreichs mit ihrer von Rebellion gegen die Zentralmacht gezeichneten Geschichte. Von 1986 bis 92 war Battesti Abgeordneter im korsischen Parlament. Ihm ging zunehmend auf, dass dieses Spiel, das er 1978 im Gefängnis wiederentdeckt hatte, für seine Mitbürger von Wert sein sollte.

      Die Korsen leben in einem über die Jahrhunderte etablierten, schwer aufzuweichenden System von Clans, deren Anführer die Dinge am liebsten unter sich regeln, ohne dass sich eine Autorität von außen einmischt. Schach mag ein Werkzeug sein, das hilft, dieses System aufzubrechen. Laut Battesti lehrt es „die Fähigkeit, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen“.

      Als Battesti Ende der 90er-Jahre aus der Politik ausschied, erweckte er den korsischen Schachklub in Bastia neu, damals ein verrauchter Club alter Männer. 1998 entstanden die korsische Schachliga und das damit verbundene Schulprogramm. Den ersten Schachunterricht hielt Battesti in der „Toga-Schule“ ab – direkt gegenüber der Finanzbehörde, vor der 1978 sein mit Plastiksprengstoff beladener Renault 12 explodieren sollte.

      An dieser Schule fiel vor zehn Jahren dem Schachlehrer Boris Brunel ein außergewöhnlicher Junge auf, einer, dessen Aufmerksamkeit nie ermüdete, der von Schach nicht genug bekommen konnte, der rasant besser wurde. Brunel machte den Verband auf dieses Ausnahmetalent aufmerksam. Seitdem ist der Name Marc-Andria Maurizzi im französischen Schach ein Begriff.

      Battesti (69) hat die Präsidentschaft der korsischen Schachliga 2020 abgegeben. Sein Nachfolger Akkhavanh Vilaisarn hat Struktur und Lehrplan modernisiert, die Ausbildung von Lehrern und nicht zuletzt das Wachstum der Bewegung forciert. Es bleibt dabei, dass das Ziel der korsischen Schachrevolution nicht darin besteht, Eloriesen zu züchten.

      Wir wollen “auf unsere Weise zur Bildung der Bürger von morgen beitragen“, sagte Vilaisarn dem Guardian. „Ob die Kinder stark im Schach sind oder nicht, ist für uns zweitrangig. Es geht darum, Schach als eine Art Rückgrat zu benutzen, um den Kindern Respekt beizubringen: vor den Regeln und vor anderen.”

      Großmeister heranzüchten wollte er eh nie, die Schach-Präsidentschaft hat er längst niedergelegt, aber das hält Léo Batttesti nicht vom Jubel über den Erfolg seines jungen Landsmannes ab.


      Ganzer Artikel: perlenvombodensee.de/2023/10/0…sika-und-ihr-weltmeister/
      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • „Es sind immer mehr Frauen dabei“


      taz: Frau Rath, herzlichen Glückwunsch! Sie haben gerade Ihren Titel als Schachboxweltmeisterin verteidigt. Vor drei Jahren haben Sie bereits die erste WM für Frauen gewonnen.

      Alina Rath: Danke, ich muss das erst einmal verarbeiten. Es ist einfach surreal. Ich freue mich tierisch und ich bin total stolz. Ich habe lange trainiert und war auf Diät. Ich liebe Süßigkeiten und habe gelitten, weil ich keinen Kuchen essen durfte. Und man opfert viel Zeit.

      Was ist Schachboxen überhaupt?

      Eine Hybridsportart. Wir starten mit einer Schachrunde von drei Minuten, die eingefroren wird, wenn es noch kein Matt gibt. Es folgt nach einer kurzen Pause für das Anziehen der Handschuhe eine Boxrunde und so weiter. Aber nach der Boxrunde ist die körperlichen Belastung stark, dann passieren am Brett die meisten Fehler, weil der Puls hoch ist. Die Fokussierung ist schwierig, das macht es aber spannend. Jede KämpferIn hat beim Schach sechs Minuten Bedenkzeit. Bei der WM gab es maximal 4 Runden Schach und 3 Runden Boxen.

      Wer erfand das?

      Es war der Rotterdamer Künstler Iepe Rubingh. Der Wahlberliner benutzte ein Comic des Zeichners Enki Bilal, entwickelte daraus die Sportart mit realen Kämpfen. Er war sogar selbst der erste Schachboxweltmeister. Eine Ausnahmepersönlichkeit, er verbreitete den Sport weltweit und steckte sein Herzblut rein. Leider ist er 2020 viel zu früh verstorben.

      Wie lief Ihr WM-Sieg? Gab es ein Knockout oder Schachmatt?

      Meine Gegnerin Amina Akhmadulina aus dem Ural hat beim Schach bewusst das Spiel in die Länge gezogen, weil sie die Boxrunden aggressiv nutzen wollte. Ich wurde einmal angezählt. Auch ist zweimal unterbrochen worden, da meine Nase blutete. Aber ich machte meine Deckung zu und sie verlor schließlich auf Zeit, wegen meiner Stellung.

      Wie haben Sie sich vorbereitet?

      Mein tolles Team im Rücken war superwichtig. Mein Trainer Robert Rolle, ein ehemaliger Profiboxer, hat mich gut unterstützt. Sein dreizehnjähriger Sohn Arminius holte übrigens auch Gold.

      Kämpfer des Chess Boxing Clubs Berlin und Chessboxing Cologne traten für Deutschland an. Wie war die Atmosphäre?

      Die Organisation in Rimini war richtig toll. Es gab ein Rahmenprogramm und einen Yotube-Stream.

      Der Chess Boxing Club Berlin wurde vor 20 Jahren gegründet, im selben Jahr, als der erste Wettkampf im Schachboxen ausgetragen wurde.

      Ja, es ist ein besonderes Jubiläum. Es gibt hier eine echte Community mit immer mehr Frauen. Die Leute sind herzlich. Und als Frau ist man keinen blöden Sprüchen ausgesetzt.

      Der erste Kampf 2003 fand auf einer Brache im Berliner Scheunenviertel statt. Wie ist der Entwicklungsstand des Schachboxens heute?

      Mittlerweile gibt es Schachboxen auf allen Kontinenten. In Amerika kommen bis zu 10.000 Zuschauer in die Stadien und die Livestreams im Internet werden millionenfach geklickt. Die Gegensätze ziehen sich an. Das Klischee sagt, dass SchachspielerInnen unsportlich, aber clever sind, und BoxerInnen athletisch, aber dumm.

      Gründer Iepe Rubingh erfand es als Kunstperformance. Ist es jetzt nur noch Sport?

      Mittlerweile ist es Sport. Aber die Intellectual Fight Club Events in Frankreich sind eher Kunst.

      Wie und warum kamen Sie zum Schachboxen?

      Ich habe in Berlin darüber gelesen. Danach besuchte ich in einem leeren Kaufhaus in Mitte ein ausverkauftes Event mit jungen, hippen Leuten. Schauspieler Ben Becker moderierte im Ring. Das Wettkampfniveau war damals noch niedrig, aber alle hatten Spaß. Weil ich auch Mixed Martial Arts mache, dachte ich, dies könnte ein Herausforderung sein.

      Was ist Ihre Taktik beim Schachboxen?

      Ich versuche, meine Stärken im Schach auszuspielen. Bisher waren meine Gegnerinnen beim Schach zwar unterschiedlich stark. Aber auf dem Brett kann ich sie normalerweise schnell unter Druck setzen. Dann machen sie Fehler und müssen mich eine Runde später ausknocken.

      Zuletzt waren wieder RussInnen dabei, obwohl die international beim Schach und anderen Sportarten nicht oder nur ohne Fahne auftreten.


      Das ist schwierig. Weil es geht um Sport, aber wir verschließen unsere Augen nicht vor dem Krieg.

      taz.de/Weltmeisterin-uebers-Schachboxen/!5968583/
      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Netzfund:
      Schachgroßmeisterin Anna Muzychuk über ihre Weigerung, in Saudi-Arabien zu spielen. Wir sollten alle mehr wie Anna sein.
      In ein paar Tagen werde ich zwei Weltmeistertitel hintereinander verlieren. Denn ich habe mich entschlossen, nicht nach Saudi-Arabien zu reisen. Ich weigere mich, nach besonderen Regeln zu spielen, die Abaya zu tragen, mich von einem Mann begleiten zu lassen, damit ich das Hotel verlassen kann, damit ich mich nicht als Mensch zweiter Klasse fühle.
      Ich werde meinen Prinzipien folgen und nicht an der Schnellschach- und Blitzweltmeisterschaft teilnehmen, bei der ich in nur fünf Tagen mehr Geld hätte verdienen können als bei Dutzenden von anderen Turnieren zusammen. Das ist alles sehr unangenehm, aber das Traurige daran ist, dass es niemanden zu interessieren scheint. Bittere Gefühle, aber ich gehe nicht mehr zurück.
      Anna Muzychuk

    • Zeit, dass sich was dreht: Levon Aronian und Schach960


      Levon Aronian sieht den Punkt gekommen, an dem es Zeit
      ist, den Spitzenschachbetrieb auf Schach960 umzustellen. “Magnus ist
      bereit, ich bin bereit, fast alle sind bereit”, sagte der Armenier am
      Rande des Sinquefield Cups, der in den ersten fünf Runden zwei entschiedene Partien produziert hat. Aronian ist für Weltmeister Ding Liren, der abgesagt hat, ins Elitefeld gerutscht.

      Aronian versteht, dass eine Mehrheit der Amateure angesichts seiner Einschätzung erstmal schlucken muss. Für Amateure bleibe Schach ein reiches Spiel, in dem es in jeder Partie Neues zu entdecken gibt. “Für Profis sieht das leider anders aus.” Tief ausanalysierte Eröffnungen, die den Akteuren keinen kreativen Spielraum lassen, sind nach Aronians Darstellung ein nicht mehr zu lösendes Problem.

      Oder liegt es doch an der Müdigkeit, dass Sinquefields Männern das Gewinnen so schwerfällt?

      perlenvombodensee.de/2023/11/2…on-aronian-und-schach960/

      Klassisches Schach tot? Levon Aronian im Interview am Rande des
      Sinquefield Cups. Über seinen Wunsch, künftig möge Schach960 gespielt werden, spricht er ab etwa Minute 4:10.


      Moderne Engines als Teil des Schachs hätten es viel einfacher gemacht, das Spiel zu durchdringen. Mit den weißen Steinen gegen einen gut vorbereiteten Spieler sei es schwierig, überhaupt eine Partie zu bekommen, eine gehaltvolle Stellung mit Figuren auf dem Brett. Selbst gegen einen durchschnittlichen Großmeister müsse ein Weltklassespieler
      auf Fehler hoffen und darauf, dass der Gegner die Eröffnung nicht ausreichend kennt. Aronian gebrauchte eine Tennis-Analogie: “Ohne unforced errors des Gegners hast du keine Chance zu zeigen, dass du der bessere Spieler bist.”

      Nach seinem Fünftrundensieg über Alireza Firouzja bekräftigte Aronian seine Einschätzung. Jeder Sieg in einer klassischen Partie über einen starken Spieler bedürfe eines kleinen Wunders. “Ich bin froh, dass es mir heute gelungen ist, so ein Wunder zu kreieren.” Aber nun nahe die Zeit, “auf die ich meine ganze Karriere gewartet habe”. Aronian hofft, dass schon in wenigen Jahren bei Eliteturnieren wie dem Sinquefield Cup 960 gespielt wird.
      In den vergangenen Jahren haben zahlreiche Spitzengroßmeister gesagt, dass ihnen 960 Freude bereitet und sie gerne es gerne öfter spielen würden. Nicht zuletzt hat
      Magnus Carlsen seinen Weltmeistertitel niedergelegt, um sich dem von Aronian skizzierten Problem in seiner ausgeprägtesten Form, WM-Eröffnungsvorbereitung, nicht noch einmal stellen zu müssen.


      Zwar steigt international die Zahl der 960-Wettbewerbe, zwar gibt es seit 2019 sogar eine Weltmeisterschaft, aber tatsächlich ist die Variante auf dem Elitelevel noch nie mit klassischer bzw. langer Bedenkzeit gespielt worden. Zwei für 2023 geplante Matches, in denen es erstmals dazu kommen sollte, fanden nicht statt: Magnus Carlsen vs. Ding Liren in Argentinien scheiterte, Magnus Carlsen vs. Hikaru Nakamura (amtierender 960-Weltmeister) in Las Vegas auch:

      Bestimmt repräsentiert Aronians Auffassung unter Elitespielern die Mehrheitsmeinung. Wie groß diese Mehrheit ist, ob wirklich “fast alle” bereit sind umzusteigen, wäre zu ermitteln. Vincent Keymer etwa gewinnt der enginegestützten Eröffnungsforschung auch positive Aspekte ab: Die Engines hätten zwar viele Eröffnungskapitel endgültig geschlossen, aber dank Engines sei auch viel entdeckt worden und noch zu entdecken, auf das ohne Hilfe kein Mensch kommt.

      Auch beim WM-Match 2023 erweckte Schach1 nicht den Eindruck, ausgelutscht und totanalysiert zu sein. Ding Liren und Ian Nepomniachtchi lieferten sich im April das mit Abstand wildeste WM-Match der schachlichen Moderne.

      Ganzer Artikel mit allen Videos: perlenvombodensee.de/2023/11/2…on-aronian-und-schach960/
      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Danke für diesen Artikel, @lottelenia

      Ich fände C960-Turniere auch super. Es vermeidet klassische tiefe Eröffnungsvorbereitung und ist einfach crazy.

      Am besten setzt es sich durch, wenn es "top-down" eingeführt wird. Aber man könnte auch Vereins- oder Stadtmeisterschaften einführen?

      Zu zweit lässt sich an realen Brettern eine Zufälligkeit beim Aufbauen von C960 leicht erreichen:
      Der eine Spieler setzt eine Figur für Weiß auf die Grundlinie, danach der andere Spieler, immer abwechselnd. Zwei offensichtliche C960-Regeln muss man beachten: König zwischen den beiden Türmen, die beiden Läufer auf verschiedenfarbigen Feldern. Am Ende wird's für Schwarz kopiert.
      Fertig, und los geht's !

      Gut, dass wir hier die Möglichkeit für C960 haben.
      Es wäre sehr schön, wenn es hier auch C960-Blitzturniere gäbe @Webmaster --
      wie schon von mehreren an anderen Stellen vorgeschlagen, z.B. in Turniere der Arena Turniere der Arena
      Turniere der Arena
    • Manni5 schrieb:

      Es wäre sehr schön, wenn es hier auch C960-Blitzturniere gäbe @Webmaster --
      wie schon von mehreren an anderen Stellen vorgeschlagen.
      Scheint ev. schwierig zu programieren zu sein. Jedenfalls hat der Webbi noch NIE darauf reagiert. Ein meines Wissens erstes mal habe ich ihn vor 5 Jahren bei einem Treffen in Dresden darauf angesprochen. Ich machte ihm damals auch einen Vorschlag für die Blitzturniere. Eine unbefriedigende Antwort bekam ich dann nach 3 Monaten. Weitere Anfragen in Threats wurden ignoriert. Blitzturniere werden ja heute ausschliesslich vom Automaten geleitet, was zum Unmut bei den alten Turnierleitern geführt hat. Letztes Beispiel, das kommende Adventsturnier.
    • Die Geschichte eiens Heißgetränks

      Schon gewusst? Bevor die heutige Demokratische Republik Kongo belgische Kolonie wurde, gehörte sie dem König von Belgien. Privat. Mitsamt seinen Einwohner:innen.

      Leo­pold II. kaufte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Land mit seinem persönlichen Vermögen nach und nach auf, erließ seine eigene Verfassung und trieb mithilfe einer brutalen Privatarmee Abgaben ein. Weil es zu Gräueltaten und Hungersnöten kam, stieg der internationale Druck auf Leopold dermaßen, dass er seinen Kongo an den belgischen Staat verkaufte – was die Situation faktisch aber nicht verbesserte. Innerhalb von nur 40 Jahren starb die Hälfte der Bevölkerung.

      In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs der Widerstand der Kongoles:innen gegen das Apartheid­­regime. Es kam zu Protesten, die die belgische Regierung zum Teil gewaltsam niederschlug. Um die Bevölkerung zu besänftigen, wurde ihr 1958 die Gründung politischer Parteien erlaubt. Radikale Forderungen und öffentlicher Druck führten schließlich dazu, dass Belgien die Kolonie am 30. Juni 1960 formal in die Unabhängigkeit entließ. Erster Premierminister wurde Patrice Lumumba, einer der wichtigsten Schwarzen Aktivisten und Politiker jener Zeit.

      Auf der Unabhängigkeitsfeier trat er ans Rednerpult, obwohl es nicht vorgesehen war. Während sein Vorredner, der belgische König, die Unabhängigkeit als Geschenk Belgiens zelebrierte, kritisierte Lumumba – als erster Kongolese überhaupt – öffentlich den Rassismus der Kolonialherren und die Unterdrückung: »Wir haben Spott, Beschimpfungen und Schläge ertragen müssen, morgens, mittags und abends, nur weil wir N**** waren. Wir haben erfahren müssen, dass uns Land geraubt wurde, im Namen vorgeblich legaler Dokumente, die lediglich das Recht des Stärkeren zur Geltung brachten. Wir haben gesehen, dass das Gesetz für Schwarze und Weiße nicht gleich ist, bequem für Letztere, grausam und unmenschlich für Erstere. Wer wird je die Massaker vergessen, in denen so viele unserer Geschwister umgekommen sind, die Zellen, in die jene geworfen wurden, die sich weigerten, sich einem Regime der Unterdrückung und Ausbeutung zu unterwerfen?«

      Seine Rede machte Lumumba bei seinen Landsleuten unvergessen. Doch nur zehn Tage nach der Zeremonie spaltete sich die rohstoffreiche Provinz Katanga von der neuen Republik ab – mit heimlicher Unterstützung Belgiens und der USA. Lumumba ersuchte Hilfe, um das Land zusammenzuhalten. Die Vereinten Nationen und die USA versagten sie ihm – die Sowjetunion nicht. Zusammen mit seiner Rede besiegelte das sein Schicksal. Auf Geheiß der US-Regierung wurde der Freiheitskämpfer Lumumba unter Vorwänden abgesetzt, festgenommen und am 17. Januar 1961 erschossen.

      100 Jahre europäische Unterdrückung und Rassismus endeten nicht mit der Ermordung des ersten Premierministers der Demokratischen Republik Kongo. Stattdessen hat man hierzulande ein Heißgetränk nach ihm benannt: Lumumba. Es ist ein Kakao mit Schuss. Keine Pointe.

      Klärt euer Umfeld auf und sprecht es in Cafés an, die den alkoholhaltigen Kakao unter diesem Namen verkaufen. Bedenkt dabei: Die allermeisten benutzen diese Bezeichnung aus Unwissenheit. Alternative Namen wären etwa Tote Tante oder Kakao mit Schuss.

      katapult-magazin.de/de/artikel…chte-eines-heissgetraenks
      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.