Welches Buch liest du gerade?

    Diese Seite verwendet Cookies. Durch die Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. Weitere Informationen

    • Mein Babel Buch ist da und ich habe bereits die ersten beiden Kapitel gelesen. Im dritten Kapitel beginnt die Zeit für Robin Swift in Oxford. Mir ist bisher nur ein kleiner, aber wichtiger Druckfehler aufgefallen. Das alte Münzsystem war durch
      1 Pfund = 20 Shilling
      1 Shilling = 12 Pence
      aufgebaut.
      Auf Seite 58 der Büchergilde Gutenberg Ausgabe wird 1 Pfund in 12 Shilling aufgeteilt.
      Wie man sieht, habe ich bisher nur an der Oberfläche gekratzt, dieses Buch besitzt sehr viel mehr Tiefe. Ich google ständig nach interessanten Begriffen auf die mich die Lektüre stößt.

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von e4e5f4exf4 ()

    • Das ganze Leben - Bernhard Schlink -

      Unter meinem Gabentich lagen viele Bücher, auch das neue Buch von Bernhard Schlink, wohl den meisten Lesern bekannt durch seinen Roman *Der Vorleser*, das im übrigen auch eine sehr schöne Literaturverfilmung geworden ist. Über Schlink brauch ich nicht viel zu erzählen, das kann man alles hier de.wikipedia.org/wiki/Bernhard_Schlink nachlesen.

      Das späte Leben ist ein Buch über das Sterben. Der Tod und die Liebe, beides wohl die Themen, denen wir in der Literatur am häufigsten begegnen. Nicht alle, die ich gelesen habe, berührten mich so wie dieses Buch von ihm.
      Wenn man über den Tod nachdenkt und über ihn schreibt, ist es doch auch so, dass man nicht umhin kommt, über das Leben nachzudenken. Das Leben das man hatte und dass was einem vielleicht davon noch übrig bleibt. Gerade wenn man älter und älter wird und man nicht weiß, wieviel Zeit einem noch bleibt.

      Grundsätzlich ist es ja so, dass man es eigentlich nie weiß, egal wie alt man ist, doch in jungen Jahren voller Lebensplanungen und Aktivitäten mag man darüber nicht nachdenken, jedenfalls Wenige tun das, we ich im Laufe meines Lebens in Gesprächen erfahren durfte. Für mich selber, wie ich schon öfter erwähnt habe, ist das Nachdenken über den Tod nichts Neues jetzt im Älterwerden, da ich selber schon früh mit der Bedrohung des Todes Berühung hatte, sei es das eigene Leben oder eben auch dem Verlieren von geliebten Menschen, die ich begleiten durfte.

      Der 76 jährige Martin Brehm ist so ein Mensch der trotz seines Alters noch voll im Leben steht. Er hat eine über 30 Jahre jüngere Ehefrau, Ulla, die Malerin ist, mit der er einen kleinen Sohn, David, der kurz vor der Einschulung steht, hat, die er Beide über alle Maßen liebt. Und da war auch seine Arbeit als Universitätsprofessor für Rechtsgeschichte, die jetzt hinter ihm liegt und seine Tätigkeiten in diesem Bereich nicht aufgehört haben, nachdem er emeretiert ist. Er ist immer noch für Vorträge ein gefragter Mann.

      Doch dann ganz plötzlich tritt das ein, wovor sich der eine oder andere vielleicht immer mal fürchtet. Martin bekommt bei einer Routineuntersuchung von seinem Arzt die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs. Lebenserwartung vielleicht 12 Wochen. Sein Hausarzt ist keiner, der ihm falsche Hoffnungen macht. Unheilbar, der Krankheitsverlauf langsam voranschreitend mit einem schließlichen Ende, deren letzte Wochen schmerzhaft sein werden.

      Martin scheint gefasst zu sein. 76jährig scheint er alt genug zu sein, um dem Tod zu begegnen. Dieses Gefasstsein schwankt aber immer wieder. Sein Alltag, die Wochen, die ihm verbleiben, wird geprägt sein einerseits von dem wie wird das Sterben sein und wie wird das Leben seiner Beiden, die ihn verlieren werden, weitergehen. Er kann sich nicht vorstellen, einfach nicht mehr da zu sein um sie zu begleiten.

      Manch einer wird sich fragen, wieso kann man drüber nachdenken, wie das Leben ohne ihn selber weitergeht, doch mir sind solche Gedanken auch nicht fremd. Denn des öfteren stell ich es mir auch vor, das alles weitergeht, ohne mich, dass ich nicht mehr dabei sein kann und Vieles noch miterleben darf. Diesen Schmerz loszulassen, der schon da ist, obwohl man ja noch lebt, ist eine riesige Aufgabe. Loslassen.

      Martin überlegt lange, wie er seiner Frau und seinem Sohn, vor allem ihm, erzählen kann, was mit ihm geschehen wird, dass er und wie er sterben wird. Wie sagt man seinen Kindern, dass man nicht mehr lange zu leben hat. Aber er findet einen Weg.

      Er findet auch einen Weg wie er diese letzten Wochen seines Lebens verbringen möchte. Nicht in Rührseligem - was ich schon immer noch mal tun wollte - , sondern einfach weiter den Alltag leben, mit all den kleinen Dingen, die er erfordert und die ihm in seinen Lebensjahren bisher nicht nahe waren, die er einfach so nebenbei noch erledigt hatte. Jetzt ist das alles anders. Es wird intensiver, die kleinsten Dinge werden ihm, dem immer müde werdenden Mann, groß sein. Er wird seinen Sohn jeden Morgen zum Kindergarten bringen, einkaufen, kochen, den Garten bearbeiten und ein paar kleine Wünsche äußern, die er zusammen mit ihm und seiner Frau noch tun möchte. Nichts großes, ein Picknick, eine Fahrt mit dem Riesenrad und am Ende ein Aufenthalt am Meer.

      Und er wird einen Brief an seinen Sohn schreiben. Seine Frau riet ihm dazu, etwas dem Sohn noch mitzugeben, damit er sich im Größerwerden an ihn erinnern kann. Aufgrund eines Filmes den sie mal sah, dachte sie an ein Video, dass er filmen sollte, um dem Sohn etwas zu sagen. Er entscheidet sich aber für einen Brief, in dem er alle Fragen, denen er sich selber stellt über das Leben, den Tod und die Liebe, was ist Gerechtigkeit und wieviel Wahrheit verträgt das Leben.

      Er bereut auch nicht, hätte er doch früher schon intensiver mit weniger Arbeit und mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge verbracht. Alle würden ja heute von der Work-Life-Balance reden. Alles Quatsch sagt er sich.

      Er sagt vielmehr:

      "Arbeit ist ein Teil des Lebens. Mal gehört unsere ganze Kraft ihr, mal der Familie, mal stehen Chor oder Orchester und mal der Wahlkampf an erster Stelle. Es gibt keine Balance. Wir tanzen im Leben immer auf vielen Hochzeiten." So schreibt er seinem Sohn in seinem Brief.

      So ist es ja auch. Die Dinge, die wir tun, erfordern immer unterschiedliche Kräfte und Zeiten. Man kann etwas mit Gewichtigkeitnicht nur halb tun, um damit das Andere ebenfalls halb tun zu können.

      Eines Abends, als er mit seinem Sohn zusammensaß, der nun wußte, dass der Vater sterben wird und er plötzlich weinen musste, sagt Martin ihm:

      "David, David...und wenn ich sterbe und in den Himmel gehe, kommst du mit bis an die Tür, wir verabschieden uns, wie wir uns am Kindergarten verabschieden, und ich gehe rein, und wenn du viele, viele Jahre auch reingehst, begrüße ich dich. Es ist eine Tür wie keine andere, du siehst sie nur, wenn sie für dich aufgemacht wird und du reingehst. Wir verabschieden uns du bleibst zurück, ich gehe um die Ecke und finde die Tür."

      Ein schönes Bild fand ich!

      Das Büchlein umfaßt knappe 24o Seiten, doch in ihm ist eine Fülle großer Fragen und Erkenntnisse zu finden, die den Leser unaufdringlich diese seinem eigenen Leben stellt.

      " Der Tod ist nicht gerecht. Aber was ist schon gerecht - nicht Gott, nicht die Liebe, nicht die Arbeit, nichts, wovon ich Dir geschrieben habe. Ausser der Gerechtigkeit, die wir Menschen in die Welt bringen. Vielleicht ist immerhin der selbstgewählte Tod gerecht. Aber das Leben dessen, der den Tod wählt, hat darum auch nicht seine Erfüllung gefunden. Etwas Besseres als den Tod finden wir überall, so heißt es im Märchen der Gebrüder Grimm von den Bremer Stadtmusikanten."
      Mit diesen Worten endet der Brief an seinen Sohn!

      12 Wochen sollten es vielleicht noch sein. Begleiten werden wir Martin genau 1o Wochen, die mich und sicher auch jeden Leser bewegen werden, ohne von Sentimentalität oder Rührseligkeit gefangen zu werden. Denn nichts ist realistischer als der Tod und nicht anders kann diesem entgegen gesetzt werden.

      Eine gute Lesezeit wünsche ich allen bei diesem Büchlein!

      Bernhard Schlink
      Das späte Leben
      Diogenes-Verlag
      ISBN: 13-978-3257072716
      26,00 Euro
      Dateien

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von lottelenia ()

    • Ein Leuchten - Jon Fosse -

      Der Norweger Jon Fosse bekam 2023 den Literaturnobelpreis. Davon las man. Gelesen hatte ich bisher noch nie etwas von ihm. Alles zu Fosse kann hier: de.wikipedia.org/wiki/Jon_Fosse
      nachgelesen werden.

      Daß er jedoch religiös geprägt sein muss erschließt sich nach einiger Zeit beim Lesen seines Romans.

      Ein Leuchten so heißt seine Erzählung, der flott gelesen werden kann, weil er gerade mal 80 Seiten zählt. Schnell gelesen aber dafür nehmen die Zeilen, diese Geschichte, einen noch für lange Zeit gefangen.

      Ein wunderbarer Einladung zum Sinnieren, so schreibt der Norddeutsche Rundfunk.

      Das trifft es absolut, denn die Geschichte die erzählt wird ist offen für viele Möglichkeiten ihrer Deutung. Denn darüber denkt und denkt man nach. Was erlebt dieser Mann in der Geschichte tatsächlich? Was will uns Fosse mit dieser Geschichte sagen?
      Ist es eine Phantasierei des Protagonisten oder ist es eine Realität, ein Erleben?

      Der Mann über den er schreibt befindet sich in einer Lebenssituation von Langeweile. Irgendwie geht es wohl nicht weiter. An dem Gefühl von Langeweile kommt der Mensch zumeist an, wenn entweder alles getan wurde und man keinen neuen Aufgaben oder Wege findet, um das Leben fortzusetzen oder wenn man möglicherweise einfach genug hat von all dem was bisher gewesen ist, ein gewisser Überdruß sich einschleicht.

      Mit diesem Lebensgefühl der Langeweile, die ihn gefesselt hat, setzt er sich in sein Auto und fährt einfach drauflos. Er richtet sich nach dem Strassenverlauf. Mal biegt er links, mal rechts ab weiter und weiter, bis es am Ende nicht mehr weitergeht und er an einem Waldweg ankommt, wo sich sein Auto festsetzt. Kein Vor- und kein Zurück mehr. Nur noch Wald. Norwegens Wälder sind tief und schwarz.

      Er ist ratlos. Weiß nicht, wie es weitergehen soll. Waren da nicht vorher irgendwo Häuser? Sollte er zu Fuß zurückgehen um eines dieser Häuser zu suchen und um Hilfe zu bitten? Er versinkt ins Grübeln.
      Ihm ist kalt. Es beginnt zu schneien und die Dunkelheit der Nacht ist nicht mehr fern. Er stellt die Heizung an. Wie geht es weiter? Er verspürt Angst. Was ist, wenn es hier für ihn nicht mehr weitergeht? Wird man ihn suchen, ihn finden? Er ist ein einsamer Mann, lebt allein. Wer soll da wohl an ihn denken, ihn suchen und finden. Noch mehr Angst.

      Nach einigen Seiten des Lesens dieser Geschichte dachte ich, dass es Realität ist, was der Mann erlebt. Und hatte schon ein Urteil parat, schon ein wenig dumm was er da getan hat und auch weiter tun wird. Nämlich die Wärme des Autos verlassen und in den tiefen Wald gehen. Was will er denn da? Bei Einbruch der Dunkelheit. In den tiefen Wald. Wo das Unglück, dass ihn ereilte, aus Langeweile, seinen weiteren Verlauf nehmen wird. Absolut unsinnig.

      Aber nach einiger Zeit sieht er etwas. Ein Leuchten. Mitten in der schwarzen Dunkelheit des Waldes und der Nacht. Er sieht es und rätselt. Ein Mensch? Oder einfach nur ein Licht dessen Konturen denen eines Menschen ähnelt? Er geht auf diese Erscheinung zu.
      Er wird noch zwei wichtige Erscheinungen treffen. Seine Eltern mitten in diesem Wald. Zwischen dem Licht, dem Leuchten der Erscheinung und seinen Eltern wird es eine Kommunikation geben, eine stille jedoch überwiegend. Mehr verrate ich nicht.
      Wie schon geschrieben, es gibt viele Möglichkeiten der Deutung dieser Erzählung. Sie läßt einen nicht mehr los, unglaublich wie sie einen gefangen nimmt.

      Für mich war es ganz klar, was sie mir erzählte. Die Geschichte von Sterben eines Mannes, eines Menschen.

      Angekommen an seinem Ende des Lebens kurz vor dem Tod. Denn ich erinnerte mich selber an das Damals, als bei dem schweren Autounfall, in dem ich verwickelt war, meine zwei Freunde sofort starben und ich selber in tiefe Bewusstlosigkeit fiel, dass ich auch ein *Leuchten, ein Licht sah und auch meine Mutter*, ja ich erinnere mich, dass ich nach ihr rief. Ob laut oder nur in meinen Gedanken, das kann ich nicht mehr sagen.

      Und ich erinnere mich an all die letzten Tage meiner mir nahestenden Menschen, an deren Bett ich saß, deren Hand ich hielt, bei ihnen war, sie begleitete auf ihren letzten Lebensminuten, auf dem letzten Weg. Und beobachtete wie sich da in ihrem Geiste, in ihrem Kopf, etwas abspielte. Wie sie sahen, auf welchem Weg sie sich befanden und was dort geschah. Nur hin- und wieder ein Seufzen, manchmal sogar nochmal ein Wort oder ein Augenöffnen, welch all das mir zeigte, sie erlebten da Etwas auf ihrem letzten Weg hinüber.

      Das hat mich getröstet und schenkt mir Zuversicht und Hoffnung, wenn ich einmal selber an dieser Stelle mich befinde des Hinübergehens. Dass da etwas zu sehen ist, mich in meiner Angst, die ja immer wieder aufkeimt, beruhigt und mir sagt, alles ist gut und mich das Licht, dass mich so wärmt wie nichts mich jemals in dieser Welt gewärmt hat, mitnimmt, hinüber. Wohin? Ich weiß es nicht. Aber alles wird gut sein.

      Aber wie gesagt, das ist das Bild für mich ganz persönlich, dass ich aus dieser Geschichte herausgelesen habe.

      Es kann auch eine ganz andere, einfachere haben. Ein Bild für das Leben selbst. Vom Leben, in dem man irgendwann nicht mehr weiter weiß und darauf wartet, dass Irgendwas passiert, einem wieder auf die richtige Bahn lenkt.
      Oder ein Bild vom Leben eines Menschen der das Leben überdrüssig geworden ist. Dass all das was er getan hat, was war und ist und noch kommen sollte, ihn ganz einfach nur noch langweilt und er vielleicht sogar Todessehnsucht bekommt.
      Sicher gibt es noch viele andere Möglichkeiten der Deutung. Macht Euch Eure eigenen.

      Ich selber bin überaus gespannt, was mir die Menschen, mit denen ich in meinem Literaturkreis das Buch gemeinsam gelesen habe, von ihrem Erleben beim Lesen dieses Buches erzählen werden. Darauf bin ich schon genauso gespannt, wie ich war beim Lesen des Buches.


      Jon Fosse
      Ein Leuchten
      80 Seiten
      Rowohlt Verlag
      ISBN: 978-3-498-00399-9
      22 Euro

      ndr.de/kultur/buch/tipps/Ein-L…r-Jon-Fosse,fosse108.html

      zeit.de/2023/53/jon-fosse-ein-leuchten-ein-neuer-name
      Dateien

      Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von lottelenia ()

    • 22 Bahnen - Caroline Wahl -

      Caroline Wahl hat einen wunderbaren Debütroman geschrieben, den ich jetzt zu Ende gelesen habe, der allerdings kein leichtes Thema beinhaltet. Dennoch erscheint nicht einen Moment lang beim Lesen das Gefühl von Schwermut ob der Geschichte. Im Gegenteil, sie schreibt den Roman in einer bemerkenswerten Leichtigkeit, die es einem leicht fallen läßt, die Schwere zu ertragen.

      Zwei Schwestern, Tilda und Ida, leben mit einer Mutter die Alkoholikerin ist. Hinzu kommt die finanzielle Armut, mit denen die Geschwister und ihrer Mutter leben müssen.

      Die Mutter hat seltene Momente, in denen sie versucht sich aus ihrer Sucht zu lösen, um wieder in eine Normalität zu gelangen. Leider halten diese Momente immer nur kurz an. Dann verfällt sie wieder ihrer Sucht und verwandelt sich in ein Monster, dem es schwer ist, zu entkommen. Vor allen Dingen die kleine Ida, noch in der Grundschule, ist die Leidtragende, denn sie hat noch keine Methode entwickelt, sich den Angriffen, auch verbunden mit körperlicher Gewalt, ihrer Mutter zu erwehren.

      Die große Schwester Tilda versucht so gut wie möglich für die kleine Ida zu sorgen, sie zu beschützen. Eine schwere Aufgabe für Tilda, die vor ihrem Abiturabschluß steht und danach Mathematik studieren möchte.

      Tilda geht zur Schule und arbeitet nebenher in einem Supermarkt an der Kasse, um den Lebensunterhalt der dreiköpfigen Familie zu verdienen, denn die Mutter fällt immer wieder aus.

      Sie verbindet diese Arbeit an der Kasse mit einem Spiel, in dem sie niemals die Kunden vor ihr anschaut, sondern nur zählt, was sie abkassiert:

      *Hafermilch, Mandelmilch, Cashewnüsse, tiefgefrorene Himbeeren, Hummus, Kölln Haferflocken, Bananen, Dinkelnudeln, Avocados. 30,72 Euro Levis-Shirt ratet sie, schaut dann endlich hoch und als sie den Schriftzug Levis-Shirt sieht, ist das ziemlich cool und vielleicht sogar der Höhepunkt ihres Tages. Es ist zwar eine jüngere Frau, aber das T-Shirt richtig erraten zu habenempfindet sie stark.*

      Tilda ist eine junge Frrau die es sich zur Aufgabe gemacht hat, in ihrem Alltag mit der kleinen Schwester und der kranken Mutter, die Kontrolle zu behalten. Durch viele Wiederholungen, die es ihr selber leicht machen, die schwere Aufgabe zu bewältigen, versucht sie ein Gleichgewicht zu schaffen, um nicht selber abzustürzen.

      So gehört das tägliche Schwimmen am Abend, zu dem gelegentlich auch die kleine Schwester Ida mitkommt, dazu. Vor allen Dingen im Regen macht es den beiden besonders Spaß. Tilda schwimmt genau 22 Bahnen. Immer. Und die kleine Ida liebt es zu tauchen. Auch Tilda läßt sich immer auf den Grund hinab um das Treiben da über ihr zu beobachten. Wenn sie fertig ist mit ihrem Programm setzt sie sich auf die Bank zu Ursula, einer älteren Rentnerin, um noch ein wenig mit ihr zu plauschen.

      Dort im Schwimmbad begegnet sie auch Viktor, dem Bruder von Ivan, mit dem sie und ihre Freundin Marlene oft abgehangen haben. Ivan, seine Schwester und seine Eltern leben nicht mehr. Sie sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Viktor ist zurückgekommen aus Hamburg, wo er als freiberuflicher Programmierer arbeitet, um den Haushalt seiner Familie aufzulösen. Die Trauerarbeit ist schwer und auch er scheint mit dem täglichen Schwimmen den Kopf frei bekommen zu wollen, wie auch Tilda.

      Es beginnt ganz zart etwas zwischen ihnen, aber noch lange weiß man nicht, wie das ausgehen wird zwischen ihnen. Es ist aber, wie auch der Vorschlag ihres späteren Dozenten an der Uni, der ihr vorschlägt sich für eine Promotionsstelle in Berlin zu bewerben, ein Hoffnungsschimmer für die Zukunft. Ein Neuanfang? Herauszukommen aus dem Kreislauf des schweren Alltags.

      Aber wie soll das gehen fragt sie sich immer wieder? Sie kann doch ihre kleine Schwester Ida nicht bei der Mutter allein lassen. Sie muss sie stärken, damit sie sich selber schützen kann, wie sie sich selber ebenfalls als kleines Kind und heranwachsende Jugendliche zu schützen gewußt hat.

      Wunderbare Dialoge zwischen ihr und ihrer Schwester Ida zeigen, wie die Beiden miteinander umgehen. Wenn man sie liest, befällt einen das Gefühl man stehe selber als dritte Person neben den Beiden.

      Das Schwimmen und das Lesen, denn das ist das Andere, was sie versucht der Schwester beizubringen, würden ihr helfen. Da ist sie ganz sicher. Denn es hat auch ihr geholfen über ie Dunkelheit in ihrem Leben.

      So besorgt sie Ida einen Leseausweis für die örtliche Bibliothek. Ida, die zwar auch schon eine eigene Strategie entwickelt hat, sie, die künsterlisch sehr kreativ ist und viel mit Malen verarbeitet, greift das Lesen auf. Fürs tägliche Schwimmen braucht sie noch etwas Zeit.

      Mehr möchte ich nicht verraten. Der Roman über die beiden Geschwisterkinder zeigt, wie wichtig es ist, Verantwortung zu übernehmen. Gerade dann wenn es schwere Lebenssituationen zu bewältigen gibt. Gerade das Übernehmen von Verantwortung kann dann heranwachsenden Jugendlichen dabei helfen zu stabilen Persönlichkeiten zu werden. Und es zeigt auch wie wichtig es ist, sich Dingen zu widmen, die einem dabei helfen können, schwere Traumata zu verarbeiten. In diesem Falle sind es das Schwimmen, das Lesen und die künsterlische Aktivität der kleinen Ida.

      Ich bin da ganz bei den Beiden gewesen. Auch selber habe ich die Erfahrung schon von Kind an gemacht, dass das Lesen, also das Verschwinden in andere Welten, helfen kann, Hoffnung gibt. Es hat mir immer Mut gemacht, zu sehen, wie die Protagonisten in Büchern es geschafft haben, Schweres auszuhalten und die Hoffnung zu behalten und ich oft gedacht habe, wenn man das aushalten und bewältigen kann, dann kannst du das auch, was dir selber widerfährt.

      Und am Ende zeigt es auch, wie wichtig es ist in unserer Gesellschaft Verantwortung zu übernehmen, wo es nötig ist. Denn das ist sicher eines der größten Probleme in unserer Zeit, dass die Menschen verlernt haben Verantwortung zu übernehmen und oft versuchen, auf Institutionen zu verweisen. Aber Menschen brauchen Menschen!

      Ein großartiger Roman, der wie ich finde, auch für Jugendliche eine gute Leseempfehlung ist.

      Viel Vergnügen!

      Caroline Wahl
      22 Bahnen
      Dumont Verlag
      ISBN: 9783832168032
      22 Euro
      Dateien

      Beitrag von Braunkehlchen ()

      Dieser Beitrag wurde von Cappuccinofan aus folgendem Grund gelöscht: das gehört maximal in den Witze-Thread ().
    • Nincshof - Johanna Seebauer -

      Dieses Buch macht einfach nur Vergnügen es zu lesen. Keinerlei große Probleme der Welt werden gewälzt, über die nachgedacht werden muss. Außer vielleicht über die Weltfremdheit. Genauer gesagt über den Oblivismus.
      Denn darum geht es in dieser wunderbaren Geschichte die Johanna Seebauer mit einer unglaublich phantasievollen Sprache erzählt. Ihre Beschreibungen von Personen und Örtlichkeiten haben einen Sog der einen hineinzieht ins Geschehen.

      Nincshof ein kleines fiktives Dorf am Ende von Österreich. Im Burgenland nahe der ungarischen Grenze. Die Legende besagt, dass es dieses Dort für die Welt lange Zeit nicht gegeben hat. Es war versteckt im hohen Schilf und ihre Häuser standen auf Stelzen auf dem dahinfliessenden Wasser. Erst im 2o. ten Jahrhundert wurde es an das große weite Weltgeschehen gegen den Willen aller Nincsdörfler angeschlossen. Eine Legende oder Wahrheit? Man wird es erfahren.

      Die Menschen im Dorfe Nincshof sind aussergewöhnlich, schräg oder skurril, je nachdem wie man es betrachten möchte. Geheiratet wird selten, doch auch wenn, die Männer tragen ausnahmslos alle die Nachnamen ihrer Frauen. Ihr Liebesleben ist sehr freizügig. Kirchlichen Institutionen stehen sie mehr als skeptisch gegenüber und was Wahrheit ist, stellen sie zumeist in Frage. Was ist schon Wahrheit? Es gibt doch viele Wahrheiten.

      Die Menschen leben so für sich dahin. Der Bürgermeister, der eigentlich gar kein Bürgermeister sein will, aber es trotzdem ist, weil es niemand Anderes werden will.

      Es ist Sommer und die Luft ist heiß und stickig. Nur die Grillen mit ihrem Gesang durchdringen bisweilen die Schwere der Luft.

      Erna Rohdiebel beschließt eines Tages in der Nacht in den Swimmingpool ihrer Nachbarn zu steigen. Ein Abenteuer für die fast 80jährige Erna. Und damit begintn die abenteuerliche Geschichte im Dorfe Nincshof.

      Der Bürgermeister, der eigentlich kein Bürgermeister sein will hat die Nase voll von der Welt. Es reicht ihm. Wieso kann sein kleines Dorf nicht ruhig, still und friedlich ihr ganz eigenes Leben führen? Alles muss man mitmachen, was von ganz oben kommt. Sogar eine Städepartnerschaft muss man haben, wie jetzt jedes kleinste Örtchen sie hat. Nincsdorf also auch. Mit einer belgischen Stadt direkt an der See. In Abständen muss er mit einer Gefolgsschaft dieses Städchen besuchen. Zumeist bleibt er allein, denn Niemand will das. Aber er muss. Und das bekommt ihm jedes Mal nicht. Der Verzehr von Muschelgerichten liegt ihm in den Därmen und macht den Aufenthalt fast unerträglich.

      Als er wieder einmal von einer Reise zurückkommt, sitzen drei Männer, er, der Bürgermeister, also der ältere, ein junger Mann, vielleicht gerade 20 Jahre alt und ein noch Älterer, den man Sepp-Sepp nennt, und der mindestens schon 200 Jahre alt sein soll abends, es ist schon dunkel, in aller Heimlichkeit am Einser-Kanal. Auch die Beiden, also der Jüngere und der noch Ältere, haben die Nase gestrichen voll von der Bevormundung von ganz Oben und dem ständigen wir müssen uns weiterentwickeln, sonst gibt es keinen Fortschritt.

      So beschließen die Drei sich zu erwehren. Der Jüngere macht sie mit dem Oblivismus bekannt. Weltabgewandtheit. Der Philosophie des Vergessens. Der ältere, also der Bürgermeister und der noch Ältere, also der Sepp-Sepp, sind ganz begeistert von dieser Philosophie. So beschließen sie einen Plan, wie sie Nincsdorf für die Welt da draussen vergessen machen können.

      Sie lassen sich verrückte Sachen einfallen. Das Abmontieren der Ortsschilder, eine Flut von Jauche neben den Radwegen durch und um das Dorf herum, auf denen am Wochenende die Radler aus der Umgebung und der Großstadt Wien ihre Touren absolvieren und die ganz schnell angewidert fernbleiben. In der örtlichen Bibliothek reißen sie alle Berichte und Fotos des Dorfes aus den historischen Büchern heraus und auch im Internet findet man ganz plötzlich nichts mehr über Nincsdorf.

      Das muss auch Isa Bachgasser, eine bekannte Filmemacherin von Dokumentationen und ihr italienischer Mann Silvano erfahren. Beide hatten sich entschlossen aus dem Großstadtgewühle von Wien in ein kleines Dorf zu ziehen und haben sich genau dieses Nincshof ausgesucht. Denn bevor alles verschwunden war im Internet, konnte man noch Vieles erfahren über das Dorf.

      Beide, Isa und Silvano wollen dort einen Neuanfang ihres Lebens starten. Silvano war nach langer Krankheit endlich wieder genesen und hatte jetzt endlich den Mut sich dem zu widmen, von dem er schon träumte, als er noch in Peru einige Jahre lebte und den Zappatisten bei ihrem Freiheitskampf geholfen hat. Dort in Peru begegnete er dem, was ihn dann auch später, als er wieder Zuhause war, nicht loslassen konnte. Es waren die Irrziegen. Eine seltene Ziegenart, die es kaum noch auf der Welt zu finden gab.
      Von einem italienischen Züchter kaufte er mehrere dieser Irrziegen und wollte dort, in Nincsdorf, einfach nur noch Ziegenwirt sein. Und seine Frau die Isa? Sie war des Filmemachens müde. Wollte sich endlich mal ausruhen.

      Aber eines Tages joggte sie durch und um das Dorf herum und fand versteckt im Schilf ein Schild * Freiheit für Nincsdorf* in Gedenken an Martha E. Sie stutzte. Was es wohl damit auf sich hatte.

      Und so geschah es, dass diese beiden Zugezogenen den Oblivisten , die sich Tag für Tag bei Erna Rohdiebel, die jetzt auch dazu gehörte, trafen um die weiteren Pläne für die Aktion *Nincshof - soll vergessen werden, trafen, einen Strich durch die Rechnung machten.

      Wie es wohl ausgeht das Ganze. Darauf laßt Euch ein. Denn mehr verrate ich nicht, ausser dass es einfach nur Spaß macht dieses Buch zu lesen. Immer wieder habe ich herzhaft lachen müssen ob der verrückten Beschreibungen des Geschehens und der phantasievollen Wortgewalt mit der Johanna Seebauer ihre Geschichte erzählt und man gar nicht anders kann, als allen Personen in diesem Buch mehr als sympathisch gegenüberzustehen, nein man liebt sie geradezu.

      Und ja, seufz...so eine Weltabgewandtheit gefällt mir doch auch sehr. Denn wie soll man sich all dieser Verrücktheiten, dem Schrecklichen und Unmöglichen erwehren, wenn nicht, dass man einfach mal verschwindet, entweder hinter der eigenen Tür in seiner kleinen Höhle zuhause oder irgendwo hin in ein kleines Dorf, das verschwiegen irgendwo in der Eifel oder sonstwo liegt und das einem ebenfalls dazu verhelfen kann, einfach mal die Welt da draussen in sich drin zu vergessen und sich selber auch vergessen sein lassen will. Denn in so einem kleinen Dorf, jedenfalls bei mir in der Eifel, steht die Welt tatsächlich noch ein wenig still. Hier dringt der Lärm der Welt noch nicht bis in alle Winkel hinein. Hier ist die Wirklichkeit des Alltags noch überschaubar.

      Also es ist schon eine kleine Einladung auch, die Welt einfach mal draussen zu lassen!
      Viel Vergnügen
      Johanna Seebauer
      Nincsho
      DuMont Verlag
      367 Seiten
      23 Euro
      ISBN 978-3-832-16820-9
      Dateien