Der Weltmeister, der erstmal weg war

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    • Der Weltmeister, der erstmal weg war

      Ding Liren hat vor einem Jahr Magnus Carlsen als Schach-Weltmeister abgelöst. Danach war der Chinese lange verschwunden. Warum nur? Begegnung miz einem sehr leisen Champion.

      Die Espressomaschine soll bitte mal Pause machen. Für ein Interview mit Ding Liren muss man Vorkehrungen treffen, denn der Schachweltmeister spricht leise. Er sitzt in einem Ostsee-Schloss, das zum Hotel umgebaut wurde, und er antwortet so egdämpft, dass das Aufnahmegerät eine Störung anzeigt: kein Signal empfangen. Deswegen eine Bitte an den Servie: Jetzt mal keine Kaffeepulver aus dem Siebträger klopfen, nicht mit dem Geschirr klappern. Dass der Chinese hier sitzt und spricht, das ist ja schon was.

      Ding Liren, 31 Jahre alt, galt in der Schachwelt über viele Monate quasi als vermisst. Ausgerechnet nach seinem größten Erfolg. Im April 2023 besiegte er bei der WM den Russen Jan Nepomnaschtschi und war plötzlich Nachfolger des schillernden Magnus Carlsen. Oft geht es an so einemPunkt erst richtig los mit der Karriere. Ding hätte die Aufmerksamkeit nutzen und werben können für sich und seinen Sport, So wie es der Norweger Carlsen übr Jahre emacht hatte. Aber so einer ist er eben nicht. Keiner, der sich gerne vor Kameras stellt, Sponsoren angelt und Clips mit ihnen dreht.

      Stattdessen hat sich Ding rar gemacht. Ein Turnier hat er nach der WM noch absolviert, dann erst einmal ein Dreivierteljahr keines mehr. Erst in den vergangenen Wochen ist er wieder auf der Schachbühne zurückgekehrt: beim in Wijk aan Zee, dann bei einem hochklassigen Einladungsturnier in einem Luxus-Resort an der Ostsee und aktuell bei den Grenke Chess Classic in Baden-Baden.

      Zweilmal ging Ding in eine Klinik, bis heute muss er Medikamente nehmen.

      Und dazwischen?
      Dazwischen liegt eine sehr schwierige Zeit. Bei dem Treffen mit der SZ vor einigen Wochen, am Rande des Turniers an der Ostsee, wirkt Ding aufgeräumt. Aber er amcht auch kein Geheimnis daraus, was hinter ihm liegt und ihn noch immer beschäftigt. "Ws war turbulent", sagt er, die pdychischen Probleme begleiteten ihn weiterhin. Zweimal ginh er in eine Klinik, bekam Medikamente, auch heute muss er noch welche nehmen. Ding mag zurückhaltend sein, leise reden. Aber er hört zu und redet mitunter offen.

      Dass der neue Weltmeister ganz anders ist als der alte, war schon vor der WM klar, aber auf der großen Bühne wurde es noch sichtbarer. Bei seinem Sieg gegen Nepomnjaschtschi verharrte Ding fassungslos auf seinem Stuhl, die Hand vor die Augen geschlagen. Schon als das WM-Turnier noch lief, machten ihm Schlafprobleme zu schaffen. "Meine psychische Verfassung war nicht so stabil", sagte er. Eine Schach-WM kann auszehrend sein, Regenneration ist wichtig, doch Ding kam damals selbst nachts nicht zur Ruhe. Er versuchte zu lesen, doch das funktionierte als Ablenkung nicht. "Ich habe nur dagelegen und anchgedachte", sagt er. Nicht üebr Schach, sondern über das Leben, andere Menschen, Beziehungen.

      Mit Schach ist Ding schon sein ganzes Leben verwoben: Im Alter von vier Jahren fing er an, in der U6 wurde er bereits chinesischer Meister. Er studierte Jura, widmete sich aber weiter dem Spielen. Schach ist ein brutaler Sport: diese stete Belastung des Gehirns, dieses stete Konzentrieren, dieses stete Gefühl, dass einem die ganze Welt beim Nachdenken zuschaut. Aber Ding hat das durchgezogen. Er hat seine Schachkarriere vorangetrieben, und es gab Jahre, da hat er absurd viele Turniere gespielt, und das ungemein erfolgreich: Von August 2o17 bis November 2018 bestritt er ^1oo Partien ohne Niederlage, in der Weltrangliste nahm er immer einen Platz in den Top drei ein.

      China träumte lange von einem Weltmeister- Ding war der Erste, der es schaffte.

      "Da Schach kein Olympia-Sport ist, wird es von der Regierung nicht so sehr gefördert wie andere Sportarten", sagt Ding, finanzieren konnte er sich aber. Und die Erwartungen waren trotzdem immens groß. In China haben sie vor fast 5o Jahren das Projekt "Großer Drachen" gestartet. In dem bevölkerungsreichsten Land der Welt war Schach früher einmal verboten, nun sollte unbedingt ein Weltmeister aufgebaut werden. Bei den Frauen war das bald der Fall, bei den Männern aber nicht, da zerbrach so mancher Akteur an den großen Hoffnungen. Und dann kamen Ding und sein Triumph gegen Nepomnjaschtschi im April 2023.

      Das Video seines WM-Erfolgs sahen sich noch am selben Abend auf der chinesischen Plattform Weibo mehr als zehn Millionen nutzer an, sein Name wurde plötzlich bekannt. Ding wurde eingeladen in seine alte Schule, um mit den Kindern Schach über Schach zu reden,d as konnte er noch ohne Probleme absolvieren. Ein Mädchen schrieb Ding über den Messenger Wechat an, sie jabe seinetwegen mit dem Schachspielen angefangen, "das hat mich gefreut", sagt er. Aber sonst ist ihm Aufmerksamkeit ungeheuer. Wenn ihm Fans in den sozialen medien schreiben, belastet ihn das schnell. "Ich möchte nicht so enge Beziehungen zu ihnen haben,d as macht mir mehr Druck". Druck ist sein ständiger Begleiter.

      Wie sehr der ihn belastet, zeigt ein Sprung zurück in die Panedmie: Jedes Mal wenn Ding von Turnieren zurückkam, musste er den strikten Corona-Regeln der Regierung Folge leisten und für zwei Wochen in ein Quarantänehotel. Vier Mal erwischte er so eine Quarantäne, also acht Wochen insgesamt, ohne Ausgang:" Aber das war für mich kein großes Problem, denn ich konnte immer noch Schach übers Internet spielen und mit meinen Freunden in Kontakt bleiben", sagt Ding. Und sogar das: "Manchmal vermisse ich diese Zeit sogar. Du bist nicht gezwungen, irgendwas zu machen. Es war nicht so schrecklich:"

      In den kommenden Wochen wird sein nächster WM_Gegner ermittelt.

      Zwischenzeitlich hat sich in der Schachszene manch einer gefragt, ob Ding überhaupt noch einmal zurückkomme. Jetzt ist er wieder da. Nicht nur die Medikamente sollen ihm nun helfen, besser mit den Problemen zurechtzukommen, Ding Liren erinnert sich auch an die vielen gespräche. "Die Ärzte haben mir gesagt, ich soll mich nicht so sehr auf die Resultate konzentrieren. Und nicht so unglücklich sein, wenn ich nicht gut gespielt habe, das kann halt passieren." Auch Musiktherapie war Teil seiner Behandlung, Ding ist empfänglich für viele Arten von Kunst: Musik, Gedichte, Literatur. Bob Dylan hat es ihm angetan, aber auch Künstler aus seiner Heimat. "Das hilft mir, wenn ich schlecht drauf bin", sagt er.
      Wie gut er nun drauf ist, das muss sich zeigen. Er selbst betont, wie klein die Schritte sind, die er geht. Für das Turnier in Baden-Baden etwa, das noch bis Ostermontag läuft, hat sich der Weltmeister vorgenommen, "nicht Letzter" zu werden. Im Dezember steht die nächste WM an, der Gegner wird in den kommenden Wochen in einem Kandidatenturnier unter acht Großmeistern ermittelt. "Wenn Ding so spielt, wie er in ketzter Zeit gespielt hat, hat er natürlich keine Chance", sagte Magnus Carlsen zuletzt. Aber selbst wenn er so spiele wie gegen Nepomnjaschtschi, würde es gegen manchen der potenziellen gegner nicht reichen. Aber bis dahin ist es ja auch noch eine Weile.

      Als das Gespräch an der Ostsee endet, sackt Ding Liren in sich zusammen, mit einem großen Seufzer der Ereichterung. Es ist vorbei, er muss nicht mehr reden, anch Worten auf Englisch ringen. Dieser Seufzer: es ist sein lautestzer Ton an diesem Nachmittag.



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