Lesenswerte Artikel, Kolumnen oder Interviews

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    • Lesenswerte Artikel, Kolumnen oder Interviews

      Habe gedacht, wir haben ausser Schach hier im Forum auch sehr viele andere Threads, z.B. Lieblingsmusikvideo- oder Filme, Zitate, Gedichte und Sprüche etc... usw. usw...
      Mir ist die Idee gekommen, alle lesen nicht imemr das selbe und es wäre schön, wenn man hier lesenswerte Beiträge aus den Medien einstellen könnte. Falls es nicht von Interesse ist, kann der Thread ja auch wieder gelöscht werden.

      Mache mal den Anfang:


      Adorno und das Schenken

      Theodor W. Adorno veröffentlicht am 19 Dezember 2022 3 min


      Vom Gutschein bis zum unpersönlichen Präsentartikel: Allzu oft machen wir Geschenke, die keine sind. Die Unfähigkeit zur großzügigen und sensiblen Gabe, so Theodor W. Adorno, hat gesellschaftliche Gründe.


      „Die Menschen verlernen das Schenken. Der Verletzung des Tauschprinzips haftet etwas Widersinniges und Unglaubwürdiges an; da und dort mustern selbst Kinder mißtrauisch den Geber, als wäre das Geschenk nur ein Trick, um ihnen Bürsten oder Seife zu verkaufen. Dafür übt man charity, verwaltete Wohltätigkeit, die sichtbare Wundstellen der Gesellschaft planmäßig zuklebt. In ihrem organisierten Betrieb hat die menschliche Regung schon keinen Raum mehr, ja die Spende ist mit Demütigung durch Einteilen, gerechtes Abwägen, kurz durch die Behandlung des Beschenkten als Objekt notwendig verbunden. Noch das private Schenken ist auf eine soziale Funktion heruntergekommen, die man mit widerwilliger Vernunft, unter sorgfältiger Innehaltung des ausgesetzten Budgets, skeptischer Abschätzung des anderen und mit möglichst geringer Anstrengung ausführt. Wirkliches Schenken hatte sein Glück in der Imagination des Glücks des Beschenkten. Es heißt wählen, Zeit aufwenden, aus seinem Weg gehen, den anderen als Subjekt denken: das Gegenteil von Vergeßlichkeit. Eben dazu ist kaum einer mehr fähig. Günstigenfalls schenken sie, was sie sich selber wünschten, nur ein paar Nuancen schlechter. Der Verfall des Schenkens spiegelt sich in der peinlichen Erfindung der Geschenkartikel, die bereits darauf angelegt sind, daß man nicht weiß, was man schenken soll, weil man es eigentlich gar nicht will. Diese Waren sind beziehungslos wie ihre Käufer. Sie waren Ladenhüter schon am ersten Tag.

      Ähnlich der Vorbehalt des Umtauschs, der dem Beschenkten bedeutet: hier hast du deinen Kram, fang damit an, was du willst, wenn dir’s nicht paßt, ist es mir einerlei, nimm dir etwas anderes dafür. Dabei stellt gegenüber der Verlegenheit der üblichen Geschenke ihre reine Fungibilität auch noch das Menschlichere dar, weil sie dem Beschenkten wenigstens erlaubt, sich selber etwas zu schenken, worin freilich zugleich der absolute Widerspruch zum Schenken gelegen ist. Gegenüber der größeren Fülle von Gütern, die selbst dem Armen erreichbar sind, könnte der Verfall des Schenkens gleichgültig, die Betrachtung darüber sentimental scheinen. Selbst wenn es jedoch im Überfluß überflüssig wäre – und das ist Lüge, privat so gut wie gesellschaftlich, denn es gibt keinen heute, für den Phantasie nicht genau das finden könnte, was ihn durch und durch beglückt –, so blieben des Schenkens jene bedürftig, die nicht mehr schenken. Ihnen verkümmern jene unersetzlichen Fähigkeiten, die nicht in der Isolierzelle der reinen Innerlichkeit, sondern nur in Fühlung mit der Wärme der Dinge gedeihen können. Kälte ergreift alles, was sie tun, das freundliche Wort, das ungesprochen, die Rücksicht, die ungeübt bleibt. Solche Kälte schlägt endlich zurück auf jene, von denen sie ausgeht. Alle nicht entstellte Beziehung, ja vielleicht das Versöhnende am organischen Leben selber, ist ein Schenken. Wer dazu durch die Logik der Konsequenz unfähig wird, macht sich zum Ding und erfriert.“

      Aus Theodor W. Adornos: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, 21. Aphorismus (1951)

      hier auch der Link: philomag.de/artikel/adorno-und-das-schenken
    • Das schlechte Gewissen ist der Kitt unserer Gesellschaft, 1. Teil
      Interview

      Psychopathen haben kein schlechtes Gewissen» – der Sozialpsychologe JörgHupfeld über einen inneren Kompass, der sich allzu leicht stören lässt

      Zu Weihnachten und am Jahresende werden manche von ihren Schuldgefühlen eingeholt. Zum Glück! Damit erhalten sie unsere Gesellschaft, sagt der Experte.

      Herr Hupfeld, was ist überhaupt ein schlechtes Gewissen?

      Das schlechte Gewissen ist wie ein verinnerlichter Kompass. Aber manchmal zeigt er in die falsche Richtung. Dann muss man den Kompass justieren. Entweder, weil wir selbst uns verrannt haben. Oder weil die Welt um uns sich verändert.

      Wer entscheidet, ob der Kompass justiert werden muss?

      Was die richtige Richtung für unseren Kompass ist, beruht auf den Wert- und Normvorstellungen, die wir als Gesellschaft aushandeln. Und die können sich verändern.
      Ist das schlechte Gewissen ein Kontrollinstrument der Gesellschaft über das Individuum?

      Eher ihre Basis: Eine Gemeinschaft würde ohne schlechtes Gewissen nicht funktionieren. Von einer intakten Gesellschaft wiederum profitiert jeder Einzelne. Ist der Kompass korrekt ausgerichtet, weiss ich, was ich von anderen erwarten kann – und umgekehrt. Das ist tief in uns angelegt.

      Weil es uns in der Evolution einen Vorteil bot?

      Genau, das schlechte Gewissen ist ein gelerntes Verhalten. Wir Menschen sind eine körperlich schwache Spezies: kein gefährliches Gebiss, weder Klauen noch nennenswerte Muskeln oder ein Fell, das uns vor Kälte schützt. Das Überleben der Menschheit hing schon immer davon ab, dass wir in Gruppen zusammenleben.

      Ein schlechtes Gewissen verhindert also unerwünschtes Verhalten und garantiert den Verbleib in der Gruppe?
      . . . und sichert damit das eigene Überleben. Denn das schlechte Gewissen garantiert die Reziprozitätsregel.

      Die Reziprozitätsregel?

      Sie besagt, dass man die Hilfe, die man jemandem angedeihen lässt, von dieser Person auch wieder zurückbekommt.
      Das «Ich schulde dir was»-Gefühl.
      Wenn ich zum Beispiel jemandem beim Umzug helfe, dann entsteht eine Schuld. Das Gefühl «Ich schulde dir was» wird in der Person gespeichert und führt dazu, dass sie sich irgendwann revanchieren wird. Wenn nicht, meldet sich höchstwahrscheinlich das schlechte Gewissen, und das will man vermeiden.

      Was sind häufige Auslöser?

      Die meisten Menschen spüren ein schlechtes Gewissen, wenn sie jemanden belogen oder ihm zumindest die Wahrheit verschwiegen haben. Darauf folgt, zu wenig Zeit für Freunde und Familie zu haben. Aber es gibt 1000 Varianten, warum man ein schlechtes Gewissen haben kann. Dazu gehören unerreichte Ziele oder Ansprüche – eigene oder solche, die (vermeintlich) von aussen an die Person herangetragen werden.
      Es gibt immer auch Menschen, die bei anderen bewusst ein schlechtes Gewissen auslösen.
      Das schlechte Gewissen ist eine grosse Macht: Wenn ich weiss, welchen Knopf ich bei jemandem drücken muss, bekomme ich sehr oft, was ich will.

      Wäre es also ratsam, sich sein schlechtes Gewissen abzutrainieren – für ein leichteres und freieres Leben?

      Nein, ja nicht! Nur Psychopathen haben kein schlechtes Gewissen.

      Kein schlechtes Gewissen zu haben, ist ein Krankheitsmerkmal?

      Nur, wenn man nie eines empfindet. Dann ist man im Bereich von sozialen Störungen. Denn eine Grundvoraussetzung für ein schlechtes Gewissen ist die Empathie. Bereits Kleinkinder sind in der Lage, Empathie zu empfinden. Zu merken, was andere brauchen, war für das Überleben der Gruppe immens wichtig. Empathie ist also tief in uns verankert. Wer keine Empathie empfindet, was bei sozialen Störungen oft der Fall ist, empfindet auch kein schlechtes Gewissen.

      Ist es also ein Zeichen von hoher Empathie und sozialer Gesundheit, wenn man ein ausgeprägtes schlechtes Gewissen hat?

      Zu oft ein schlechtes Gewissen zu haben, ist dann auch wieder nicht gesund.

      Was ist denn ein ungesund schlechtes Gewissen?

      Übersteigerter Perfektionismus ist beispielsweise eine Sache, die oft zu einem ungesund schlechten Gewissen sich selbst gegenüber führt. Die Leute denken, sie müssen alles perfekt machen, und stellen wahnsinnige Ansprüche an sich und sind frustriert – denn niemand ist perfekt.

      Woher kommt das schlechte Gewissen anderen Menschen gegenüber?

      Mangelnder Selbstwert etwa kann zu einem chronisch schlechten Gewissen führen. Die betroffene Person denkt, viele Dinge für andere tun zu müssen, um für diese Menschen einen Wert zu haben. Das Selbstbewusstsein hat zudem einen Einfluss darauf, wo wir die Grenze ziehen bei dem, was andere von uns verlangen dürfen.

      Was sind die Folgen von einem krankhaft schlechten Gewissen?

      Im schlimmsten Fall: Depression.

      Welche Auswirkungen hat es auf das Umfeld?

      Das schlechte Gewissen ist ein unangenehmes Gefühl, und der Mensch versucht automatisch, es zu vermeiden. Etwa, indem Betroffene den Leuten ungefragt und übermässig helfen, sie allzu reich beschenken oder Ähnliches. Für das Umfeld kann es höchst unangenehm werden. Oft haben Betroffene auch Angst, Grenzen zu ziehen, weil sie das Gegenüber damit verletzen könnten, was ihr schlechtes Gewissen verstärken würde.
      Das kann dann zum Beispiel dazu führen, dass jemand schon ein schlechtes Gewissen hat, wenn sie ein angebotenes Glas Wein abschlägt?
      In einem übertriebenen Fall, ja. Weil man dann denkt: Die Person meint es gut mit mir – und ich will doch kein Spielverderber sein.

      Wie wird man das schlechte Gewissen los?

      Ob berechtigt oder übersteigert, erst einmal gilt: Man muss es überhaupt erkennen. Dann stellt sich die Frage: Wessen Erwartungen sind das, die ich nicht erfüllt habe? Meine an mich? Die von andern an mich? Oder solche, von denen ich denke, andere haben sie an mich? Dann erst stellt sich die zweite Frage: Sind die Erwartungen berechtigt?
      Das lässt sich nicht immer so einfach herausfinden.
      Dann ist es an der Zeit, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen. Indem man etwa versucht, seine eigene Situation durch die gleichen Augen zu betrachten, die man etwa auf einen guten Freund richten würde. Würden wir diesem Freund den Fehler verzeihen? Würden wir es bei einem Freund überhaupt als Fehler beurteilen?

      Was hilft gegen ein berechtigtes schlechtes Gewissen?

      Den Fehler einsehen und sich ehrlich und von Herzen entschuldigen. Es gibt Dinge, die sind entschuldbar. Aber auch Dinge, die das eigentlich nicht sind, können vergeben werden. Selbst wenn das Gegenüber das Geschehene nicht verzeiht oder niemand mehr da ist, den man um Verzeihung bitten kann, es bleibt wichtig, eigene Fehler einzusehen. Denn nur dann kann man daraus lernen. Dann tragen wir unsere Schuld nicht ab, indem wir um Verzeihung bitten, sondern, indem wir es künftig besser machen.
      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • 2. Teil

      Sich zu entschuldigen, ist nicht immer einfach.

      Für viele ist es ein Zeichen von Schwäche, sich entschuldigen zu müssen. Ich sehe das ganz anders: Durch eine Entschuldigung mache ich mich angreifbar. Denn ich stehe zu einem Fehler und gebe zu, dass das Gegenüber das nicht verdient hatte. Das braucht Mut. Sich aufrichtig zu entschuldigen, ist ein Zeichen von grosser Stärke.

      Warum braucht es Mut?

      Weil wir in unserer Gesellschaft keine Fehlerkultur leben. Anstatt Fehler als etwas Menschliches anzusehen, betrachten wir sie als unverzeihlich. Dabei ist es für die Betroffenen oft so wichtig, zu sehen, dass dem Gegenüber bewusst ist, einen Fehler gemacht zu haben, diesen einzugestehen und zu bereuen.

      Was fällt den meisten leichter, sich selbst oder jemand anderem zu vergeben?

      Pauschal lässt sich das wohl nicht beantworten. In unserer Kultur fällt es aber erstaunlich vielen Menschen sehr schwer, sich selber zu vergeben. Der Dalai Lama hat einmal gesagt, dass es ihn sehr verwundert, wie hart die Menschen im Westen mit sich selbst ins Gericht gehen.

      Warum sind wir so hart zu uns selbst?

      Das hängt wohl auch mit unserer Optimierungsgesellschaft zusammen. Da genügt es selten, einfach zu sein, wer und wie man ist. Viele tappen im Laufe ihres Lebens in die Perfektionismusfalle.

      Hat das schlechte Gewissen zum Jahresende Hochkonjunktur?

      Allerdings. Rund um Weihnachten haben viele ein schlechtes Gewissen gegenüber Familien und Freunden. Zu Silvester folgt dann das schlechte Gewissen sich selbst gegenüber.
      Warum fühlen wir uns ausgerechnet zu Weihnachten schlecht?
      Da kommt ganz Zentrales auf den Tisch. Soziale Normen und Verantwortung gegenüber der Familie und auch Freunden. Man blickt automatisch zurück: Wie lange habe ich mich da nicht gemeldet? Warum habe ich keine Lust, die Menschen wiederzusehen, die mir doch eigentlich nah sein sollten?

      Warum sagt man dann nicht einfach ab und geht nicht aufs Fest?

      Weil wir Angst haben, danach nicht mehr Teil der Gruppe zu sein. Oder weil wir wissen, dass das jemanden oder mehrere Menschen sehr verletzen würde. Manchmal ist es für alle besser, sich einfach zu sagen: «Es ist ja nur einmal im Jahr, das halte ich aus.» Und vielleicht wird dann alles gar nicht so schlimm wie befürchtet.

      Sie sagten, zu Silvester hätten viele ein schlechtes Gewissen gegenüber sich selbst. Warum?

      Neujahr ist für viele der Moment, neue Vorsätze zu fassen, sich vorzunehmen, dass im neuen Jahr alles besser wird. Aber da kommt man nicht umhin, sich an die Vorsätze vom letzten Jahr zu erinnern. Was hat man davon tatsächlich umgesetzt? Was blieb auf der Strecke?
      Wir erleben gerade Krieg, Klimawandel und Pandemie. Gibt es auch ein globales schlechtes Gewissen?
      Ich glaube, im Hinblick auf die Welt haben viele das Gefühl, es kaum noch auszuhalten und als Einzelperson sowieso nichts verändern zu können. Dann regelt man das lieber herunter und kümmert sich um die eigenen, unmittelbaren Probleme.

      Zum Beispiel?

      Im Moment steigen die Energiekosten, und auch viele andere Produkte werden teurer. Das heisst, es dreht sich sehr viel um Geld und Geldsorgen. Und wenn wir Menschen an Geld denken, werden wir sehr egoistisch. Wir kommen dann in einen defensiven Modus und sagen: «Sorry, ich weiss gerade nicht, wie ich die Stromrechnung bezahlen soll. Ich habe keine Kapazität für die Probleme von Menschen weit weg.»
      Aber es gibt auch Leute, die wohl ein schlechtes Gewissen dem Weltzustand gegenüber spüren. Die Mitglieder der Klimajugend zum Beispiel, die retten wollen, was noch zu retten ist.
      Sich zu engagieren, ist wichtig. Die jungen Leute tun das aber wohl nicht primär aus einem schlechten Gewissen heraus, sondern aus einer Notwendigkeit im Hinblick auf die Zukunft.

      Wie kommen wir mit gesundem Gewissen ins neue Jahr?

      Wir dürfen nie vergessen: Ich kann nicht der ganzen Welt helfen. Höchstwahrscheinlich nicht einmal allen in meiner Familie. Bereits Kant sagte: Jeder Mensch hat nicht nur positive Pflichten gegenüber anderen Menschen, sondern auch sich selbst gegenüber. Die eigene Batterie wieder aufzuladen, sollte nie mit einem schlechten Gewissen verbunden sein.

      Hier auch der Link: nzz.ch/feuilleton/nur-psychopa…e-grosse-macht-ld.1717836
      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Weil Weihnachten ist :love:

      Die Symbolik von Weihnachten

      Von den Traditionen und Festen, die sich bis zum heutigen Tag erhalten haben, ist Weihnachten ohne Zweifel das berühmteste. Die Ursprünge seiner vielfältigen Bedeutungen und Eigentümlichkeiten sind hingegen weitläufig unbekannt.
      Jedermann weiss, dass Weihnachten das grosse Fest der Geburt Christi ist; aber kaum jemand ist sich bewusst, dass man seit undenkbaren Zeiten, lange vor der Ära des Christentums, in diesem speziellen Moment des Jahres, die Wiedererneuerung der Natur und das Wiedererscheinen des Lichtes feierte.




      n den romanischen Sprachen geht die Bezeichnung für Weihnachten auf die lateinische Sprachwurzel „Natalis“, also auf den „Tag der Geburt“ zurück. Im Englischen bedeutet „Christmas“ soviel wie die „Messe des Christus“ und das deutsche „Weihnachten“ entspricht den „Heiligen Nächten“. Allgemein kann gesagt werden, dass sich die Idee der Wiedererneuerung der Natur mit der einer göttlichen Geburt verbindet. Im Mittelalter wurde Weihnachten zum enthusiastischen Ausdruck der Freude des Volkes. Im 3. und 4. Jahrhundert feierte der gesamte christliche Orient das Fest der Geburt Christi um den 6. Januar, am Dreikönigsfest. Dieses Fest ist auch bekannt unter dem Ausdruck „Epiphanie“, was soviel bedeutet wie „Erscheinung, Manifestation“. Nun ist dies tatsächlich genau der Tag, an dem auch die Erscheinung des griechischen Gottes Dionysos – und seiner ägyptischen Entsprechung Osiris – stattgefunden haben soll.
      So glaubte man, dass dabei die heilige Quelle des Dionysos auf der Insel Andros die Farbe des Weines erhielt, und sich das Wasser des Nils in Wein verwandelte. Auch der christliche Festkalender feiert an diesem Tag die wunderbare Verwandlung von Wasser in Wein bei der Hochzeit von Kana.


      Die Wintersonnenwende
      In den romanischen Sprachen hat das Wort für Sonnenwende: „Solstice“ die Bedeutung „Sol stat“, das heisst der Moment, in dem die Sonne in ihrem Lauf anhält.
      Mit dem Nahen des Winters werden die Tage kürzer und Sonnenauf- und untergang nähern sich zunehmend an, bis sie einen Grenzwert erreichen. Am 21. Dezember und den darauf folgenden Tagen bewegt sich die Sonne nicht auf ihre gewohnte weise. Nach 3 Tagen der scheinbaren Unbeweglichkeit, beginnt am 25. Dezember ein neuer Kreislauf. Die Neugeburt des Lichtes in der Welt.
      Mit der Wiedergeburt des Gestirns beginnt eine Neu-Organisation der Welt: Zahlreiche Volkstraditionen stehen für diese Tatsache, indem sie den 12 Tagen nach Weihnachten eine erneuernde Energie für die folgenden 12 Monate des Jahres zugestehen. Es ist dies ein Zeitraum, während dem „alles erlaubt ist“, da sich ja die Weltenordnung erst wieder am letzten der 12 Tage einstellen wird, am „Tag der Könige“. Somit ist der 6. Januar, der Tag der Epiphanie, der Tag, an dem der endgültige Sieg des Lichtes über die Dunkelheit gefeiert wird.



      Das christliche Weihnachten
      Das wirkliche Geburtsdatum Christi ist nicht gesichert. Kein Text der Heiligen Schrift macht darüber genaue Angaben. Es wurde ungefähr um 336 n.Chr. im Westen mit dem 25. Dezember festgesetzt und ersetzte so das ursprüngliche heidnische Fest der „Unbesiegten Sonne“, sowie des Sonnengottes Mithras, dessen Geburt im gesamten Rom der Antike an diesem Tag gefeiert wurde.
      Ist nun aber Christus nach den Worten der Bibeln, nicht auch die „Sonne der Gerechtigkeit“? Weiters steht fest, dass dieser Abschnitt des Jahres, der heute vom christlichen Gedankengut dominiert wird, uralte Riten in sich birgt. Es ist die Zeit der Wintersonnenwende, und ohne ins Detail zu gehen, können wir Tatsachen entdecken, die auf eine grundlegend mystische Zeit hindeuten. Der christliche Kalender feiert zur Zeit der beiden Sonnenwenden die beiden Heiligen Johannes, vertraute Begleiter von Jesus. Es sind dies zwei Pole, die sich ergänzen:
      • Das Fest des Hl. Johannes des Täufers, der 6 Monate vor Weihnachten geboren wurde, wird zur Zeit der Sommersonnenwende im Zeichen des Krebses gefeiert. Bis in unsere Zeit werden die Johannesfeuer am 24. Juni entzündet. Sie erinnern an die evangelische Prophezeiung: „Viele werden durch seine Geburt erfreut werden“. Johannes predigte in der Wüste, dass er mit Wasser taufe, aber der, der nachkomme, werde mit dem Hl. Geist und dem Feuer taufen“. Er sagte weiters, dass „er schwinden müsse, damit jener wachse, der wissend ist, der grösser ist als er“.
      • Das Fest von Johannes dem Evangelisten wird am 27. Dezember gefeiert. Er ist der „Jünger, den Jesus liebte“ und erscheint am Gipfel des Hügels (der Verklärung – oder Läuterung, von Golgotha).


      Mit der Verschmelzung der beiden Lebensprinzipien bilden die beiden Johannes in esoterischer Sicht ein Wesen, und dieses Doppelwesen besitzt die zwei Gesichter des JANUS: jedes davon betrachtet je eine Hälfte des Jahres, das eine das Wachsen der Tage (Zukunft), das andere deren kürzer werden (Vergangenheit).

      Das heidnische Weihnachten

      Wir haben bereits erkannt, dass das Weihnachtsfest einen doppelten Ursprung hat: einen christlichen und einen heidnischen (heidnisch = franz.: „Paren“ = „mit der Erde verbunden“). Somit begegnen wir auch zahlreichen damit verbundenen Symbolen, die überlebt haben und benutzt werden, ohne dass man ihre Ursprünge kennt.
      Der Weihnachtsbaum stellt beispielsweise das dar, „was nicht stirbt“. Seine „Blätter“ (= Nadeln) fallen niemals ab. Er trotzt der winterlichen Kälte und bleibt das ganze Jahr hindurch grün. Der Baum gibt somit Zeugnis dafür, dass das Leben sich im Verborgenen fortsetzt und sich beim Wiederkehren der schönen Tage aufs Neue erstreckt. Er ist Symbol für den kosmischen Baum, der das Leben des Universums darstellt. Das Leben bis zur Quelle, dem Stern der über seinen Wipfeln erstrahlt. In jüngerer Zeit geht sein Ursprung in das Elsass des 16. Jhdts. zurück, aber ohne Zweifel geht die Tradition des Weihnachtsbaumes (oder der Zweige) auf sehr viel frühere Zeiten zurück. (1. Weihnachtsbaum in Paris: 1837, bei den Tuilerien, von Prinzessin Helene v. Macklemburg, Gattin des Herzogs von Orleans).

      Das nordische Weihnachten
      In den Ländern des Nordens fällt Weihnachten mit sehr alten Zeremonien zusammen: den Festen von Thule, einer Epoche von Feierlichkeiten, die verschiedenen Göttern der germanischen Mythologie gewidmet sind. Odin, der Gott der Toten, kam auf die Erde und man leerte den Becher zu seinen Ehren. Danach feierte man „trinkenderweise“ Njord und Freya, die Götter der Fruchtbarkeit und des Überflusses. In einigen Gegenden ritt Wotan persönlich durch die Wälder, sprang dann vom Pferd und entzündete ein riesiges Holzscheit, dem das Licht entsprang, denn Thule ist auch das Fest des Feuers.
      In dieser Zeit der Wintersonnenwende ist das Licht verschwunden, die ganze Erde ist in Dunkelheit gehüllt; riesige Feuer wurden deshalb entzündet, um die Geister der Dunkelheit zu vertreiben und die neue Sonne herbeizurufen.
      Wir sehen, dass sich quer durch alle diese Traditionen das Bedürfnis des Menschen ausdrückt, die Zyklen des Lebens bewusster und im Einklang mit der Natur zu erleben und das Andenken an die Ursprünge und den verborgenen Sinn der Dinge zu bewahren. Auf eine inspirierende Geburt des Lichtes in uns und in der Welt.
      Wir wünschen Ihnen und Ihrer Familie ein schönes und
      beSINNliches Weihnachtsfest.


      treffpunkt-philosophie.ch/port…symbolik-von-weihnachten/
      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • 7 Gedanken zu Hoffnung


      1)

      Hoffnung ist unabdingbar
      In einer Zeit, in der es naheliegt zu verzweifeln, sollten wir uns daran erinnern, dass Hoffnung keine Option ist, sondern der einzige Weg aus jeder Krise. Wie der Philosoph Jean-Paul Sartre einst sagte: „Vielleicht gibt es schönere Zeiten, aber diese ist die unsere.“ Damit wir aus unserer Situation eine bessere machen können, müssen wir erst daran glauben, dass das möglich ist – uns also für die Hoffnung ­entscheiden.


      2. Hoffnung ist universell
      Im Prinzip hoffen wir alle auf dasselbe. Auf Sicherheit, Frieden, Freiheit, Selbstbestimmung, Liebe und Anerkennung. Wir wollen glücklich sein. Und die Erfüllung dieser Bedürfnisse spielt dabei eine große Rolle. Dabei ist es irrelevant, wie unsere Biografien aussehen, welche Sprachen wir sprechen, welchen Bildungsstatus wir haben, wo wir herkommen oder wie wir aussehen. Denn wir sind alle Menschen. Und dies ist eine Tatsache, an die wir heute, in Zeiten von Kriegen, Populismus, Ausgrenzung und Extremismus, immer wieder erinnern müssen.


      3. Hoffen bleibt ein Privileg
      Obwohl viele von uns dieselben Hoffnungen in sich tragen, bleibt deren Verwirklichung ein Privileg. Weil wir es noch nicht geschafft haben, die Bedingungen zu schaffen, die es allen Menschen ermöglichen, die gleichen Chancen zu haben. Manche Menschen hoffen vergeblich auf bestimmte Dinge, weil sie einer marginalisierten Gruppe angehören, also beispielsweise geflüchtet sind. Oder weil sie von den Normen, die in der Gesellschaft gelten, abweichen. Worauf wir hoffen können, kommt auch darauf an, inwiefern der Lebensbereich politisch geregelt ist. Durch das politische Gefüge sind die Möglichkeiten von verschiedenen Personengruppen ungleich verteilt und unsere Hoffnungen demzufolge auch ungleich gewichtet.


      4. Wunsch nach Veränderung
      Bestimmte Faktoren können uns Hoffnung geben oder nehmen. Füreinander da zu sein, Glaube, Vertrauen in sich selbst und andere, Offenheit und funktionierende soziale Beziehungen machen uns zuversichtlich. Während uns Situationen, die uns überfordern und denen wir machtlos gegenüberstehen, hilflos machen. Sieht der Mensch seine Situation als unveränderbar an, verliert er den Wunsch auf Veränderung. Ein Leben ohne Hoffnung ist vermutlich möglich. Aber: Wie lebenswert wäre es?

      5. Austausch ist der Weg
      Hoffnung kann nur im gemeinsamen Handeln und im Miteinander entstehen und realisiert werden, gab uns die politische Denkerin Hannah Arendt mit. Aus unserem Privileg, mehr als andere hoffen zu können, entspringt die Verantwortung, etwas für die Träume, Sehnsüchte und Ziele anderer zu tun. Für das Hoffen ist das Vertrauen unabdingbar. Wir müssen miteinander sprechen, damit wir gemeinsam handeln und Hoffnung schöpfen können.

      6. Die Rolle der Medien
      Vor allem, wenn es um Menschen geht, denen mit Vorurteilen begegnet wird, haben Medien die Macht, Angst zu schüren oder Nähe zu schaffen, also das Gemeinsame in den Vordergrund zu stellen oder das Trennende. Hoffnungen von Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, ihre Geschichte zu erzählen und Nähe zu schaffen ist ein wichtiger Aspekt des Journalismus. Medien sollten nicht nur informieren, sondern auch ein Sprachrohr für jene sein, die kaum Gehör finden, auf Ungerechtigkeiten aufmerksam machen und auf das Positive ­hinweisen.

      7. Liebe und Fürsorge
      Es ist nichts verloren, solange wir einander zuhören, uns für die Geschichten anderer interessieren und immer wieder erkennen, dass wir nicht frei und niemals frei sein werden, wenn wir uns nicht für andere einsetzen, für deren Freiheit, Selbstbestimmung und Kampf. Wir alle wollen gehört werden, deswegen ist es wichtig, dass wir Räume schaffen, in denen ein gleichberechtigter Dialog stattfinden kann. Nichts ist stärker als die Liebe, um unsere Hoffnung zu stärken und dem Hass entgegenzutreten.


      Gefunden: humanresourcesmanager.de/futur…k/7-gedanken-zu-hoffnung/





      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Neujahr als Neustart? Von wegen: Der Jahreswechsel ist nur ein willkürlicher Termin, nach dem alles weitergeht wie vorher – Alltag, Sorgen, Krieg. Um dennoch nicht zu verzweifeln, sollten wir uns ein Beispiel an Sisyphos nehmen.



      Neujahr. Echt jetzt? Sind wir schon wieder soweit? Und, Entschuldigung bitte, was ist hier überhaupt neu? Von jeher hat das pompöse Zelebrieren des Jahreswechsels etwas Künstliches. Ohrenbetäubendes Getöse soll uns weismachen, dass mit diesem Einschnitt etwas zu Ende geht und nun – prosit! – etwas ganz Neues beginnt. Nichts davon stimmt. Das Ganze ist ja nur ein willkürlich gesetzter, vollkommen beliebiger Punkt auf dem endlos sich drehenden Jahreskreis. Wenn der Kater sich verzogen hat, ist alles wieder da: dieselben Sorgen, derselbe Alltag, dieselben Krisen, derselbe Krieg. Well, here we are again: Es ist wie ein ewiges Dinner for One, nur ohne Alkohol und irgendwie nicht lustig. „Must I, Miss Sophie?“, möchte man gen Himmel rufen, aber Gottes Platz an der Tafel ist leer. An seiner statt sitzt dort kichernd eine verschrobene Greisin mit zweifelhaften Absichten.
      Warum „Dinner for One“ Camus gefallen hätte

      Denkt man sich das versöhnliche Ende weg, entpuppt sich Dinner for One als ein existenzialistisches Drama, das Albert Camus hätte gefallen können. Butler James muss seinen Tisch umrunden, Gläser füllen und leeren und am Ende doch unvermeidlich über seinen Tigerkopf stolpern – so wie Sisyphos, der Held von Camus’ epochalem Essay, seinen Felsen bis in alle Ewigkeit einen Hügel hinaufstemmen muss, nur um am Ende zuzusehen, wie er kurz vor dem Ziel wieder hinabrollt. Andererseits endet auch Camus’ „Mythos von Sisyphos“ durchaus hoffnungsvoll, allerdings nicht durch einen versöhnlichen Ausstieg aus dem ewigen Kreislauf. Camus meint, dass es Sisyphos gelingen kann, seine Marter zu durchbrechen, auch ohne ihr zu entfliehen. Wie macht er das?


      Schon Aristoteles erkannte, dass jede menschliche Handlung auf ein Ziel ausgerichtet ist. Doch gibt es zwei Arten, wie dies geschehen kann. Manche Handlungen sind auf ein Ziel ausgerichtet, das nicht in ihnen selbst liegt. So gehe ich die Straße hinunter, um Brot zu kaufen. Eine solche Handlung vollendet sich erst an ihrem Ziel- und Endpunkt: wenn ich das Brot in der Hand halte. Führt sie nicht zum Ziel – weil der Bäcker geschlossen ist oder ich mir vorher den Fuß verstauche –, so ist es mir nicht gelungen, zu tun, was ich tun wollte, nämlich Brot kaufen. Mein Gehen war umsonst. Es gibt jedoch auch eine andere Art von Handlungen. Auch diese Handlungen verfolgen ein Ziel, doch liegt dieses Ziel in ihnen selbst. Ich spaziere die Straße hinunter – einfach um spazieren zu gehen. Das Gehen selbst ist bereits das Ziel. Eine solche Handlung vollendet sich nicht erst an einem bestimmten Ziel- und Endpunkt. Sie trägt ihre Vollendung schon im Verlauf in sich. Ich muss gar nicht irgendwo ankommen, um spazieren gegangen zu sein.


      Wie Sisyphos den Fels zu unserer Sache machen

      Sisyphos rettet sich, indem er das Rollen des Felsens, das dem Willen der Götter nach eine scheiternde Handlung des ersten Typs sein soll, zu einer gelingenden Handlung des zweiten Typs macht. Darin, so schreibt Camus, besteht sein trotziger Sieg: „Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache.“ Er macht den Fels zu seiner Sache, indem er die Fesselung an ein finales Ziel aufgibt und sich ganz seinem Tun im Hier und Jetzt verschreibt: „Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen.“ Diese Haltung gewinnt Sisyphos in der Stunde, in der er den Hügel hinabschreitet, um den Fels an dessen Fuß wieder aufzunehmen – die Stunde, die Camus „ein Aufatmen“ nennt und „die Stunde des Bewusstseins“. Und vielleicht ist der Jahreswechsel eben das: Nicht ein Ende, nicht ein Anfang, sondern eine Stunde des Luftholens – bevor wir weitermachen, mit den Sachen, die wir zu den unsrigen gemacht haben. Die unser Herz ausfüllen, hier und jetzt. Es geht weiter. Wir müssen uns James als einen glücklichen Menschen vorstellen.



      deutschlandfunkkultur.de/neuja…men-mit-sisyphos-100.html





      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • «Wenn man die ganze Zeit nur damit beschäftigt ist, sich vor dem Tod zu schützen, hat man bald kein Leben mehr» Teil 1


      Es herrsche heute mehr Angst in der Gesellschaft denn je, sagt der Philosoph Robert Pfaller: Das wirke sich aus bis auf die Sexualität. Wir hätten vor allem die Hoffnung auf Fortschritt verloren.



      Herr Pfaller, Ukraine-Krieg, Energiemangel, Klimakrise: Die Angst scheint allgegenwärtig, obwohl die beschworenen Gefahren uns nicht unmittelbar bedrohen. Wovor sorgen wir uns genau?



      Auch in den reichsten Gesellschaften drohen vielen Menschen Armut und schlechtes Leben in zunehmendem Mass. Trotzdem bereitet uns das nicht ganz so viele Sorgen wie zum Beispiel die Furcht vor der Klimakatastrophe.

      Warum nicht? Hierarchisieren wir unsere Ängste?



      Es gibt eine modische Zentralfurcht, die alle paar Jahre durch eine neue abgelöst wird: erst Furcht vor den Schulden, die wir unseren Kindern und Enkeln hinterlassen; dann die Furcht vor humanitärem Elend für flüchtende Menschen – oder auch vor diesen selbst; Furcht vor der Zerstörung des Sozialstaates; dann vor dem neuartigen Virus; dann vor Krieg oder vor dem Klimawandel. Dabei drohen die meisten Gefahren gleichzeitig, und wir müssten, um dieser Wirklichkeit Rechnung zu tragen, unsere Furcht angemessen auf alle Kandidaten verteilen, anstatt sie zu monopolisieren.

      Gemäss Sorgenbarometer der Bank Credit Suisse sorgen sich die meisten Schweizerinnen und Schweizer tatsächlich an erster Stelle um das Klima, danach um die Altersvorsorge: Man hat Angst, den gewohnten Lebensstandard nicht halten zu können. Sind das Luxusängste?



      Keineswegs. Die Verarmung bedroht gegenwärtig viele Menschen, und ich wundere mich, dass die berechtigte Befürchtung, die Heizkosten bald nicht mehr bezahlen zu können, nicht schon viel mehr Leute im westlichen Europa gegen ihre Regierungen empört. Aber das kann sich wohl schnell ändern.

      Der eine hat Angst vor einer kalten Wohnung im Winter, der andere, dass er bei der Arbeit versagt: Sprechen wir da von derselben Angst?



      Sigmund Freud und Jacques Lacan haben strikt zwischen Angst und Furcht unterschieden. Die kalte Wohnung ist Objekt einer Furcht. Das drohende Versagen hingegen löst Angst aus. Die Furcht kann mich erfassen, wenn ich zum Beispiel einer Überzahl bewaffneter, mir übelgesinnter Gestalten gegenüberstehe. Es gibt hier eine reale Bedrohung, ein Objekt, dem sich durch Massnahmen wie etwa Bewaffnung oder Beiziehung von Verbündeten begegnen lässt.

      Und bei der Angst?



      Die Angst ist, wie Freud betonte, ohne Objekt. Um ein Beispiel davon zu geben: Ich will eine Tür öffnen, zu der ich den Schlüssel zu haben glaube. Dann passt der aber nicht. Zunächst ärgere ich mich, dass ich nicht den richtigen Schlüssel besitze. Dann aber erfasst mich ein unheimliches Gefühl: Denn ich habe einen Schlüssel, von dem ich nicht weiss, wo er passt. Das ist das Wesen der Angst: Es ist etwas zu viel da, nicht zu wenig wie bei der Furcht. Und dieses Zuviel, dieser Überschuss, bin möglicherweise ich selbst – zum Beispiel im Arbeitsprozess, wo ich versage oder keinen Platz mehr für mich finde.

      In Franz Kafkas Erzählung «Der Bau» gräbt ein maulwurfartiges Wesen ein ausgeklügeltes unterirdisches System von Gängen, um sich vor der «Gegnerschaft der Welt» zu wappnen. Doch seine Angst bringt es so nicht unter Kontrolle, im Gegenteil. Sehen Sie darin ein Sinnbild auch für heute?

      Dieses Sinnbild ist treffend auch für unsere Gegenwart – etwa, wenn man an die sogenannten «Preppers» denkt: also jene Menschen, die ihr Leben damit verbringen, sich durch Bunkerbau, Bevorratung, Anschaffung von Schutzkleidung und Training auf drohende Katastrophen vorzubereiten. Solche Vorkehrungen bewirken ironischerweise oft genau das, wogegen sie schützen sollen: Wenn man die ganze Zeit nur damit beschäftigt ist, sich vor dem Tod zu schützen, hat man bald kein Leben mehr. Jedenfalls keines, das seinen Namen verdient. Die Furcht vor dem Verlust des Lebens entpuppt sich damit in Wahrheit als Angst vor dem Leben.




      Hatte man früher nicht viel mehr Gründe, Angst zu haben – oder ist das falsch gefragt, da man damit sagt, heutige Ängste seien nicht berechtigt?



      Man hatte sicherlich sehr viele gute Gründe, sich zu fürchten: vor Arbeitslosigkeit und Verarmung durch eine Weltwirtschaftskrise, vor Faschismus, vor einem Atomkrieg. Der Unterschied zu heute aber war der: Selbst in den schlimmsten Zeiten des 20. Jahrhunderts haben die Menschen geglaubt, dass es ihnen morgen besser gehen würde. Die Moderne vertraute auf den Fortschritt. Wir Postmodernen dagegen haben diese Hoffnung verloren. Gerade in den reichsten Ländern glauben die wenigsten Menschen, dass es ihnen oder ihren Kindern morgen besser gehen wird.

      Je weniger reale äussere Gründe es für unsere Ängste gibt, desto mehr finden wir Anlass für Ängste in uns: Kann man das so sagen?



      Solange die Menschen eine Zukunft für sich sahen, bezogen sie sich auf ein Ideal von sich – auf das, was sie morgen sein wollten und wofür sie arbeiteten und kämpften. Dies machte sie auch unempfindlich gegen manche Widrigkeiten ihrer Gegenwart. Wir dagegen haben diese Perspektive nicht. Wir wollen nichts werden und verabscheuen Ideale als etwas «Normierendes», denn wir wollen ganz wir selbst sein.

      Das Authentizitätsgebot, das selbst wieder normativ ist?



      Genau. Dabei aber werden wir empfindlich, und zudem stossen wir auf unüberwindlich scheinende Schwierigkeiten – nicht nur, wenn die Welt bedrohlich wird, sondern zum Beispiel auch, wenn sich sexuelles Begehren zeigt. Mit etwas derart Ichfremdem können wir heute, im Gegensatz zu früher, kaum mehr umgehen; weder an anderen noch an uns selbst.

      Fördern Debatten wie #MeToo diese Angst?



      Die Debatte ist jedenfalls symptomatisch für unser verändertes Verhältnis zur Sexualität. In der Moderne galt der Sex als etwas Grossartiges, Beglückendes und Befreiendes, das möglichst allen ohne Angst und Schuldgefühl zugänglich gemacht werden sollte. Viele empfanden sich auf dem Weg dahin. In der Postmoderne dagegen, etwa seit den 1990er Jahren, wird der Sex, wie der Sexualwissenschafter Volkmar Sigusch bemerkt, vorwiegend als Ort des Missbrauchs, der Ungleichheit und Aggression empfunden.

      Ist denn die Sexualität jemals angstfrei gewesen?



      Auch in der Moderne war der Sex freilich nie unproblematisch. Aber er war ein Problem der Idealität: Verhalte ich mich frei genug? Oder zu unanständig? Das sind, schematisch gesprochen, Probleme mit dem Über-Ich, Probleme der Schuld. In der Postmoderne dagegen wird der Sex zu einem Problem des Ich: Könnte es sein, dass ich etwas Obszönes, Belästigendes bin? Daraus entsteht Angst und Scham.

      Aber noch einmal: Gibt es wirklich mehr Angst in der Gesellschaft als vor 100 oder 50 Jahren?


      Ja. Die Anlässe zur Angst haben sich massiv vermehrt. Viele Menschen beginnen, sich als überflüssig zu empfinden, weil sie für die Arbeit nicht mehr gebraucht werden; weil sie die neuen Geräte und deren immer kompliziertere und fehleranfälligere Software nicht mehr beherrschen und sich selbst folglich als Störfaktoren empfinden oder weil sie sich zunehmend exponiert fühlen – etwa in den sogenannten «sozialen Medien»

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      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Teil 2




      Zum Beispiel?


      Wenn Jugendliche auf Partys nicht mehr miteinander knutschen, weil sie Angst haben, auf einem Video im Netz zu landen, dann ist das ein charakteristisches Symptom unserer Zeit und ihres Angstzuwachses.

      Die Nachfrage nach Therapieplätzen steigt, es ist kein Tabu mehr, seine Ängste behandeln zu lassen. Ein Ausdruck der Angstkultur?


      Das kann man wohl sagen. Viele Psychoanalytiker und Psychotherapeuten berichten, dass ihre Patienten seit etwa zwei Jahrzehnten deutlich veränderte Leidensformen zeigen. Wo früher neurotische Symptome vorherrschten, zeigen sich jetzt vermehrt Essstörungen, Depressionen, Burnouts, Ängste, Phobien, Aufmerksamkeitsdefizit- oder Hyperaktivitätssyndrome.

      Und früher, weshalb ging man zum Psychiater?


      Früher litten Menschen eher unter innerpsychischen Konflikten – etwa, weil sie sich bestimmte Dinge wünschten, die sie sich selbst andererseits versagen wollten und deretwegen sie sich unbewusst schuldig fühlten. Jetzt empfinden sie sich anscheinend eher als ganze Person peinlich oder haben Angst, so wahrgenommen zu werden. Vielleicht könnte man sagen, dass anstelle von «Schuldpathologien» heute eher «Schampathologien» vorherrschend sind. Die Schuld verhält sich zur Scham so wie die Furcht zur Angst.

      Wie meinen Sie das?


      Bei Angst und Scham muss immer etwas weg. Man will fliehen oder völlig von der Bildfläche verschwinden, im Boden versinken oder tot sein. Bei Furcht und Schuld hingegen muss immer etwas her: Schutzmassnahmen, Bewaffnung; Bussgeldzahlungen oder Kompensationsleistungen.

      Ein Auslöser für Angst ist das Gefühl, nicht zu genügen, schlechter zu sein als andere, abgehängt zu werden. Das weckt Scham. Wie sind Angst und Scham miteinander verknüpft?


      Scham ist lange Zeit als «soziale Angst» begriffen worden, also als Angst davor, von anderen missbilligt zu werden. Darum hielten Anthropologinnen wie Margaret Mead und Ruth Benedict die Scham für ein «aussengeleitetes», fremdbestimmtes Gefühl – im Gegensatz zur Schuld, die sie als «innengeleitet» begriffen; das heisst: als Wirkung der eigenen, inneren Stimme des Gewissens. Nun lässt sich aber leicht zeigen, dass dies ein Irrtum ist.

      Inwiefern?


      Die Scham bricht nicht dann aus, wenn andere eine Peinlichkeit an jemandem bemerken und sie missbilligen. Sie bricht vielmehr dann aus, wenn es den anderen unmöglich wird, so zu tun, als hätten sie nichts bemerkt. Das ist ein schöner, solidarischer Zug an der Scham: Man muss nicht nur vermeiden, anderen peinlich zu sein, sondern auch, andere zu beschämen.

      Beschämt man heute andere nicht schon fast reflexartig?


      Leider ist das so. Wir empfinden es als «normierende» Zumutung, dass wir eine Ehre haben sollen, die uns davon abhielte, mit dem Finger auf andere zu zeigen und unser «Fremdschämen» laut in die Welt hinauszuposaunen. Darum herrscht bei uns gegenwärtig eine gewaltige Menge sozialer Angst. Es ist, als hätten die Irrtümer der Anthropologinnen das Bild einer Welt gezeichnet, die heute vor unseren Augen zur Wirklichkeit wird.

      Robert Pfaller ist Professor für Philosophie an der Kunstuniversität Linz. Zuletzt erschien sein Buch «Zwei Enthüllungen über die Scham» (S.-Fischer-Verlag, 2022).

      nzz.ch/feuilleton/voller-angst…-ueber-unsere-angstkultur
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    • Weil das „Leistungssubjekt“ an die Stelle des „Gehorsamssubjekts“ getreten ist, droht der Mensch an der Unendlichkeit seiner Möglichkeiten zu scheitern. Mit seinem Essay „Müdigkeitsgesellschaft“ liefert der Philosoph Byung-Chul Han einen spannenden Beitrag zur Kultur der Selbstausbeutung.


      Der Philosoph Byung-Chul Han hat einen überaus anregenden und streitbaren Essay über unsere heutige, wie er es nennt, „Müdigkeitsgesellschaft“ geschrieben. Die Müdigkeitsgesellschaft, so lautet Hans These, ist gekennzeichnet durch krankmachende Entgrenzung. Der Mensch des 21. Jahrhunderts fürchtet sich nicht mehr vor einem Außen, einer todbringenden Negativität, vor der es sich zu schützen gilt, sondern er kollabiert gewissermaßen an seiner eigenen Potenz.


      Neuronale Erkrankungen wie Depression, ADHS und Burn-out sind Han zufolge darauf zurückzuführen, dass wir in unserer globalisierten Leistungsgesellschaft nichts mehr als verboten, fremd oder unterdrückend begreifen, sondern ganz im Gegenteil alles als Herausforderung verstehen. Anstatt sich vor einer wie auch immer gearteten äußeren Macht zu fürchten, kollabiere der Mensch des 21. Jahrhunderts an der Unendlichkeit seiner Möglichkeiten.


      Diesen Paradigmenwechsel an unserem heutigen Verhältnis zur Arbeit zu verdeutlichen, ist das Hauptanliegen des Buches. Das positive Modalverb „können“ – man denke an Obamas Wahlspruch „Yes, we can“ – ist Han zufolge das Kennzeichen der Müdigkeitsgesellschaft, die sich von der „Disziplinargesellschaft“ des vergangenen Jahrhunderts maßgeblich unterscheidet. Im 20. Jahrhundert gab es klare Verbote und Regulierungen, die ständig zu Leistung und Gehorsam zwangen.


      Heute ist an die Stelle des ehemaligen „Gehorsamssubjekts“ das „Leistungssubjekt“ getreten, das aus sich heraus produktiv ist. Das Leistungssubjekt, so Han, leidet nicht mehr an der Negativität von Verboten, sondern seine Krankheit resultiert gerade umgekehrt aus einem Übermaß an Positivität: Es kann, bis es nicht mehr können kann. Der depressive Mensch, schreibt der Philosoph, „ist jenes animal laborans, das sich selbst ausbeutet, und zwar freiwillig ohne jede Fremdzwänge“.


      Doch genau an dieser Stelle wird es problematisch. Was kann es heißen, dass wir uns gänzlich ohne Fremdzwang zugrunde richten? Zu
      selbstzerstörerischen Produktivitätsmaschinen werden Menschen nicht ohne Druck. Wir leben in einer Gesellschaft stets dräuender Arbeitslosigkeit, und, damit verbunden, unaufhörlich wachsender Leistungsanforderungen, denen wir uns zur Not auch mit Hilfe von Medikamenten anpassen.


      Das Verbot und die mit ihm verbundene Negativität sind nach wie vor wirkmächtig – auch und insbesondere im Bereich des Politischen. In Zeiten der Globalisierung, so meint Han zu
      Beginn seines Buches, werde Fremdes nicht mehr als Gefahr, sondern allenfalls als Belastung wahrgenommen. Wie falsch diese Einschätzung ist und wie sehr sich unsere Gesellschaft offenbar immer noch vor dem Anderen fürchtet, zeigt sich nicht nur an Thilo Sarrazins besorgniserregendem Bucherfolg mit „Deutschland schafft sich ab“.


      Außerordentlich spannend wird Hans Buch immer dann, wenn er nicht eine Logik gegen die andere ausspielt, sondern danach fragt, in welchem Verhältnis Negativität und Positivität, Zwang und Freiheit zueinanderstehen. Inwiefern ist ein Können immer auch ein Sollen? Die Antwort auf diese Frage würde den Schlüssel für eine neue Kulturtheorie liefern, die sich nicht mehr mit dem Disziplinarsubjekt, sondern mit dem sich selbst Ausbeutenden Menschen befasst.


      Besprochen von Svenja Flaßpöhler




      Zugleich auch eine Buchempfehlung von mir, dass sich in meinem Besitz befindet :saint:
      Gefunden im Deutschlandfunk-Kultur - deutschlandfunkkultur.de/kultu…selbstausbeutung-100.html
      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Die Stadt als Linie


      Hendrik Buchholz veröffentlicht am 17 Januar 2023 4 min


      In Saudi-Arabien wird die Stadt, wie wir sie kennen, neu gedacht. Doch welche Entbehrungen gehen mit der neuen Form des Zusammenlebens einher?

      Eine Megastadt mit dem Namen The Line soll schon in wenigen Jahren neun Millionen Menschen ein lebenswertes Wohnen im Nordosten
      Saudi-Arabiens ermöglichen – und das begriffsimmanent in Form einer Linie. Das Stadtkonzept „Kreis“, wie wir es bisher kannten, soll nach den Visionen des Baugremiums, unter persönlichem Vorsitz des saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, der geometrischen Verbindung zweier Punkte weichen. 170 Kilometer lang
      und 200 Meter breit wird die Stadt von 500 Meter hohen verspiegelte Mauern eingegrenzt werden und inmitten einer Geröllwüste entstehen; darüber informiert die Website des Projekts, die in sechs verschiedenen Sprachen aufrufbar ist.

      Die Linie ist Teil des urbanen Projekts Neom, ein Neologismus, der sich aus dem griechischen Adjektiv für „neu“ und dem ersten Buchstaben für das arabische Wort von „Zukunft“ zusammensetzt. Neom vereint vier urbane Megaprojekte zur Erschließung einer Fläche von insgesamt 26.500 Quadratkilometern und versteht sich als Teil der saudi-arabischen Vision 2030. Das Projekt soll der Diversifizierung der zuvor erdölfokussierten Staatseinnahmen durch Tourismus und Zuwanderung dienen. Erhofft wird sich so ein „Brain Gain“; also ein volkswirtschaftlicher Zugewinn durch die Zuwanderung von hochqualifizierten Arbeitskräften in vielversprechenden Zukunftsbranchen.


      Geradewegs in die Zukunft?

      Mit The Line möchte Saudi-Arabien so ziemlich allen Idealismen gerecht werden, die in Verbindung mit menschlichem Zusammenleben aufgeworfen werden können. Normative Superlative nicht aussparend beschreibt die Projekt-Website die Vorzüge der linienförmigen und klimaneutralen Stadt, in der „die Klügsten und Besten“ leben; in wenigen Minuten werde durch ein intelligentes Bausystem jeder Arbeitsplatz und jedes wünschbare Freizeitangebot erreichbar sein; eine über 500 km/h schnelle Bahn pendelt dabei die gesamte Linie auf und ab und sorgt für rasche Mobilitätsmöglichkeiten. Entstehen soll demnach nicht weniger als die erste Millionenstadt, die ein gleichberechtigtes und nachhaltiges Leben ermöglicht, das der Natur keinen Schaden zufügt.


      Dabei stellt sich allerdings die Frage, was Gleichberechtigung und Nachhaltigkeit hier konkret bedeuten sollen. So herrscht beispielsweise Unklarheit darüber, ob die erst kürzlich in Kraft getretenen Reformen zur Lockerung des sogenannten „Kafala“-Systems – ein als moderne Sklaverei zu bezeichnendes, strenges Abhängigkeitsverhältnis von Arbeitgeber zu Arbeitsmigrant – beim Bau von The Line bereits wirkmächtig umgesetzt werden. Weiterhin prägen besonders Arbeitsmigranten aus Afrika und Asien das Baugewerbe. Zudem schätzt ein australischer Bauexperte, dass allein während der Errichtung der Stadt 1,8 Milliarden Tonnen CO2 ausgestoßen werden würden; das entspräche dem vierfachen CO2-Jahresverbrauch von Großbritannien. Neben den augenscheinlichen humanitären und ökologischen Problemen, die sich durch die Vision ergeben, kommt mindestens noch ein weiteres auf, das zunächst weniger bedeutend erscheinen mag, jedoch relevant wird, wenn man The Line tatsächlich als Prototyp künftiger Städte ernstnimmt: Diese Stadt ist auf optimale Vorgänge, nicht auf tatsächliche Lebenswege ausgerichtet.



      Fortschritt und Flanieren

      Erläutern lässt sich dies durch einen Blick in das Werk Walter Benjamins. Der in Berlin aufgewachsene Philosoph schreibt in Berliner Kindheit um 1900 der Möglichkeit, sich in einer Stadt verlaufen zu können, einen immensen Wert zu. Benjamin formuliert es so: „In einer Stadt sich aber zu verirren, wie man in einem Walde sich verirrt, braucht Schulung. Da müssen Straßennamen zu dem Irrenden so sprechen wie das Knacken trockner Reiser und kleine Straßen im Stadtinnern ihm die Tageszeiten so deutlich wie eine Bergmulde widerspiegeln.“ Hinter Benjamins Kunst des Verirrens steckt nicht nur ein Plädoyer für den großstädtischen Flaneur, er erinnert auch daran, in welcher starken Verbindung das menschliche

      Verstehen und Denken zu Assoziationen, Erinnerungen und Unerwartetem steht.

      Eine vollkommen durchplanende Architektur steht dem entgegen. Sie lässt der Frage nach einer Alternative und dem Auftreten von Neuem durch den Kontakt mit dem Zufall keinen Raum. Die Stadt kann so scheinbar mit

      einer Antwort für alle menschlichen Bedürfnisse aufwarten. Das Zufällige und Disruptive findet keinen Platz. Kontingenzen im Alltag werden unterbunden; der zufällige Umweg, den wir einschlagen, wenn wir nicht auf direktem Weg von der Arbeit nach Hause fahren; die Erkundung eines neuen Stadtviertels, in das ein Freund oder eine Freundin gezogen ist; Gebäude, die in unseren Erinnerungen einen besonderen Platz einnehmen oder auch Orte, die wir wegen ihnen meiden.

      Diesen Benjaminschen Gedanken eines alltäglichen Stadtlabyrinths versucht The Line gezielt hinter sich zu lassen. Sie droht aber damit ihr eigens gesetztes Ziel zu unterlaufen; Effizienz. Denn aus einer effizienten Umgebung resultieren nicht notwendig effiziente und innovativ-denkende Individuen; besonders dann nicht, wenn sie in einer künstlichen Welt von den Konflikten und Widersprüchen des natürlichen Zusammenlebens nichts mitbekommen.


      Geunden: philomag.de/artikel/die-stadt-als-linie





      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Über die unhöflichste Stadt Deutschlands – und eine Tugend, die eigentlich keine ist

      Ein Unternehmen wollte kürzlich wissen, wo in Deutschland die unhöflichsten Menschen leben und wo die nettesten. Man fand Essen und Bochum – und einen Trend, der nicht guttun kann: die allgegenwärtige, stets erwartete Nettigkeit.

      Eine Schönheit ist Essen nicht: viele Hochhäuser, ein paar gute Studentenkneipen, wenig Historisches; 90 Prozent des alten Stadtkerns wurden während des Zweiten Weltkriegs zerbombt. Aber Essens wahres Problem liegt nicht in der Ästhetik, es sind seine Bewohner. «Ganz nett» ist in Bezug auf die 579 432 Essenerinnen und Essener nämlich ganz falsch.


      Wo die unhöflichen Kerle wohnen

      Das Online-Sprachlerntool Preply wollte kürzlich wissen, wo in Deutschland die unhöflichsten Menschen leben – und wo die nettesten. Das Ergebnis der Befragung von gut 1500 Deutschen ergab: Essen ist die unfreundlichste Stadt in ganz Deutschland. Laut Umfrage starren die Leute hier lieber aufs Smartphone, als entgegenkommende Passanten anzulächeln, und zeigen sich gegenüber Fremden abweisend statt hilfsbereit.

      Doch warum ist es überhaupt von Interesse, wo die unfreundlichen Kerle wohnen? Im Sinne von Preply wohl deshalb: damit alle, die das gelernte Deutsch vor Ort anwenden wollen, wissen, welchen Fleck sie besser meiden. Lieber nicht nach Essen, lieber dorthin, wo die Netten leben. Denn nett ist etwas, auf das man sich einigen kann. Nett ist nie hervorragend, aber immer akzeptabel – und im Trend.


      Das zeigt ein Spruch, der in den sozialen Netzwerken, auf pastellfarbenen Postkarten und an den Wänden gefühlvoll ein- und ausgerichteter Cafés in letzter Zeit immer häufiger auftaucht: «In a world where you can be anything, be kind» – «In einer Welt, in der du alles sein kannst, sei nett». Die internationale Bildungseinrichtung «School of Life» publiziert Bücher zu verschiedenen Eigenschaften und Gewohnheiten, die das Leben und ein bisschen vielleicht sogar die Welt besser machen sollen. 2017 erschien unter dem Titel «On Being Nice» ein «Leitfaden, der den Leserinnen und Lesern helfen soll, eine der höchsten menschlichen Fähigkeiten wiederzuentdecken: die Fähigkeit, nett zu sein».


      Erstrebenswerte Nettigkeiten

      Wir Menschen sind evolutionsbedingt nett: Wer von der Gruppe gemocht wurde, wurde nicht verstossen, sondern genoss den Schutz der Gemeinschaft. Wer diesen Schutz heute verliert, befindet sich zwar nicht mehr in Lebensgefahr, aber die meisten trifft es empfindlich, wenn sie aussortiert und exponiert werden. Besser, man ist nett und gehört dazu. Nett zu seinen Liebsten, nett zur Chefin, nett zu Unbekannten, nett zu sich selbst. Letztgenanntes, das Nettsein zu sich selbst, macht unter dem Titel «Self-Care» gerade die wohl steilste Karriere aller erstrebenswerten Nettigkeiten.

      Nett heisst lieb, umgänglich, freundlich, gefällig, angenehm, ansprechend, einladend, bequem. Und, in Kombination mit einem «ganz», auch: mittelmässig, ohne Ecken und Kanten, so

      weit okay, belanglos, oberflächlich, annehmbar, ausreichend, einschläfernd, eintönig, fade. Darauf kommen die vereinten Köpfe des freien deutschen Wörterbuchs «Open Thesaurus». Jeder, der mag, darf hier beim Synonymesammeln mithelfen.


      Wer nett ist, will gefallen, statt aufzufallen. Wer nett ist, sagt vielleicht lieber nichts, um nichts Falsches zu sagen. Wer nett ist, lächelt lieber, als das Gegenüber auf einen Fehler hinzuweisen – und hilft damit keinem. Wer nett ist, nimmt sich zurück, um niemandem auf die Füsse zu treten – und wird damit selber zum Fussabtreter. Wer Nettigkeit erwartet, ist nicht bereit, Kritik einzustecken. Wer Nettigkeit einfordert, hat keine Lust, sich mit anderem zu konfrontieren. Wer nett ist, ganz nett, geht auch ganz schnell vergessen. Oder weiss jemand noch, wer zuoberst auf der Nettigkeitsliste steht, deren Ende Essen bildet? Die Städte mögen in der Umfrage diametral auseinanderliegen – mit dem Zug allerdings sind es bloss zehn Minuten. Zur Erinnerung, es ist Bochum.


      gefunden: nzz.ch/feuilleton/nettigkeit-ld.1723101
      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Kleine Philosophie der Reparatur


      Johan Wientgen veröffentlicht am 23 Januar 2023 4 min


      Nicht die großen Schöpfungsmomente sorgen für den reibungslosen Ablauf unseres Lebens, sondern die kleinen Akte des Kümmerns, Pflegens und Bewahrens. Dabei birgt das Reparieren als Kulturtechnik auch politisches Potenzial.

      Im kleinen iranischen Dorf Nashtifan, etwa 50 Kilometer von der afghanischen Grenze entfernt, lebt Ali Muhammed Etebari. Er ist der letzte in einer tausendjährigen Reihe von Menschen, die sich um die Windmühlen im Dorf kümmern, die zur Zeit des Persischen Reichs erbaut wurden. Seit Generationen laufen sie kontinuierlich und mahlen Korn zu Mehl. Würde er morgen damit aufhören, so drehten sich die Windmühlen bestimmt noch ein paar Tage oder sogar Wochen weiter. Doch eines Tages würde etwas kaputt gehen, ein Stück Gehölz die vertikal aufgestellten Rotoren blockieren oder jemand könnte kommen und sie zerstören. Die Windmühlen laufen seit eintausend Jahren, und zwar nur, weil Etebari und seine Vorgänger sich um sie kümmerten. Etebari hat eine der ältesten Aufgaben der Menschheit: das Reparieren.

      Dinge zu reparieren und nicht wegzuschmeißen ist seit Beginn der menschlichen Geschichte eine alltägliche Lebensrealität. Ob Schuh, Werkzeug oder Windmühle: Es war schlicht nicht möglich, sich eines für den Alltag wichtigen Objektes einfach zu entledigen und ein neues zu kaufen, sobald es kaputtging. Heutzutage ist diese bescheidene Pragmatik einer extremen Dekadenz im Umgang mit alltäglichen Objekten gewichen. Eine mesopotamische Bäuerin oder ein Fürst im mittelalterlichen Europa wären nicht einmal auf die Idee gekommen, ein erst kürzlich hergestelltes und voll funktionsfähiges Trinkgefäß zu zerstören, nur weil es leer ist. Für uns hingegen ist der regelmäßige Gang zum Altglascontainer eine unhinterfragte Gegebenheit.

      Das hat auch mit unserem anthropologischen Selbstverständnis zu tun. Denn diesem folgend ist der Mensch in erster Linie ein produzierendes Wesen. Hierbei handelt es sich letztlich um eine Denkfigur theologischen Ursprungs: Gott, der Erschaffer schlechthin, schuf den Menschen und das Universum in einem Akt der „creatio ex nihilo“, einer Schöpfung aus dem Nichts heraus. Wir Menschen sind also – ganz ihm nachempfunden – selbst kleine Produzenten. Dieses religiöse Verständnis vom Menschen als dem produzierenden Wesen hat sich, trotz der vorangehenden Säkularisierung, in der Anthropologie fortgeschrieben: von John Locke über Karl Marx, und schließlich in unsere spätkapitalistische Gesellschaft hinein. Das meist männlich konnotierte Produzieren ist so (anders als das weiblich aufgeladene Intakthalten und Reparieren der einmal geschaffenen Objekte) für unsere westliche Identität konstitutiv.


      Hand ans System anlegen

      Doch obwohl die Produktion das dominante Paradigma unserer modernen Gesellschaft ist, wird diese, wie der Anthropologe David Graeber in seinem Buch Bullshit Jobs beschreibt, eigentlich vom unsichtbaren und meist übersehenen Reparieren zusammengehalten. Nicht die großen Schöpfungsmomente sorgen für den reibungslosen Ablauf unseres Lebens, sondern die kleinen Akte des Kümmerns, Pflegens und Bewahrens. Nicht die Erbauer der Windmühlen von Nashtifan sind dafür verantwortlich, dass diese sich heute noch drehen, sondern Menschen wie Ali Muhammed Etebari. Reparieren ist so meist eine Tätigkeit der unbekannten und vergessenen Individuen.

      Auch deshalb zeigt sich überall dort, wo Systeme zusammenbrechen, an den Rändern und Zwischenräumen der Zivilisation, die Kraft des Improvisierens und die Langsichtigkeit der Reparatur. Denn das Reparieren eröffnet dem einzelnen Individuum eine konkrete Handlungsfähigkeit gegenüber dem System. Ich kann einen wirklichen Unterschied in der Welt, die mich umgibt, bewirken, nicht dadurch, dass ich ein neues Produkt kaufe, sondern indem ich einen alten und geschundenen Gegenstand mit meinen eigenen Händen wieder zum Leben erwecke. Dieses direkte und konkrete Verhältnis von mir als Subjekt zur mich umgebenden Welt aus Objekten zu realisieren, hat auf einer ganz persönlichen Ebene etwas Befriedigendes und Beruhigendes. Nicht verwunderlich also, dass das Reparieren auch als zelebrierte Kulturform seinen Einzug in die menschliche Lebenswelt gefunden hat. Von der japanischen Reparaturtechnik Kintsugi, bei der die behobenen Makel nicht verdeckt, sondern hervorgehoben werden, bis zum westlichen Trend des „Upcycling“ bildet das bewusste und als solches gefeierte Reparieren einen wichtigen Pfeiler vieler Traditionen.


      Die Spaltung kitten?
      Doch wer die Reparatur lobt, läuft leicht Gefahr, kulturpessimistisch zu klingen: Wie man eine Lederjacke einfettet und so über Jahrzehnte geschmeidig hält, wisse mittlerweile niemand mehr, die Generation von heute werfe den Schuh nun halt weg, wenn der Reißverschluss sich verhakt hat, und früher sei sowieso alles besser gewesen. Das ergibt zunächst Sinn, denn in der Reparatur versteckt sich auch ein normativ aufgeladener Essentialismus: So wie es einst war, soll es auch wieder werden. Das ist ein ur-konservatives Moment. Kein Wunder also, dass die Großmeister der Reparatur, die Konservatoren und Restauratoren von Kunstwerken, ihren Namen mit politischen Bewegungen teilen.


      Auf der anderen Seite jedoch ist die Forderung nach der Bewahrung – und dies mag zunächst paradox klingen – in der heutigen politischen Landschaft längst nicht mehr die der Konservativen. Die große reparierende und bewahrende politische Bewegung unserer Zeit ist die Klimabewegung, deren zentrale Forderung der Erhalt unserer Lebensgrundlagen ist. Denn eine Verbesserung unserer klimatischen Situation, das aktive Schaffen besserer Umstände ist längst kein realistisches Ziel mehr, sondern schlicht das Erhalten des ökologischen Status quo, das Bewahren des jetzigen Stands der Erwärmung.

      Wirklich erhalten – ob unsere ökologische Existenz oder die alte Lederjacke – kann man jedoch nur, wenn man einschreitet. Die Klimabewegung hat so eine der Grundwahrheiten des menschlichen Verhältnisses zu unserer materiellen Umgebung erkannt: Das Bewahren ist, wie das Reparieren, eine aktive Handlung. Die Reparatur könnte ein versöhnendes Element im Kulturkampf zwischen Konservativen und Progressiven bilden, ein starkes Gegennarrativ wider die Logik des Neuer und Besser. Denn hier trifft das Bewahren des Alten, die Rückbesinnung auf Tradition und Handwerkskunst auf Kritik am ökonomischen Verwertungssystem und verantwortungsvollen Ressourcenumgang. •


      gefunden: philomag.de/artikel/kleine-philosophie-der-reparatur
      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Beginnt das wahre Leben im Ruhestand?

      Wer jung ist, so eine verbreitete Überzeugung unserer Tage, lebt kraftvoll, intensiv und schlicht am besten. Doch ist das wirklich so? Cicero, Karl Marx und Hannah Arendt sehen die Sache mit dem Alter differenzierter.

      Cicero: Zum Teil, weil das Alter verborgene Schätze birgt.
      „Das Alter; alle wünschen es zu erreichen; haben sie es dann erreicht, dann beklagen sie sich darüber.“ Diese Feststellung machte Cicero im ersten Jahrhundert v. Chr.. In seinem kurzen Dialog Cato der Ältere über das Alter macht sich der alternde Philosoph und Redner daran, vier Argumente zu entkräften, die uns oftmals dazu verleiten, die Jugend dem Alter vorzuziehen: der vermeintliche Ausschluss vom aktiven Leben, der Verlust von Energie, der Entzug von Freuden und die Nähe des Todes. Der Grund für diese Beschwerden, so versichert Cicero, liege in der Sichtweise auf das Alter, nicht im Alter selbst. „Schuld an allen derartigen Klagen hat der Charakter des Menschen, nicht das Alter. Wer nämlich im Alter anspruchslos, leutselig und freundlich ist, der kann es ganz gut aushalten. Misslaune jedoch und unfreundliches Wesen machen das Leben zur Qual, ganz gleich, wie alt man ist.“

      Das Alter bringt nicht nur eine Form der Mäßigung mit sich, die die Seele ruhiger werden lässt, sondern ist für Cicero auch eine Art Ausbildung, deren positive Seiten sich dann im Alter besonders bemerkbar machen. Die Zeit, so Cicero, ist unser Verbündeter, insbesondere für alles, was mit dem Geistesleben zu tun hat: „Die besten Waffen gegen die Beschwerden des Alters, [...] sind die Wissenschaften und die praktische Verwirklichung sittlicher Werte. Sie trägt, wenn man sie in jedem Lebensalter gepflegt hat, nach einem langen und reichen Leben herrliche Früchte.“

      Cicero nimmt sich „alte Männer“ zum Vorbild, die ihre produktivsten Jahre spät erlebt haben: Platon, Sophokles, Homer und Hesiod. Daran macht er fest, dass das hohe Alter eine Form von intellektueller Freude mit sich bringen könne ebenso wie ein hohes Maß an Autorität, das als Zeichen eines mit Rechtschaffenheit und Verantwortungsbewusstsein geführten Lebens zu werten ist. Dazu habe allerdings auch die jüngere Generation beizutragen, da es schließlich leichter für die Alten sei, wenn sie „von der Jugend geachtet und geliebt“ würden. Solange wir uns nicht in „äußerster Armut“ befinden, so versichert Cicero, ist das mittlere Lebensalter sehr wohl dasjenige, in dem wir am meisten Erfüllung finden können.


      Karl Marx: Ja, aber nur, weil unsere Arbeit entfremdend ist.
      Zur Lebzeit Karl Marx´ veränderte das Aufkommen des modernen Industriekapitalismus das Verhältnis, welche viele Menschen zu ihrer Arbeit hatten. Arbeit wurde mechanischer, anstrengender, unmenschlicher. Immer öfter mussten Menschen nun für einen Hungerlohn monotone Arbeiten verrichten, die ihr Leben nicht annähernd mit Sinn füllten, sondern es viel eher beschädigt zurückließen. Ein wichtiger Grund dafür: Der Arbeiter schuftet nicht für sich selbst, sondern für einen anderen, den Kapitalisten. Die Früchte seiner Arbeit werden dem Arbeiter dabei zum Teil gestohlen, da der Mehrwert, den er durch seine eigene Tätigkeit schafft, ihm nicht zugutekommt.

      Der Kapitalist verhindert so, dass der Arbeiter sich in seiner Arbeit wiedererkennt. Die Folge ist eine Entfremdung von der eigenen Arbeit. „Und der Arbeiter, der 12 Stunden webt, spinnt, bohrt, dreht, baut [...]. - gilt ihm dies zwölfstündige Weben, Spinnen, Bohren, Drehen, Bauen, [...] als Äußerung seines Lebens.“ oder gar „als Leben?“ Ganz im Gegenteil, denn „das Leben fängt da für ihn an, wo diese Tätigkeit aufhört, am Tisch, auf der Wirtshausbank, im Bett.“ In einer kapitalistischen Welt schließen sich Arbeit und Leben gegenseitig aus.

      Doch wenn die Arbeit entmenschlicht, ist es ihre praktische Organisation, die in Frage gestellt wird, und nicht die Idee der Arbeit selbst. Denn bei Marx kann die Arbeit auch interessant, ja sogar befreiend sein. In seinen Manuskripten von 1844 definiert er Arbeit sogar als charakteristisch für den Menschen. Das „Gattungsleben" des Menschen werde durch Arbeit definiert und zeige, dass er seiner Existenz eine Form gibt. Eine wahrhaft kommunistische Gesellschaft ist keine Gesellschaft des Müßiggangs, ganz im Gegenteil! Jeder arbeitet entsprechend seinen einzigartigen Bedürfnissen, Fähigkeiten und Vorlieben. Arbeit ermöglicht es dem Menschen, seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten zu trainieren, mit Gleichaltrigen zusammenzuarbeiten und eine Form der Anerkennung zu erlangen. Aber per Definition kann eine solche entäußerte Arbeit nicht in einer Gesellschaft existieren, die auf wirtschaftlicher Konkurrenz – auch der von Arbeitnehmern untereinander – und dem Streben nach Profit beruht.

      Hannah Arendt: Nein, denn ein reicher Rentner kann ein sehr armes Leben führen.
      Stellen wir uns nun eine Welt vor, in der ein Rentner schon mit 60 Jahren und mit einer üppigen Rente in den Ruhestand gehen kann. Er ist reich und hat im besten Fall noch mehre schöne Jahrzehnte vor sich.
      Erlaubt ihm dieses Szenario allein, ein erfülltes Leben zu führen? Ist sein gesichertes Auskommen nach einem Leben harter Arbeit der garantierte Beginn einer glücklichen Existenz? Nicht unbedingt, würdeHannah Arendt

      antworten, vor allem dann nicht, wenn der Rentner in einer Konsumgesellschaft wie der unseren lebt. Dann nämlich könnte es sein,
      dass sich dieser Mensch derart an die Idee von Produktion und Konsum gewöhnt hat, dass er seine Ressourcen nutzt, um sie für die Arbeitskraft
      anderer einzusetzen. Was ist damit gemeint? Der voreilige Neu-Rentner beginnt, Dinge zu kaufen, Hobbys zu pflegen und im materiellen Leben hektisch nach einer Möglichkeit zu suchen, seine Zeit zu verbringen.

      Durch seine Hektik ist es ihm nicht möglich, wahrhafte Erholung zu finden. Immer noch ist er von der Idee besessen, eine Lücke füllen zu müssen und auf die eine oder andere Weise in einem produktiven System eingebunden zu bleiben. Ein Rentner wie der unsere ist in diesem Sinne als jemand zu verstehen, der zwar „von den Fesseln der Anstrengung befreit“ ist, aber gerade dadurch „frei bleibt, die ganze Welt zu konsumieren“, wie Arendt es in ihrem Werk Vita activa aus dem Jahr 1958 formuliert. Der Philosophin zufolge handelt es sich bei dieser Form der konsumistischen Freiheit um eine solche, die den verschlingen kann, der sie besitzt.

      Ein wirklich erfülltes Leben ist für Arendt eines des Handelns, der Diskussionen und Verbindung mit anderen sucht anstatt eines Lebens des Einkaufens und der Freizeitbeschäftigungen. Denn: Wo die soziale Existenz uns befreit, entfremdet uns das konsumistische Leben. Um im Ruhestand tatsächlich ein schönes Leben beginnen zu können, muss man also lernen, sich von diesem gierigen Willen zum Überkonsum zu lösen und sich anderem zuzuwenden. Dem Engagement in einem Verein beispielsweise oder auch Kunst und Kultur. Kurzum: Jenen Aktivitäten, die nicht lebensnotwendig sind, aber dazu beitragen, uns mit der Welt und den anderen zu verbinden. Blickt man allerdings auf tatsächliche Dynamiken heutzutage, deuten Trends wie die immer größere Einbindung älterer Personen in den Arbeitsmarkt, Silver Economy genannt, eher in e
      ine andere Richtung.


      Was lässt sich daraus schließen? Um über einen freudvollen Ruhestand nachzudenken, müssen wir uns also auch damit befassen, gerechte und akzeptable Arbeitsbedingungen zu schaffen. Die Debatte um einen erfüllten Ruhestand geht fehl, wenn sie nicht nach dem Stellenwert fragt, den wir unserer Arbeit in unserem Leben beimessen. Der Ruhestand sollte die Krönung eines ruhigen Arbeitslebens sein und nicht der Versuch, die Übel eines anstrengenden und entfremdeten Arbeitslebens zu kompensieren. •

      gefunden: philomag.de/artikel/beginnt-das-wahre-leben-im-ruhestand


      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.

    • Die Suche nach dem Glück in der digitalen Zeit - Teil 1 -


      In einer Welt voll von Push-Notifications, Social Media, unendlichen Wahlmöglichkeiten, sofortiger Verfügbarkeit und fehlgeleiteter elterlicher Erziehung kämpfen ganze Generationen heute damit, glücklich zu werden. Was bedeutet Glück? Kann man es in der heutigen, immer digitaleren Welt überhaupt noch finden? Und was hat der Freundeskreis von Chuck Norris mit wahrem Glück zu tun?


      Manchmal liegt das Glück auf einem eisigen Berggipfel

      Glück ist hoch individuell. Für den einen ist es das abendliche Grillen mit einem kühlen Bier auf der Terrasse und für jemand anderen bedeutet es, sich in einer menschenfeindlichen Umgebung schwierigen Herausforderung zu stellen. Beispielsweise durch das Besteigen eines vereisten Berggipfels in den Anden.


      Und so scheint es auf den ersten Blick schwierig zu sein, unser Glück zu messen. Geschweige denn, es zu definieren. Aber es gibt – und die Grundlage dafür sind umfangreiche Forschungen – Studien sowie Metriken zum Thema Glück.


      Glücksforschung
      Die Wissenschaft ist voll von Studien, die sich mit unserem Glück beschäftigen und es aus allen erdenkbaren Richtungen beleuchten und analysieren. Eine der großen internationalen Studien beleuchtet dabei den Zusammenhang zwischen unserem Glücksempfinden und unserer Lebenszeit [1].


      Kinder und ältere Menschen sind glücklicher


      Wirklich überraschend ist hierbei, dass es tatsächlich einen Zusammenhang gibt zwischen unserem Lebensalter und unserem Glücksempfinden. So sind wir nachweislich glücklicher am Anfang und am Ende unseres Lebens. Und auch wenn Viele es krampfhaft versuchen, so können wir jedoch leider unser Alter nicht aktiv steuern. Wir können uns nur damit arrangieren und die eigene Alterssituation gut akzeptieren.

      Mehr Kohle – mehr Glück?

      Ein zweiter großer Bereich in der Glücksforschung beschäftigt sich mit dem Zusammenhang zwischen Wohlstand und Glücksempfinden. Grundlegend gehen wir davon aus, dass großer Wohlstand – wie in Deutschland – auch zu einer Steigerung des Glücks der Bevölkerung beiträgt. Jedoch zeigt die Wissenschaft, dass es hierbei keine Korrelation gibt.



      Das wirtschaftliche Wachstum eines Staates steht danach nicht in Korrelation mit dem Wohlbefinden und Glücksempfinden der Bevölkerung in Verbindung. Es gibt weltweit sogar Beispiele, wo sich dies negativ ausgeprägt hat. Und schaut man auf den individuellen Reichtum von Menschen – konkret das Brutto-Jahres-Haushaltseinkommen im Verhältnis zum empfundenen Glück – so setzt sich dieses Bild fort. Aktuelle Studien zeigen deutlich, dass das Glücksempfinden ab einem Einkommen von 80.000 USD stark abflacht und zum Ende sogar abnimmt. Geld macht uns also nur bis zu einem bedingten Punkt glücklich, bei zu viel sogar eher unglücklich.




      Stress, Stress, Stress – Yoga vielleicht?
      Wenn man über Glück und besonders darüber, dass man sich aktuell unglücklich fühlt, nachdenkt, denken wir zumeist auch an Stress. Habe ich zu viel Stress? Bin ich so unglücklich, weil ich so ein gestresstes Leben führe? Sollte ich meinen Stress reduzieren, weniger Arbeiten, mehr Zeit für mich haben und so weiter. Gedanken, die wahrscheinlich jeder von uns kennt.


      Ausgewogener Stress ist das Beste, was uns passieren kann.

      Doch anders als wir alle denken ist Stress für unser Glücksempfinden nichts Negatives und sollte daher auch auf keinen Fall vermieden werden. Der Mensch benötigt ein optimales Stresslevel, um überhaupt aktiviert zu werden und erfüllende Herausforderungen im Leben anzunehmen und zu meistern. Denn dabei entsteht Glück. Die Wissenschaft sagt hierzu: Ausgewogener Stress ist das Beste, was unserer psychischen Gesundheit zum Erreichen von Glück passieren kann.


      Glück und Erfolg – Korrelation vs. Kausalität


      Ein weiterer Aspekt befasst sich mit der Korrelation zwischen Glück und Erfolg. Man ging lange davon aus, dass sich beide Punkte gegenseitig direkt beeinflussen. Vielmals geht man davon aus, dass beruflicher Erfolg positive Emotionen und Jobzufriedenheit zur Folge haben. In zahlreichen Meta-Studien wurde allerdings erkannt, dass diese Annahme nicht korrekt ist. Es handelt sich hierbei nachweislich nicht um eine Korrelation, sondern um eine Kausalität. Dies bedeutet, dass sich der berufliche Erfolg erhöht, wenn das persönliche Glücksempfinden steigt. Oder einfach ausgedrückt: Wer glücklich ist, ist in Folge auch beruflich erfolgreicher.

      Die Messbarkeit von Glück

      Wie wir verstanden haben, gibt es also einige bedeutungsvolle Wirkprinzipien von Glück. Aber wie erkennen wir, ob und wie stark Glück empfunden wird? Das bringt uns zu der Frage, ob Glück messbar ist. Die einfache Antwort lautet: "Ja – Glück ist messbar."

      Mathematisch ausgedrückt ist Glück das Resultat der Subtraktion von Realität und Erwartung. Ist das Erleben der Realität größer als die aufgebaute Erwartung, empfinden wir dies als Glück. Umgekehrt empfinden wir hingegen Enttäuschung und Unglück. "Die besten Partys warn häufig die, bei denen man nicht erwartet hat, dass es ein cooler Abend wird." Wird eine niedrige Erwartung an ein Ereignis gestellt und die Realität erweist sich als besser als die Vorstellung, wird in vielen Fällen ein massives Glücksempfinden ausgeschüttet.


      Chuck Norris und das Glück

      Wir haben gelernt, dass Glück hochindividuell ist. Es gibt viele Kriterien, die dazu beitragen und unser Empfinden beeinflussen. Außerdem haben wir herausgefunden, dass Glück messbar ist. Doch auch für den Fall, dass alle Kriterien erfüllt werden, empfinden die Wenigsten vollkommene Zufriedenheit. Es muss also noch weitere Punkte geben, welche das Empfinden beeinflussen.Schauen wir uns Chuck Norris an. Chuck Norris scheint nie wirklich unglücklich gewesen zu sein. Er hat nie nach dem sogenannten Sinn des Lebens, seinem Purpose oder seiner Bestimmung gesucht. Chuck Norris steht für eine ganze Generation von Menschen, die trotz harter Zeiten sehr glücklich waren. Eine Generation, die noch Kriege und Hungersnöte erlebt hat.Wie kann es sein, dass sich gerade junge Menschen trotz zahlreicher, objektiv erfüllter Glücksfaktoren heute oft dennoch sehr unglücklich fühlen? Umgekehrt ist unsere heutige Generation trotz Wohlstand, Sicherheit und Freiheit unglücklicher als je zuvor. Und gerade diejenigen, welche gezielt nach dem Sinn des Lebens suchen, finden ihn mit am wenigsten.Es muss also eine Verbindung zwischen den Generationen geben. Ein großer Punkt hierbei ist die Erziehung und das Framing. Vergleicht man das Leben vergangener mit dem heutiger Generationen, werden schnell gewaltige Unterschiede deutlich. Unsere Eltern und Großeltern sind in einer Zeit von Krieg und Hunger groß geworden. Sie sind mit der Hoffnung aufgewachsen, dass sie ihren Kindern durch harte Arbeit zukünftig vielleicht einmal ein besseres Leben bieten können.


      Wir gelangen zu der Einsicht, dass unsere hohen Erwartungen überhaupt nicht erfüllt werden können.



      Durch das Kriegsende und den darauf folgenden wirtschaftlichen Aufschwung konnte dann durch viele Jahre harter Arbeit ein unvorhersehbarer Wohlstand erreicht werden. Die Realität wurde somit besser als die Erwartung, was bekanntermaßen zu Glück führt. "Einfach gesagt haben unsere Eltern wenig vom Leben erwartet und am Ende mehr bekommen als gedacht. Und das wollen wir auch."Unsere jüngeren Generationen werden genau auf diesem – noch nie da gewesenen – Höhepunkt aus Glück, Wohlstand und Sicherheit geboren. Wir fühlen uns mehr als berechtigt, dass uns Glück, Wohlstand, Status, Freizeit und Karriere in unbegrenztem Rahmen zusteht. Und wir haben durch die Historie unserer Eltern gelernt, dass es am Ende wahrscheinlich sowieso noch besser kommt, als wir sowieso schon erwarten.Doch die Realität nach der Schule, der Ausbildung oder dem Studium sieht dann oft ganz anders aus. Große Karrieren und Träume kosten unfassbar viele Nerven, Schweiß, Tränen und Zeit. Wir gelangen auf brutale Weise zu der Einsicht, dass unsere extrem hohen Erwartungen an die Welt überhaupt nicht erfüllt werden können. Diese Erkenntnis führt zu Frust, Unzufriedenheit und zu einem Gefühl von großem Unglück.


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      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • - Teil 2 -


      Upgrade – Technologie, die Droge unserer Zeit

      Die Erkenntnis unglücklich oder nicht zufrieden zu sein, ist ein elementarer Schritt, den wir lernen müssen und an dem sich unsere Persönlichkeit entwickelt. Es ist essenziell für uns, sich mit diesem Problem zu konfrontieren. Doch genau diese Konfrontation gelingt uns heutzutage immer weniger. Stattdessen begegnen wir diesen Enttäuschungen durch eine vollkommen unkontrollierte und unreflektierte Nutzung von Technologie. Auf Smartphones und den sozialen Medien erleben wir täglich, dass das Leben, die Karriere und der Erfolg unserer Freunde und Bekannten der Hammer ist. Sie scheinen glücklich, zufrieden und erfolgreich zu sein. Diese zum Großteil nicht wahrheitsgemäße Selbstinszenierung des Umfeldes führt bei einem selbst zu einer gesteigerten Unzufriedenheit. In weiterer Konsequenz führt dies immer häufiger zu Depressionen.

      Was also tun mit dieser neuen Social-Media-Welt? Es bieten sich nun zwei Möglichkeiten – entweder Akzeptanz und Einsicht oder die Beteiligung am Spiel der Selbstinszenierung. Zumeist fällt die Wahl auf den einfachen Weg und ich selbst präsentiere mein Leben und meine beruflichen Erfolge auf Social-Media-Kanälen. Ich erlebe dabei, dass das massive positive Feedback zu Bestätigung, Freude und nachweislich zur Ausschüttung von Dopamin bei mir führt.



      Dopamin – Nikotin, Alkohol, Glücksspiel, Social Media

      Dopamin – das Glückshormon unseres Körpers. Das gleiche Hormon welches beim Konsum von Nikotin, Alkohol und Glücksspiel ausgeschüttet wird. Doch für all diese Konsumgüter gibt es Altersbeschränkungen. Aber nicht für die Nutzung von Social Media und Smartphones! Die heutigen Generationen wachsen nun also auf in einer Zeit, in der die Droge Social Media permanent verfügbar ist. Und mit der konsequenten Nutzung wird in unserem Gehirn nachweislich ein Belohnungssystem verankert, das für den Rest unseres Lebens dazu führen wird, dass wir uns über die Droge der sozialen Medien Bestätigung in schwierigen Zeiten holen. Wir wollen Dopamin, wir sind süchtig.
      Und wie jede Sucht zerstörte diese Beziehungen, kostet Zeit und Geld und wird das Leben schlechter machen. Und die Wissenschaft hierzu ist eindeutig: Die Nutzung von sozialen Medien steht in direkter Verbindung. Keiner muss und sollte auf die Nutzung von sozialen Medien und Handys verzichten. Doch es ist entscheidend, die richtige Balance zu finden. Gerade in jungen Jahren. Jahren, die für die eigene Persönlichkeitsentwicklung so elementar wichtig sind.



      Prime & Tinder – Katalysator unseres Unglücks?
      Neben Technologie und Erziehung – beziehungsweise dem damit verbundenen Framing – ist der dritte Aspekt, unsere erlernte Ungeduld. Ich bezeichne dies gerne als den "Katalysator unseres Unglücks".
      Wir passen heute unsere Erwartungen ans Leben nicht nur immens nach oben an, sondern erwarten auch, dass unsere Traumwelt extrem schnell eintritt. Wir leben in einer Welt, in der fast alles mit minimalem Aufwand, sofort und immer verfügbar ist. Indisches Essen in 30 Minuten vom Lieferdienst ins Büro geliefert, einen Kinofilm direkt abrufen über den Streamingdienst oder den exotischen Eistee aus Amerika in zwei Stunden zu mir nach Hause geliefert. Und es geht sogar noch weiter. Sexuelle Erlebnisse und mögliche Partnersuche mit nur einem Swipe erledigen.

      Völlig nachvollziehbar, dass so ein Gefühl entsteht, das alles in unserer heutigen Zeit immer und sofort erreichbar und für uns verfügbar ist. Und so positiv diese neuen Möglichkeiten auch sind – sie verhindern gleichzeitig, dass wir wichtige, elementare Fähigkeiten, Spielregeln und Bewältigungsstrategien des Lebens lernen und trainieren. Für Durchhaltevermögen, Frustrationstoleranz und Geduld gibt es keine App. Dies sind alles Dinge, die unfassbar viel Zeit brauchen, kompliziert zu erlernen sind und sehr viel Geduld benötigen. Essenzielle Mechanismen und Fähigkeiten, um tiefe Beziehungen aufzubauen, Partnerschaften zu stärken und wirkliche Zufriedenheit im Beruf und Leben zu erreichen.

      Nach den eigenen Worten junger Generationen ist eine der größten Herausforderungen, wirkliche Geduld zu haben und enge Beziehungen und Freundschaften zu erhalten. Vielmehr haben wir heute oft die Wahrnehmung, dass das Leben eine Aneinanderreihung von Gipfeln aus einmaligen Erlebnissen ist. Doch wir haben dabei verlernt, den meist mühsamen, langwierigen Weg hoch auf den Gipfel zu sehen und zu gehen. Und oft ist dieser Weg anstrengend und es kostet Zeit und Schmerzen, wenn man nach oben will.

      Und man kann den Weg nach oben auf diesen Gipfel eben nicht durch einen Swipe nach rechts abkürzen. Doch engen Freundschaften, Liebe, Partnerschaft, Zufriedenheit im Job, Lebensfreude oder Selbstvertrauen brauchen diese Zeit und Geduld. Und wenn wir das nicht lernen und akzeptieren, haben wir vielleicht keine Chance, wirklich glücklich zu werden.




      Unternehmen und der Rohstoff Mensch
      In vielen Unternehmen werden Angestellte immer noch als Ware gesehen. Identisch zu Verbrauchsmaterial, das im Lager gestapelt wird. Das man nach Bedarf über Zeitarbeitsfirmen auf- und abbaut. Das man, wenn überhaupt, in fachlicher Effizienz schult, um Erträge zu optimieren. Kein Begriff beschreibt diese Haltung wohl besser als der in Unternehmen geläufige Begriff "Human Ressources".


      Die neue Verantwortung von Unternehmen

      Wir haben dies bei uns schon vor Jahren in unseren Werten festgeschrieben. Und sogar in einem umfangreichen Buch manifestiert. Wir setzen uns täglich dafür ein, dass wir nicht nur besser werden, sondern auch ein Ort, an dem wir Menschen dabei unterstützen, ein glückliches und zufriedenes Leben zu führen. Darum machen wir viele Dinge anders.

      Wir leben eine aktive Fehlerkultur, nutzen partizipative Methoden der Zusammenarbeit, leben eine agile Organisationsentwicklung, fördern eine wertstiftende Feedbackkultur, vermitteln Methoden zum Umgang mit den eigenen Bedürfnissen und setzen uns immer wieder aktiv mit unseren Werten und Prinzipien auseina
      nder. Und wir vermitteln damit nicht nur beruflich wichtige Fähigkeiten, sondern auch entscheidende soziale Fähigkeiten und Kompetenzen für ein glückliches Leben.

      Eure Zukunft! Viel Glück da draußen

      Wenn wir in Zukunft wirklich glücklich werden wollen, müssen wir uns – ob wir wollen oder nicht – aktiv damit auseinandersetzen:
      • Wieder Geduld neu zu erlernen
      • Wichtige soziale Fähigkeiten wieder zu stärken
      • Wieder eine realistische Erwartungshaltung an unser Leben entwickeln
      • Die permanente, von außen getriebene Selbstoptimierung reduzieren und mehr Wertschätzung und Dankbarkeit für die Ist-Situation entwickeln
      • Die richtige Balance bei der Nutzung von Social Media und Smartphones finden
      Auch wenn der richtige Arbeitgeber dabei mit guten Rahmenbedingungen unterstützen kann, liegt diese Verantwortung bei jedem von Euch selbst. Für sein persönliches, glückliches und erfülltes Leben. Aber auch für das Leben und Glück der Menschen in eurem direkten Umfeld, das ihr mit Eurem Verhalten beeinflusst.


      Gefunden in: informatik-aktuell.de/manageme…n-der-digitalen-zeit.html




      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Kramnik bricht sein Schweigen

      06.03.2023 – Während sich eine Reihe von russischen Schachmeistern und -meisterinnen öffentlich für einen Stopp des russischen Angriffskriegs ausgesprochen haben, ist von anderen kaum etwas zu hören gewesen. Zum Beispiel von Vladimir Kramnik, dem 14. Weltmeister (2000 bis 2007). Martin Breutigam, Autor und Internationaler Meister, hat wegen des langen Schweigens mal nachgefragt bei Kramnik – und eine ausführliche Antwort erhalten. | Foto: Guido Kohlen


      Nach langer Zeit mailte ich Vladimir Kramnik zwei Fragen, mit der Bitte um ein Statement für meine wöchentliche Zeitungskolumne im Berliner „Tagesspiegel“. Im Gegensatz zu manchen russischen Großmeisterkollegen, die schon frühzeitig und teils sehr mutig den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verurteilten, hat sich der seit langem in der Schweiz lebende Kramnik mit öffentlichen Erklärungen bislang zurückgehalten. Zu meiner Überraschung folgte schon am nächsten Tag eine ausführliche Antwort. Kramnik verband sie allerdings mit einer Bedingung: Ich dürfe seine Worte gerne veröffentlichen – „aber nur in voller Länge“. Ich schrieb zurück, dafür sei meine Kolumne viel zu klein sei. Nach kurzem Hin und Her einigten wir uns, seine Sichtweise ungekürzt auf dieser Seite zu veröffentlichen.

      Gewiss, bei einigen Passagen würde man gerne sofort nachhaken oder widersprechen, aber es ist eben kein Interview und auch keine Diskussion mit Rede und Gegenrede, sondern das persönliche Statement eines prominenten Mannes mit halb russischen und halb ukrainischen Wurzeln.
      Hier meine beiden ursprünglichen Fragen und Kramniks Antworten.

      Frage 1: Welche (Schach-)Projekte oder Pläne verfolgst du momentan?

      Kramnik: Ich mache viele Dinge, unter anderem nehme ich einen neuen Kurs auf Chessable auf, habe gerade die pädagogische Schachanwendung für Kinder (hauptsächlich, aber nicht nur) Chess Legends veröffentlicht, die jeder im Web herunterladen kann, und andere Dinge. Ich plane, in diesem Jahr am Dortmunder No-Castle-Schachturnier teilzunehmen.


      Frage 2: Wenn ich nichts übersehen habe, hast du noch keine öffentliche Stellungnahme zum russischen Krieg gegen die Ukraine abgegeben. Im Gegensatz zu etlichen deiner Kollegen. Warum hast du noch keine Haltung dazu formuliert?

      Kramnik: Ich nutze keine sozialen Netzwerke, ich bin es nicht gewohnt, mich öffentlich zu äußern, und in der Tat bist du der
      erste Journalist, der mir diese Frage gestellt hat.

      Wenn du meine Gedanken dazu wissen willst, kann ich sie hier beschreiben. Ich bin gegen ALLE Kriege A PRIORI, ohne Ausnahme, aber ich sehe nicht viel Sinn darin, diese offensichtliche Idee öffentlich zu machen. Es sei denn, man sucht nach öffentlichem Applaus.

      Leider ist festzustellen, dass sehr wenige Politiker oder öffentliche Personen – im Gegensatz zu ihren Worten – in Wirklichkeit ECHTE Anstrengungen unternehmen, dies irgendwie zu STOPPEN. Im Gegenteil, oft gießen diese Äußerungen meiner Meinung nach nur Öl ins Feuer und provozieren noch mehr Konfrontation und Hass unter den Menschen ...


      Es gibt heutzutage viel Demagogie und „richtige Worte“ in den Medien, aber ich ziehe es vor, stattdessen zu versuchen, einigen Menschen zu helfen, die in diesen schwierigen Zeiten Hilfe benötigen, egal welcher Nationalität sie sind. Und ich hoffe, dass endlich alle anfangen zu diskutieren, was praktisch getan werden kann, um Wege zu finden, den Krieg zu stoppen.

      Ich habe den starken Verdacht, dass viele öffentliche „Aktivisten“ (natürlich, verstehe mich nicht falsch, es gibt genug aufrichtige Menschen, aber immer noch eine Minderheit) diese dramatische Situation nur für ihren eigenen Stolz ausnutzen (hauptsächlich, um sich auf der „richtigen Seite“ zu fühlen und von der Öffentlichkeit gemocht zu werden), denn nur wenige von ihnen gehen über Worte hinaus. Oder sie denken über die möglichen Folgen ihrer Vorschläge nach, die sie aus ihrer „moralisch gerechtfertigten Wut“ heraus gemacht haben.

      Noch etwas lässt mich so denken, ich habe von den meisten von ihnen früher keine Bedenken gehört über Hunderttausende von Opfern während der letzten großen Kriege wie im Irak, Syrien, um nur einige zu nennen. Und einige hatten diese Kriege sogar öffentlich unterstützt. Sorry, aber ich glaube nicht an „selektiven Humanismus“ ...

      Ich bin halb russischer, halb ukrainischer Abstammung, habe Verwandte und Freunde in beiden Ländern, denen ich versuche zu helfen, soweit ich es mir leisten kann, und das ist für mich etwas sehr Persönliches. Ich glaube, die eigentliche Aufgabe besteht jetzt darin, sich darauf zu konzentrieren, Wege zur Beendigung dieses Krieges zu finden, anstatt eine „Hexenjagd“ zu veranstalten. Und ich glaube nicht eine Sekunde daran, dass es keine Möglichkeit gibt, ihn zu beenden. Wie eine alte Weisheit besagt, findet derjenige, der wirklich will, Wege, ansonsten sucht er nach Ausreden ...

      Ich habe keine Lust, an einer Veranstaltung teilzunehmen, die sich
      schon längst zu einem Jahrmarkt der Eitelkeiten entwickelt hat, wie ich finde. Viele Leute haben bereits öffentlichen Beifall für ihre Äußerungen erhalten, aber das hat die Situation nicht besser gemacht. Die Konfrontation geht immer noch weiter und verschärft sich leider noch. Mit den möglichen Folgen wie einem globalen Dritten Weltkrieg, auf den wir langsam aber sicher unter diesem Chor von selbsternannten „Kämpfern für das Gute“ zusteuern. Wozu also all die zahlreichen Erklärungen? Um ein schönes Selbstbild zu schaffen? Um sich als guter Mensch zu fühlen? Ich lasse alle, die sich dafür interessieren, dieses Spiel spielen, das ist nicht mein Ding, sorry.

      Ich werde meine Meinung zu dieser tragischen Situation sagen, WENN ich mich dazu entschließe, aber erst, nachdem diese leere Eitelkeitsmesse und Hexenjagd, die mich zugegebenermaßen ziemlich wütend macht, ein Ende hat. Das ist meine zentrale humane Position.


      Und diejenigen, die aus irgendeinem unbekannten Grund beschlossen haben, sich das Recht einzuräumen, über jeden zu urteilen und ihn zu verurteilen, der es wagt, sich vom Chor der leeren Reden fernzuhalten, können weiterhin ihre „moralische Überlegenheit“ genießen, aber ich behalte mir das Recht vor, das zu tun und zu sagen, was mit meinen inneren menschlichen Werten übereinstimmt.

      Ich glaube nicht, dass aus den oben genannten Gründen und aufgrund grundlegender menschlicher und demokratischer Prinzipien (die meiner Meinung nach immer noch in jeder Situation gültig sind) irgendjemand das moralische oder andere Recht hat, mir oder irgendjemandem eine Verpflichtung aufzuerlegen, etwas zu sagen, wann und was er möchte.

      Im Moment ziehe ich es vor, so viel zu TUN, wie ich kann, und lasse „Schwätzer“, die stolz auf sich sind, reden.

      Ich wollte niemanden speziell beleidigen, aber ich hoffe, dass mein Standpunkt jetzt klar ist.

      Mit freundlichen Grüßen
      Vladimir


      Gefunden:de.chessbase.com/post/kramnik-…-sein-schweigen-zum-krieg


    • Ich habe hier einen schönen Artikel gefunden der Lesenswert ist.

      10 Vorteile Kindern beizubringen Schach zu spielen

      Vielleicht haben die berühmten Namen der Schachwelt, Tigran Petrosyan und Levon Aronian, mehr gemeinsam als nur Schach, sie sind beide Armenier, ein Land, in dem alle sechsjährigen Kinder in Schulen Schach lernen und so das erste Land sind, das das tut.

      Als Eltern denken viele von Ihnen an die Zukunft Ihres Kindes, wie Sie ihm helfen können, richtig in die Zukunft zu gehen.

      Das Wichtigste in deiner elterlichen Mission ist es, herauszufinden, was für deine Kinder am besten ist.

      ► Gehirnwachstum
      ► Beide Gehirnhälften werden beansprucht
      ► Schach erhöht Ihre Kinder IQ
      ► Alzheimerprävention
      ► Es erhöht die Problemlösungskompetenz von Kindern
      ► Schach verbessert räumliche Fähigkeiten
      ► Bessere Planung und Weitblick
      ► Gutes Leseverständnis
      ► Trainiertes Gedächtnis
      ► Schnellere Regeneration nach einem Schlaganfall oder einer Behinderung

      Quelle

      (chess-international.com/?p=754)

      Zum neuen & unzensierten Kanal (t.me/gesundohnemedikament)

      Schach-Ticker (chess-international.com/?p=754)
      10 Vorteile Kindern beizubringen Schach zu spielen - Schach-Ticker
      Vielleicht haben die berühmten Namen der Schachwelt, Tigran Petrosyan und Levon Aronian, mehr gemeinsam als...
      Und is da Weg a no so schdeil,
      a bissal wos gehd allerweil.