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    • Im Leben des Robert Stettler geht alles seinen gewohnten Gang. Der allein lebende Mann, früher hätte man ihn „Junggeselle“ genannt, ist Chefdekorateur des noblen Kaufhauses Quatre Saisons einer namentlich nicht benannten Schweizer Stadt (mutmaßlich Basel). Diesen und keinen anderen Beruf wollte Stettler von klein auf ausüben, seinen Arbeitgeber hat er sein Berufsleben nicht gewechselt, seine Inszenierungen der sieben Schaufenster zur Straßenfront in bester Lage sind wahre Inszenierungen, die zu Renommee und Umsatz des Hauses erheblich beitragen. So gediegen erfolgreich könnte es bis zur Rente weiter gehen, an die Stettler mit Ende 50 schon öfter denkt.

      Doch so ruhig unspektakulär bleibt es nicht im neuen Roman „Unhaltbare Zustände“ des Schweizer Romanciers Alain Claude Sulzer. Von einem Tag zum anderen ist mit Werner Bleicher ein neuer Dekorateur im Haus - kein Assistent, kein Kollege, vielmehr ein Rivale, in dem der Chef des Warenhauses die „Zukunft“ des Verkaufens sieht. Der junge Bleicher wird eingestellt, ohne dass man Stettler auch nur davon in Kenntnis setzt - und prompt bekommt der junge Mann den Auftrag, das besonders wichtige Weihnachtsgeschäft im Schaufenster darzustellen und anzukurbeln. Stettler weiß nicht, wie er mit der unvermuteten Konkurrenz umgehen soll. Der Neue trägt die Haare länger, er schwärmt von Oskar Schlemmer, sieht in der Werbung ein Spektakel und ignoriert Stettler in allem, was er tut. Diesem bleibt nichts anderes, als auf das Scheitern seines Gegners zu hoffen.

      Alain Claude Sulzer, Jahrgang 1953, hat ein weiteres Mal eine tragikomische Geschichte vorgelegt mit einem Einzelgänger im Zentrum, über den die Zeit hinweg zu gehen droht. Stettlers persönliche Turbulenzen werden gebrochen im gesellschaftlichen Sturm der Chiffre „1968“, die zeitverzögert auch in der provinziellen Schweiz ankommt. Die jungen Leute tragen Blue Jeans, sie demonstrieren für das Frauenwahlrecht (das tatsächlich erst 1971 in der Eidgenossenschaft eingeführt wird), selbst der Chef hat einen Pilzkopf wie die Beatles. Eines schönen Sonntagmorgens hängt die Fahne der kommunistischen Guerilla des Vietcong am Münsterturm, in Frankfurt/Main stecken die Vorläufer der RAF gar ein Warenhaus in Brand, als Fanal gegen den „Konsumterror“. Stabilität inmitten dieser Veränderungen gewährt Stettler einzig die Brieffreundschaft zu einer bewunderten Radiopianistin, die er jedoch nie treffen wird, selbst dann nicht, als sie in seiner Heimatstadt unvermutet ein Konzert gibt.

      Wie in den anderen Romanen Sulzers auch, spielt die Musik in den „Unhaltbaren Zuständen“ eine wichtige Rolle. So reist Lotte Zerbst, die Pianistin, 1963 nach Berlin, um mit ihrem ehemaligen Lehrer (und Peiniger) das Eröffnungskonzert der neu erbauten Philharmonie zu erleben. Von der Architektur des Scharoun-Saals ist sie ebenso hingerissen wie von seiner Akustik (die mit Pistolenschüssen austariert wurde). Das örtliche Konzerthaus sagt eine Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch wegen des Einmarschs sowjetischer Truppen in Prag ab. Bei einer nächtlichen Expedition durch „Amüsierlokale“ ist Stettler entsetzt über das Hämmern, zu dem die jungen Leute einzeln tanzen, ohne seiner gewahr zu werden. Und von der verehrten Pianistin kennt er nur ihr Spiel und ihre Stimme, ein öffentlich zugängliches Foto gibt es offenbar nicht, da von ihr keine Schallplattenaufnahmen erhältlich sind. Formal ist der Roman wie ein Opernlibretto komponiert, mit Prolog, mehreren Akten, retardierenden Momenten und der dramatischen Auflösung.

      Das Leitmotiv der „Unhaltbaren Zustände“ ist das vergebliche Verhindernwollen des drohenden Wandels. Stettlers sozialer Konservatismus zeigt sich unter anderem darin, dass er nach dem Tod seiner Mutter die einst gemeinsame Wohnung nicht renoviert; seine gestalterische Ader bleibt einzig professionell. Dass er keine intime Beziehung hat, nimmt er ergeben hin. Dass er keine Freunde kennt, verwundert ihn nicht weiter. Erst das Eindringen der Außenwelt in seine geschützte Routine verunsichert ihn. Sein Lebenstraum, in Haltung und Würde zu verschwinden, wird zerstört, als das Ziel bereits in Sichtweite ist. Er weiß nicht, wie er sich gegen Bleicher, den Vertreter der Avantgarde, wehren soll; schleichend registriert er, dass er von seinen Kolleginnen und Kollegen gemieden wird, die mit der Zeit zu gehen bereit sind, während er zum Auslaufmodell sich gestempelt sieht.

      Stettler verliert schließlich das ungleiche Duell gegen Bleicher, am Ende tritt er selbstzerstörerisch auf die Bühne, die „seine“ Schaufenster über die Jahrzehnte für ihn waren. Sulzer treibt diese persönliche Katastrophe mit einer antiquierten Sprache sachlich unbarmherzig voran, dabei eine tiefe Sympathie für seinen Antihelden hegend. In dieser Form ist Sulzer, der abwechselnd in Basel und Berlin lebt, ein heißer Kandidat für den Büchner-Preis (verdient hätte er ihn bereits für seinen „Perfekten Kellner“ oder seine „Privatstunden“). Stettlers Scheitern ist überzeitlich, die Verquickung mit 1968 demonstriert ein weiteres Mal, wie souverän sich der Autor in verschiedenen Epochen zu bewegen vermag und wie solide er die Umstände seiner Erzählungen recherchiert und arrangiert. Am Ende bleibt das Streben nach Glück, dessen Verwirklichung nicht vom Einzelnen allein abhängt. Vor seiner Verzweiflung war Stettler absichtslos genügsam.

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      Alain Claude Sulzer: Unhaltbare Zustände. Roman, Berlin 2019, Galiani
    • Kriegs Licht - Michael Ondaatje .

      Der Deutschlandfunk schrieb vor vielen Jahren wie man aus einem Roman von Ondaatje, in diesem Falle *Der englische Patient* einen so schnulzigen Film machen konnte. Ondaatje schreibt mit einer so gewaltigen Wucht, dass man die Bilder im Kopf des Lesenden eigentlich gar nicht übermitteln kann. Ich kann das aus einigen seiner Bücher, die ich bisher gelesen habe, nur bestätigen.

      Michael Ondaatje, geboren 1943 in Colombo/Sri Lanka, ist kanadischer Schriftsteller mit niederländisch-tamilisch-singhalesischer Herkunft. Über Umwegen nach London und von dort siedelte er 1962 nach Kanada aus und nahm einige Zeit später die kanadische Staatsbürgerschaft an. Viele Preise hat er eingeheimst, u.a. natürlich den Golden Man Booker Prize für seinen englischen Patient.

      Seinen Roman *Kriegs Licht* möchte ich heute allen Lesebegeisterten wärmstens empfehlen.

      Nimmt man das Buch zur Hand stellt man sich vor, man sitzt gemütlich bei einem Tee mit einem Ende 20 Jahre alten Mann beisammen, der uns an seinen Erinnerungen seiner frühesten Jugend gegen Ende des 2.ten Weltkrieges erzählend teilnehmen lässt. Die Zeit wird einem auf keiner Seite und zu keiner Stunde langweilig, so packend kommen seine Erzählungen daher, spannend wie ein Thriller, nein, eigentlich, soviel verrate ich, ist es auch ein Agenten-Thriller, an dem an manchen Stellen so etwas wie eine Erkenntnis aufblitzt, wohin das alles führt und was bei seiner Suche, wer seine Mutter war, herauskommt. Denn seine Mutter ist die Person, der er versucht in seinen Erinnerungen auf die Spur zu kommen. Wer war sie und was war hinter all ihren Heimlichkeiten und Verheimlichungen verborgen.

      Nathanel und seine Schwester Rachel werden von einem auf den anderen Tag im Jahre 1945 von ihren Eltern verlassen. Der Vater angeblich für eine große Firma arbeitend nach Asien versetzt. Nathanel wird ihn bei seinem Abflug begleiten und sieht ihm zu, wie er mit der neuen Avro Tudor, einem Nachfolger des Lancaster-Bombers, aus ihrem Leben davon fliegt.

      Seine Mutter wird nach kurzer Zeit hinter fliegen, so erzählt sie es ihren beiden Kindern. Nathanel und Rachel sollen nach einem Jahr dann ebenfalls zu ihnen gelangen. Es kommt aber anders. Es gibt noch eine kleine innige Zeit des Zusammenseins mit der Mutter, die ansonsten ihren Kinder eher distanziert und undurchschaubar erscheint. Dann packt sie einen großen Überseekoffer und eines Tages ist sie verschwunden. Nicht aber, um Vorsorge zu treffen. Sie übergibt ihre beiden Kinder der Obhut eines Mannes, den sie Walter nennt, der von den Kindern jedoch immer *der Falter* genannt wird, weil er ein wenig flatterhaft durch die Welt zu streifen scheint. Auch ein anderer wichtiger Mann wird sich um sie kümmern, wenn auch zu anfangs widerwillig, den sie ganz einfach *den Boxer* nennen. Und schnell wird deutlich, dass es sich bei diesen Männern um zwei zwielichtige Kleinkriminelle handelt.

      Es ist sicher mit das Schlimmste für Kinder, wenn ihnen die Eltern genommen werden, vor allen Dingen, wenn nicht ersichtlich ist, warum sie eigentlich so verschwunden sind aus ihrem Leben. Vertrauen in die Welt der Erwachsenen und des eigenen Erwachsenwerdens bricht ein und sie müssen kämpfen, damit umzugehen. Ganz so jung waren die beiden nicht mehr. Sie befinden sich im Alter der beginnenden Pubertät.

      Für die beiden Geschwister beginnt dennoch eine Welt voller Abenteuer nach dem Verlassen der Eltern. Im Elternhaus wird es plötzlich lebendig. Ständig gibt es interessante wechselnde Besuche, Bekannte, Freunde und Liebschaften (insbesondere des Boxers) der beiden Männer, die das Leben der beiden nachhaltig bereichern und inspirieren. Vor allen Dingen ist es eine junge Geographin und Ethnographin, Olivia, die den Kindern eine Welt voller Geheimnisse erklärt. Man erfährt z.B. wie Wissenschaftler damals bei der Planung des D-Day die Windgeschwindigkeiten gemessen haben und wie sie und andere Experten in den dunklen Himmel aufgestiegen sind, um zu horchen, wie durchlässig der Wind war und nach Licht ohne Regen zu suchen, um je nachdem das Datum für die Invasion zu verschieben oder zu bestätigen.

      Beide Geschwister verlieren in diesem Durcheinander und Trubel ihrer neuen Welt die Nähe zueinander. Beide gehen ihre eigenen Wege. Nathanel wird sich mehr und mehr *dem Boxer* zuwenden, mit dem er in geheimen Missionen nachts über die Wasserkanäle den Schmuggel von Wildhunden für illegale Hunderennen, aber auch von Sprengstoffen betreibt. Er wird für ihn zu einer Vaterfigur. Wunderschön erzählt Ondaatje über diese nächtlichen Fahrten.

      Was Rachel so treibt, wird nicht richtig durchsichtig, sie ist umtriebig, aber niemand weiß, was sie in ihrem Herumstromern treibt. Sie geht fleißig zur Schule und ist froh, dass *der Falter* da ist, bei dem sie einen Ersatz von elterlichem Schutz sucht. Vor allen Dingen weil sie immer wieder an Anfällen von Epilepsie leidet.

      Es wird *schwer* sagt *der Falter* eines Tages zu beiden Kindern, die noch nicht ahnen, was er mit *dem Schweren* meint. Als wenn es für sie nicht schon schwer genug ist, ihre Eltern verloren zu haben. Und sie müssten sich auf solche Momente der Schwere vorbereiten, sie müssten gewappnet sein, damit sie mit dem Geschehen umgehen könnten.
      Er erzählt den Kindern, dass Gustav Mahler des öfteren das Wort *schwer* an manchen Stellen in seine Partituren schrieb, als sei es eine Warnung vor dem Kommenden. Bei dem, was an Schwerem auf den Menschen zukommt, braucht es einen guten Verstand. Manchmal muss man einfach nur still werden, wie bei einer Partitur, die sich niemals nur auf eine Tonhöhe oder das Können des Orchesters verlässt.

      Mir kam auch der Gedanke, dass der Mensch, wenn das Schwere kommt, es einfach nur *leicht* nehmen muss, was wiederum schwer ist, eine Übung, die einen das ganze Leben beschäftigt. Wie auch Milan Kundera in seinem Roman * Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins* einmal hervorhob.

      10 Jahre braucht Nathanel, um einigermaßen das Leben seiner Mutter aus den vagen Erzählungen der beiden Männer *Falter* und *Boxer* und aus seinen eigenen späteren Archivarbeiten zu rekonstruieren und zu entschlüsseln. Anders wie seine Schwester Rachel, die es ihrer Mutter nicht verzeiht, dass sie sie verlassen hat und ihren Hass beständig in sich trägt, wird Nathanel seine Mutter wiedersehen und eine Weile mit ihr zusammen leben.

      Es gibt eine wunderschöne Stelle in dem Buch, die mich als Schachbegeisterte natürlich besonders gefreut hat. Nathanel wird von seiner Mutter in das Schachspiel eingewiesen. Und bei einem gemeinsamen Spiel erzählt sie ihm einmal von einer der berühmtestens Schachpartien, die Paul Morphy gegen den Herzog von Braunschweig und den Grafen Isoard während der laufenden Premiere der Oper *Norma* von Bellini gespielt haben soll. Daher ist der Schachwelt diese Partie als *Opernpartie* bekannt. Damals war Morphy gerade mal 21 Jahre alt als er die beiden in der Partie schlug. Und obwohl Morphy ein großer Musikfan war und diese Oper unbedingt sehen wollte, saß er mit dem Rücken zur Bühne, setzte seine Züge in einer Geschwindigkeit, um sich dann schnell wieder dem Geschehen auf der Bühne zuzuwenden.

      Es war eine wahre Meisterleistung, weil seine Züge in einer solch überraschenden Schnelligkeit getätigt wurden und die beiden anderen Herren Zeit verwenden mussten, ja in hitzige Diskussionen gerieten, um den jeweiligen Zug zu finden, mit dem sie etwas entgegensetzen konnten. Das Spiel begann damals im übrigen mit der Philidor-Verteidigung. Wunderbar beschreibt Ondaatje den Vorgang des Spiels Morphy gegen die Beiden. Ich war begeistert. Aber lest selber.

      Also großartige Schreibkunst, wunderbares Erzählen über das Ende des zweiten Weltkrieges in England, aber auch von den Wirren des Danachs, denn so ganz hörte der Krieg nach Ende ja nicht auf. Im Untergrund fanden immer noch Kämpfe gegen die im Untergrund agierenden Faschisten statt überall auf der Welt. Und damit hatte eben auch die Mutter der beiden Kinder zu tun. So viel verrate ich Euch.

      Aber auch ein Buch über das Erwachsenwerden, dem Kampf gegen das Schwere im Leben und von den Erinnerungen an das Gestern, das uns Menschen ja immer begleitet. Denn die Vergangenheit bleibt nie in der Vergangenheit. Im Jetzt und im Heute werden wir immer wieder mit Dingen, Menschen und Handlungen konfrontiert, die uns an frühere Dinge erinnern. So dass eben auch niemals gesagt werden kann, Wunden verheilen. Sie können immer wieder aufbrechen.

      Am Ende des Buches habe ich gedacht, ich würde auch so gerne das Leben meiner Eltern und Großeltern im Nachhinein entschlüsseln können. Sie selber haben so gut wie nie etwas erzählt. Sie waren auch keine Berühmtheiten, so dass ich in Archiven stöbern könnte. Bleibt mir nur übrig wie Nathanel es phasenweise auch tut, Bruchstücke zusammenklauben, sich die Welt zusammenträumen derer, in die man hineingeboren wurde und somit mehr und mehr Erklärung und Erkenntnis zu gewinnen, warum wir selber so geworden sind, wie wir jetzt in dieser Welt stehen.

      Viel Vergnügen

      Michael Ondaatje
      Kriegs Licht
      dtv taschenbuch
      isbn: 978-3-423-14760-8
      11,90 Euro
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      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • „Es kursiert das Gerücht, ich hätte Gott gefunden. Ich denke, das ist unwahrscheinlich, weil ich genug Schwierigkeiten habe, meine Schlüssel zu finden; und es gibt empirische Beweise, dass diese existieren.“

      Wer diese Art von Humor mag und das Genre Fantasy, dem möchte ich gleich mehrere Bücher empfehlen:
      Die Scheibenweltromane von Terry Pratchett.

      Vordergründig eine leichte Lektüre, es macht einfach Spaß, sie zu lesen. Und es macht sogar Spaß, sie ein zweites, drittes.... Mal zu lesen. Allein das ist eine Empfehlung wert.
      Einen Eindruck davon, wie viel mehr darin enthalten ist, bietet die Tabelle unter:
      de.wikipedia.org/wiki/Scheibenwelt-Romane
      (siehe „Motive“).



      Zusammen mit Neil Gaiman schrieb Terry Pratchett: „Ein gutes Omen. Die freundlichen und zutreffenden Prophezeiungen der Hexe Agnes Spinner“.
      Erziehung und soziale Eingebundenheit sind hier bedeutender als Herkunft, Genetik....
      Und die Tipps zur Pflanzenpflege bleiben unvergesslich, g*.
    • In der Hitze der Südstaaten verbringen Kinder ihre Ferien und ein Rechtsanwalt wird Anfang der 1930er Jahre zum Pflichtverteidiger einberufen.

      Für alle, die ungern viel lesen: Es ist ein kurzes Buch.

      Eines meiner absoluten Lieblingsbücher: "Wer die Nachtigall stört" von Harper Lee

      Über Jahrzehnte hinweg immer wieder gelesen und auch die Verfilmung ist sehenswert.
    • John O´Connell - Bowies Bücher - Literatur, die sein Leben veränderte

      Man muss kein Fan von David Bowie sein, wenn man dieses vom Musikjournalisten John O`Connell geschriebenes Buch *Bowies Büher* zur Hand nimmt. Es genügt auch, wenn man ihn als Menschen und Künstler zumindest interessant fand und einige Songs von ihm ganz gerne hörte. Mir persönlich ist Fan-sein eh nicht gemäß.

      Bei meinem letzten Hausarztbesuch fragte ich meinen Arzt, mögen sie David Bowie? Ja, meinte er, der war bunt, das fand er gut.

      Und genau deswegen mochte ich ihn auch, seine schillernde Persönlichkeit, sein unglaubliche Wandlungsfähigkeit, sei es im künstlerischen Ausdruck oder ganz einfach in der Entwicklung seines Selbst. Unglaublich wie viele Metamorphosen er im Laufe seines Lebens durchgemacht hat, um zu dem zu werden, der er am Ende war. Seine Songs mochte ich nicht mal alle. Seinen Film *Der Mann, der vom Himmel fiel* habe ich viele Male gesehen, damals. Seine Botschaft hat meine Erkenntnis, dass es schwer ist, in dieser Gesellschaft sein Selbst zu finden und zu bewahren, bestätigt.

      Als ich von diesem Buch im Deutschlandfunk hörte, habe ich es mir auf der Stelle bestellt und genau das gemacht, was Bowie auch immer tat und was ich mit jedem Buch tue, worauf ich mich gefreut habe, alles stehen und liegen lassen, aufs Sofa und dann ab- und eintauchen. Und das zelebrierte ich an drei Nachmittagen in aller Seelenruhe. Denn, es gab nicht nur unfassbar interessante Einblicke in das Leben Bowies und denen der Autoren seiner 100 aufgelisteten Lieblingsbücher, wie deren Leben sich gestaltete, wie es zu ihren Werken kam, sondern am Ende eines jeden vorgestellten Buches, gab es einen Bowie-Song, manchmal auch zwei, in denen sich eine Figur oder die Botschaft des Buches in Bowies Musik widerspiegelte. So war das Lesen ein kurzweiliges Erlebnis und beim Hören der Songs kann man ein wenig entspannen und über das Gelesene nachdenken. Einfach nur herrlich.

      So erfährt man z.B. das Orwell sein Buch 1984 fast nicht hätte vollenden können und es somit der Welt verloren gegangen wäre. Orwell hatte einen Hang zur Selbstsabotage. Während eines verhängnisvollen Bootsausfluges im August 1946 las er die Gezeitentabelle falsch und wäre beinahe mitsamt seiner Nichten und Neffen ertrunken.

      Oder dass Sean Connery einmal wegen seines Stresses mit LSD behandelt wurde. Wer hätte das gedacht.

      Dass T-Rex letztes Album *Dandy in the Underworld* bezogen war auf den Prototyp der Gestalt des *Großen Gatsby* von F. Scott Fitzgerald.

      Dass Bulgakov seine erste Fassung von *Der Meister und Margarita* aus Angst davor, dass Stalins Geheimpolizei es hätte finden können. Er schrieb das komplette Buch nochmal neu und diktierte seiner Frau noch auf dem Totenbett die letzten Änderungen.

      Nur mal so ein paar kleine Schmankerl, ich kann sie ja nicht alle aufzählen. Von den 100 Lieblingsbüchern Bowies habe ich selber gerade mal 7 gelesen. Camus *Der Fremde*, Flaubert´s *Madame Bovary* Orwell´s *1984* Döblin´s *Berlin Alexanderplatz* Nabokov´s *Lolita* Kerouac´s Unterwegs* Capote´s Kaltblütig* Das war es auch schon, obwohl durchaus eine Handvoll meiner Lieblingsautoren noch dabei waren, deren Werke ich noch nicht kannte.

      Die überwiegende Anzahl der Autoren und ihre Werke waren mir bisher nicht bekannt. Viele interessante Sachen dabei, von der ich mir jetzt eine Liste angelegt habe, die ich mir zulegen möchte.
      Da wäre z.B. Ronald D. Laing´s Werk *Das geteilte Selbst*, in dem er über seine Arbeit mit Schizophrenen und psychisch kranken Menschen schreibt. Für Bowie war dieses Buch sehr wichtig, denn, auch das wusste ich nicht, er hatte einen 10 Jahre älteren Halbbruder, Terry, der unter Schizophrene litt und sich im Januar 1985 das Leben nahm.

      Bowie hat sich im Laufe seines Lebens immer wieder selber gefragt, warum (Zitat Daily Telegraph) er zur Großartigkeit bestimmt war und Terry dem Wahnsinn verfallen war. Später hat er einmal gesagt, wer weiß, was aus ihm geworden wäre, wenn er nicht Künstler geworden wäre und somit auch ein klein wenig das in ihm herrschende Chaos, seine Manie und Verrückte in seinen Songs, Filmen und Videos hätte ausleben können. So erfahren wir von Bowie auch, dass er lieber mit Wahnsinnigen verkehre als mit den frei und traurig umherwandernden Männern dahin zu ziehen. Und Recht hatte er sicherlich, denn wenn man sich so manche Menschen anschaut, dann sind schon sehr viele traurige Gestalten dabei, gefangen in ihrem Leistungsdruck und ihrem Habenwollen, was sie letzten Endes auch nicht wirklich glücklich und zufrieden macht. *Man fügt sich großen psychischen Schaden zu bei dem Versuch, dem drohenden Irrsinn zu entkommen* gestand er einmal 1993 der BBC. Das ist ja für Fromm-Kenner keine unbekannte Aussage. Auch Fromm sagte immer wieder, der Mensch müsse aufpassen, nicht verrückt zu werden, in diesem Irrsinn der Welt.

      Es sind unglaublich viele interessante Bücher in diesem Buch zu entdecken. Bowies hat alles gelesen. Romane, Erzählungen, Kunst- Musikbücher, vor allen Dingen Geschichte, die komplette amerikanische und russische Geschichte. In seiner Zeit nach seinem Herzinfarkt, nachdem er sich fast 10 Jahre zurückgezogen hatte, hat er überwiegend in seiner Wohnung gesessen und gelesen. Aber auch schon zuvor. Ich habe mich gefragt, wie er all das lesen konnte während seiner umtriebigen Action in seinem Leben und seiner musikalischen Karriere. Unfassbar. Er muss ein wandelndes Lexikon gewesen sein. Sicher ein Vergnügen wäre es gewesen, sich mit einem solchen Menschen über die großen Dinge des Lebens unterhalten zu können.

      Da Bowie Flugangst hatte, und zumeist, wenn es irgendwie ging, seine Reisen mit der Bahn oder dem Schiff vornahm, wie z.B. als er nach seiner US-Tournee mit Ziggy Sturdust wieder zurück nach England kehrte. Er hatte eine mobile Bibliothek, was bedeutete, es gab extra angefertigte Koffer in denen er auf all diesen Reisen an die 1500 Bücher mit nahm, um sicher zu sein (mein Gedanke) für jedes Interesse, dass ihn gerade an etwas befiel, etwas zur Hand zu haben. Man kann sich also vorstellen, welches Lesepotential er inne hatte. Und wenn ihm dann ein Buch besonders gefiel, bewarb er es bei seinen Freunden mit einem geradezu missionarischen Eifer. Wie herrlich, das kenne ich auch.

      Und immer war er auf der Suche nach sich selbst, was man ja an seinem Leben und seinem künstlerischen Werk, wie ich zuvor schon schrieb, unschwerlich nicht erkennen könnte. Auch ist das Lesen, neben vielen anderen auch eine Flucht, sich in andere Menschen, Perspektiven und Bewussstseinszustände hineinzuversetzen. Es hebt den Menschen aus sich selbst heraus, nur um uns dann wieder zurückzubringen, aber unendlich bereichert. Lesen hilft sich selber zu finden. Das ist auch meine persönliche Erfahrung.

      Bücher waren die Werkzeuge, die Bowie genutzt hat, um sein Leben zu steuern, und nicht zuletzt ein starkes Argument für die Theorie, die Connelly hat, dass einen das Lesen von Büchern zu einem besseren Menschen macht. Dem hatte ich nichts hinzuzufügen.

      Was wäre ich und mein Leben ohne meine Bücher gewesen. In allen Lebenslagen haben Sie mir auf vielfache und unterschiedliche Weise geholfen, einmal nur woanders hin zu entschwinden, ein anderes Mal etwas mitzunehmen, dass ich für meine Weiterentwicklung brauchte.

      Ich werde das Buch bei meinem Hausarzt schenken. Das ist mal klar und ganz sicher noch einigen anderen.

      John O`Connell *Bowies Bücher*
      Literatur, die sein Leben veränderte
      Kiepenheuer & Witsch
      ISBN: 978-3462-05352-4
      16,00 Euro

      Viel Vergnügen

      deutschlandfunkkultur.de/john-…ml?dram:article_id=478406
    • Ich lese immer mehrere Sachen parallel. Wenn auch deutlich weniger als früher.

      Sigmund Freud: "Das Unbehagen in der Kultur" und
      Immanuel Kant: "Kritik der reinen Vernunft" (sau schwer zu lesen, eine echte Qual, aber es lohnt, wenn man erstmal drin ist) und zum Entspannen


      Katharina Hagena: "Der Geschmack von Apfelkernen"


      Früher auch viel Fantasy und SF (ich habe "Herr der Ringe" noch GELESEN!!! Die grüne dreibändige Ausgabe im Karton 8o ...)
      Jemand sagte zu mir: "Lächle, morgen wird es schlimmer." Ich lächelte - und es wurde schlimmer.

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    • The Great Nowitzki - Biografie von Thomas Pletzinger -

      Für Sport hab ich mich eigentlich immer nur am Rande interessiert. Fußball ging nie an mir vorüber, schon wegen der Männer zu Hause. Radrennen fand ich immer ganz gut, auch hin- und wieder hab ich mal das eine oder andere Sportereignis bestaunt. Aber viel mitreden kann ich bei keiner Sportart groß. Eben auch über Basketball nicht. Ich war in der Jugend mal für eine kurze Zeit in einer Basketball-AG, gar nicht mal so schlecht. Habe es aber auch nicht weiterverfolgt. Wohl dachte ich, dass ich für diese Sportart nicht groß genug bin. Obwohl ich jetzt in einem anderen Buch erfahren habe, dass Basketballspieler zwar überwiegend groß sind, aber dass das kein Muss ist. Es gab mal einen Spieler mit Namen Muggsy Bogues, der nur eine Körpergröße von 1,60 m aufwies. Der kleinste Mensch, der je in dieser Sportart etwas geleistet hat. Belächelt soll man ihn haben. Doch ihm ist es gelungen, seine Körpergröße zu seinem Attribut zu machen, wofür er landesweit berühmt wurde. Wenn man klein ist, hat das auch seine Vorteile. Auf dem Spielfeld kann sich schneller und flinker bewegt werden und man kann ahnungslosen größeren Mitspielern den Ball abluchsen, so dass man leicht unterschätzt wird. Aber ich wollte Euch ja ein Buch mit dem Titel *The Great Nowitzki* unbedingt anempfehlen, auch wenn man von Basketball bisher nicht viel mitbekommen hat. Auf die Biografie vom Sportjournalisten Thomas Pletzinger, der Nowitzki viele Jahre immer wieder begleitet hat, bin ich aufmerksam geworden in der Sendung des literarischen Quartetts, in der Volker Weidermann, der jetzt ja auch beim Spiegel nach dem Ausscheiden aus der Sendung, eine Büchervideoshow unter dem Titel *Spitzentitel* veröffentlicht. Weidermann les ich sehr gern, wie ich schon mal schrieb und als er diese Biografie von Nowitzki empfahl mit dem Hinweis, man muss kein Fan von Basketball sen und auch über keine Ahnung vom Spiel verfügen, um diese zu lesen. Er war sichtlich begeistert über diesen großartigen Spieler und Menschen, dass ich dachte, warum nicht.

      Enttäuscht worden bin ich wie immer von seinen Empfehlungen nicht. Ein wirklich großartiges Buch, dass ich schnell durchgelesen habe und nun etwas mehr über den Sport an sich kennengelernt habe, aber vor allen Dingen etwas über den Menschen Dirk Nowitzki, sein Leben, seine Karriere und auch über die Menschen, die ihm auf seinem Weg zu einem der größten Sportler aller Zeiten im Basketball zu werden, allen voran sein Lehrmeister Holger Geschwindner, selbst in jungen Jahren ein hervorragender Spieler, verholfen habe

      Mit 12 Jahren entschied er sich dann für den Basketball. Verehrt hatte er die Großen in diesem Sport schon immer. In seinem Jugendzimmer klebten Plakate von Scotto Pippen und Michael Jordan. Später standen dort dann auch seine Pokale, die er mit TG Würzburg erkämpft hatte. Da er groß war, schon als achtjähriger war er größer als seine Lehrer in der Schule und hat unter den Hänseleien seiner Mitschüler sehr gelitten, sich zurückgezogen und sich in den Sommerferien, wenn andere im Schwimmbad waren, draußen im Hof seiner Eltern aufgehalten und stundenlang mit dem Ball auf den Korb geworfen, schien das genau das Richtige für ihn zu sein. Schnell wurde dann auch entdeckt, dass er höchst talentiert war.

      1993 dann hatte Nowitzki dann seine erste Begegnung mit Holger Geschwendner, der in ihm, so hat er es bezeichnet, einen Rohdiamanten sieht. Geschwendner, über dessen Person natürlich auch viel erzählt wird, ein enfant terrible, aber zutiefst kluger Mensch. Geschwender hat im Leben sehr oft erkannt, was mit den Dingen, die er sieht, einmal sein kann. Von dieser ersten Begegnung an nimmt er Nowitzki unter seine Fittiche und die beiden sind unzertrennlich. Seine Trainingsmethoden sind außergewöhnlich und sie beinhalten zumeist auch die Zeit, in der nicht sportlich trainiert wird, sondern das Leben gehört ebenfalls dazu. Sie reden viel miteinander, hören Musik, lesen viel. Manchmal lesen sie sich gegenseitig vor, ob es Josef Conrads *Herz der Finsternis* ist oder Aitmantovs *Dshamilja*. Nowitzki hat später in seiner Zeit bei den Mavericks auch einen Lesezirkel gegründet, in denen sich auch einige seiner Sportkameraden befanden. Lustig empfand ich die Anekdote, in der erzählt wurde, dass ihm angeraten wurde das Buch Döblins *Berlin Alexanderplatz* mitzunehmen, als er mit den Mavericks auf ihrer Tour durch Europa in Berlin gegen die Italiener spielen sollten . Sie hatten damals das Spiel verloren und später sagte er zu Geschwendner, scheiß langweilig das Buch, er könne das nicht lesen und habe sich lieber Irvings *Garp und wie er die Welt sah* zugewandt.

      Aber vor allen Dingen war es Geschwendner immer wichtig im Gespräch zu sein, sich mitzuteilen. Er sagte einmal: "Der Mensch, der sich mitteilt, wird sich selber los

      Lustig fand ich, ein Fan wird es wohl wissen, dass Nowitzki später bei jedem erfolgreichen Wurf immer vor sich hin summte David Hasselhoffs *Looking for Freedom* Musik hat Nowitzki immer begleitet. Z.B. schätzt er auch Mumford & Sons, die ich selber auch ganz gern je nach Stimmung höre. Er spielt im übrigen auch selber Saxophon.

      Geschwendner sagte, Sport und Musik sind das tägliche Ringen um die eigenen physischen und handwerklichen Fähigkeiten und der immer wiederkehrende Versuch, den eigenen Körper nicht immer bewusst wahrzunehmen, sondern ihn machen zu lassen. Er zielt auf die Selbstvergessenheit an und das kennt ja jeder, der Musik liebt. Ich könnte mir einen Alltag ohne Musik auch kaum vorstellen. Wie oft hat mich die Musik vergessen lassen oder mich auch angetrieben.

      Geschwendner, der Jazzliebhaber ist, vergleicht diesen auch mit dem Sport des Basketballs. Er sagte immer, beim Jazz spielen Aktion und Reaktion eine große Rolle, wie eben beim Basketball oder anderen Sportarten auch. Die Instrumente kommunizieren miteinander, durcheinander und übereinander. Es sei wie ein Wettbewerb, in dem jeder wartet auf sein Solo, in dem er seine besondere Fähigkeit einsetzen kann. Und auch Fehler gehören dazu. Fehler seien das Salz in der Suppe, sie müssen integriert werden, weil sie immer der Anfang neuer Elemente für Unerwartetes, Neues sind. Miles Davies sagte einmal, der nächste Ton entscheidet darüber, ob ein Fehler überhaupt ein Fehler ist oder einfach nur der Anfang von etwas Großem.

      ch dachte mir beim Lesen, wenn wir Menschen das auch so sehen könnten im täglichen Leben und im Umgang miteinander, gäbe es keine Urteile oder Ablehnung, wir würden dann erkennen, dass jeder in seiner Individualität mit hineinspielt und alles zusammen ein wunderschöner Tanz ist, sei es in dem, was wir miteinander tun oder worüber wir diskutieren. Jedenfalls ich betone, dass dieses Buch über Nowitzki keine dröge Biografie ist, sondern voller Lebenserfahrungen und Erkenntnisse der Menschen, die um Nowitzki herum sind, aber auch von ihm selber. Das macht das Buch so spannend.

      Der Leser erfährt, wie Nowitzki sein Ziel erreicht hat, seine beiden Wunschträume sich erfüllt haben. In der NBA zu spielen bei den Mavericks, die anfangs nicht mal seinen Namen richtig aussprechen konnten. Einmal ist während eines Spiels sein Name irrtümlich mit *Nowitkzi* auf seinem Trikot angebracht worden. Und an der Olympiade teilzunehmen, ausführlich mit allem Drum und Dran wird sein Weg dahin beschrieben. Auch von dem Druck, unter dem er sich immer gefühlt hat. Von seinen vielen Verletzungen, die ihn niemals abgehalten haben, weiter zu machen. Bis hin zu seinem 30.000sten Wurf, den die Fans in der Halle euphorisch gefeiert und bejubelt haben. Auch die Fankultur, das Leben in Dallas, seinem Status, den er dort erreicht hat. Und vom Aufhören, dem Ende seiner sportlichen Karriere, den er immer wieder hinausgezögert hat. 42:21:1 das war sein Leben, alles andere hat hinten angestanden. Ein Sportler, so habe er einmal gesagt, stirbt zwei Mal, am Ende seiner Karriere und am Ende seines Lebens. Das glaubte ich sofort.

      Dass er aber dennoch, trotz seines riesigen Erfolges immer ganz er selbst geblieben ist, ohne Allüren oder egomanen Verhaltensweisen. Immer hatte er auch das Wohl der/des Anderen im Auge und vor allen Dingen das Gelingen des Spiels seiner ganzen Mannschaft. Pletzinger spricht in diesem Zusammenhang von Lauterkeit. Ein Wort, dass wir im normalen Sprachschatz nur noch selten in Bezug auf einen Menschen sagen hören. Lauterkeit, das bedeutet, aufrichtig, ehrlich zu sich selbst und den Mitmenschen, demütig und auf dem Teppich bleiben. Im Alltag erleben wir zumeist das Gegenteil, auch von uns selber, wenn wir ehrlich mit uns sind, beim einen mehr, beim anderen weniger. Mich hat das sehr berührt muss ich sagen.

      Ich würde am liebsten noch 1000 andere Dinge aus seinem Leben erzählen, aber das Buch soll ja gelesen werden.

      Vielleicht ist die Frage interessant, die Pletzinger sich am Anfang des Buches gestellt hat. Was macht Menschen zu dem, was sie geworden sind. Sie waren ja auch erst einer wie wir, wurden geboren,waren Kinder, wurden groß. Welchen Weg sind sie abgebogen. Ich denke, diese Frage kann sich ja jeder stellen, auch wenn er keine großen Erfolge vorzuweisen hat wie Nowitzki. Was macht uns zu dem, was wir jetzt gerade in diesem Heute sind? Dazu ist es immer notwendig auf die Vergangenheit zurückzublicken, sie zu beleuchten um zu verstehen. Daher ist die Vergangenheit zwar rum, wie manchmal gesagt wird, jedoch gehört sie zu uns und der Rückblick verschafft uns immer wieder das Verstehen, warum wir der sind, der wir sind.

      Ein wunderbares Buch über einen großartigen Menschen und Sportler. Es lohnt sich dann auch seinen Film *Der perfekte Wurf* zu schauen, den ich mir natürlich ebenfalls angeschaut habe und viele Sequenzen und Ausschnitte seiner Spiele mit den Mavericks. Ein wirkliches Lesevergnügen.


      Thomas Pletzinger
      The Great Nowitzki
      Kiepenheuer und Witsch
      ISBN; 978-346-2047329
      26,00 Euro
    • bowies bücher steht nun, dank arena, auf meiner einkaufsliste.


      ich möchte wieder mal ein älteres buch empfehlen:

      ein fiktiver roman mit historischen einsprengseln, den ich knapp 2 jahrzehnte nach seiner entstehung gelesen habe und dennoch aktuell fand.

      bernt engelmanns "großes bundesverdienstkreuz"

      de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9…nternehmer%20Fritz%20Ries.
      • Hallo zusammen!
        Ich lese momentan das Blog über 5 Dos/Don'ts während Corona 5dosanddontswaehrendcorona.wordpress.com
        Sehr interessantes Blog, wird wahrscheinlich euch auch interessant sein.
        • Die Überschrift des Threads heißt aber *Welches Buch liest Du gerade* ^^ :cursing:





      Es war einmal ein Schiff,Befuhr die Meere alle Zeit,und unser Schiff, es hieß die Goldne Nichtigkeit.
    • Olympische Spiele und ihr Design

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      Eigentlich hätte es im Jahr 2020 eine Sommerolympiade geben sollen, wie in jedem Schaltjahr seit 124 Jahren. Doch das Coronavirus strich das große Sportfest, für das in Tokio bereits alles angerichtet war, vom internationalen Terminkalender; das haben bisher nur die beiden Weltkriege für die projektierten Ausgaben 1916 (Berlin) sowie 1940 (St. Moritz/Sapporo/Garmisch-Partenkirchen, Tokio/Helsinki) und 1944 (Cortina d’Ampezzo, London) geschafft. Ob sich die Jugend der Welt nun im kommenden Sommer in der japanischen Hauptstadt treffen kann, vermag heute niemand verlässlich zu sagen. Das Denken an die nächste Olympiade mag daher auch eine Einladung sein, sich mit ihrer Geschichte der Neuzeit zu beschäftigen.

      Der Schweizer Graphikdesigner Markus Osterwalder, Jahrgang 1964, hat eine bemerkenswerte Geschichte der Olympischen Spiele seit Athen 1896 vorgelegt. Dabei interessiert er sich nur am Rande für statistische Angaben wie die Zahl der Teilnehmenden (bereits ab der zweiten Olympiade 1900 in Paris sind Frauen unter den Aktiven), die Art der Wettkämpfe und Disziplinen, gelaufene, gefahrene, geschwommene oder geworfene Rekorde, dominierende Länder oder besonders erfolgreiche Athleten (m/w/d). Osterwalder schaut vielmehr auf die visuelle Präsentation der Spiele, auf ihre Signets, auf ihre Kommunikation im öffentlichen Raum – kurz, auf ihr Corporate Design, das anfangs eher intuitiv daher kommt und mittlerweile von spezialisierten Agenturen gestaltet wird. So ergibt sich im vorliegenden zweibändigen Werk eine Geschichte des Designs, dekliniert am Beispiel der Olympischen Sommer- und Winterspiele sowie der Paralympics.

      Osterwalder ist mit der Akribie des Historikers vorgegangen, der die vorhandenen Quellen sichtet, konstelliert und interpretiert. Er hat im Olympischen Museum in Lausanne recherchiert, er hat mit Designerinnen wie Elena Winschermann, Theodora Mantzaris und Irene Maria Jacobs gesprochen, er hat auf Flohmärkten und im Internet Kontakt mit Sammlern olympischer Devotionalien aufgenommen, er hat Archive von Zeitungen und Fernsehsendern nach Fotos und Filmen konsultiert, um möglichst genau das Gesicht der Olympischen Spiele im Wandel der Zeiten zu rekonstruieren. Auf über 1.570 Seiten präsentiert er der geneigten Leserschaft seine Fundstücke – vom offiziellen Plakat der Spiele über die vergebenen Medaillen bis zur Eintrittskarte; von der Hausschrift der jeweiligen Spiele über die Gestaltung des Programmheftes bis zu den prägenden Farben der ausrichtenden Stadt respektive Region.

      Was im Jahr 1896 in Athen als semiprivates Sport- und Ertüchtigungsfest mit 241 Aktiven begann, inspiriert und organisiert vom humanistisch denkenden französischen Baron Pierre de Coubertin, hat sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts zu einer einzigartigen Marketingmaschine entwickelt, die die Olympiade (und mit ihr den Sport insgesamt) zu einem Riesenspektakel einer weltumspannenden Unterhaltungsindustrie transformierte. In Athen 2004 waren über 10.000 Teilnehmende am Start, auf den offiziellen Infosäulen vor Ort prangte das Logo einer international vertretenen Fastfood-Kette, das Publikum am Fernsehen und im Internet wurde in Milliarden gemessen. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) fungiert dabei als absolutistische Rechteinhaberin der Marke „Olympische Spiele“ und des Logos der Olympischen Ringe; es vergibt in einem obskuren Prozess alle vier Jahre an wechselnde Städte die Lizenz, die Olympischen Sommer- wie Winterspiele abzuhalten, die die Kosten für die Infrastruktur allein zu tragen haben, während das IOC den Löwenanteil der Übertragungsgelder einstreicht.

      Was heute den Gesetzen einer nüchternen Vermarktungslogik gehorcht, begann ausgangs des 19. Jahrhunderts idealistisch, romantisch und durchaus wagemutig. In Frankreich und Belgien fanden Radrennen große Beachtung, in England wurde begeistert Fußball gespielt und gerudert, in Deutschland geturnt, die europäische Aristokratie traf sich bei Reitturnieren, die Jugend des Kontinents entdeckte die gesundheitsfördernde Wirkung des Wanderns und des Schwimmens. Die Idee eines Sportfestes, das mehrere Disziplinen (und anfangs auch kulturelle Darbietungen) umgreifen sollte, lag in der Luft. Mit Athen wurde bewusst Griechenland als erster Austragungsort gewählt, um an die Olympischen Spiele der Antike anzuknüpfen, eine kultische Begegnung des sportlichen Wettstreits wie des Schweigens der Waffen. Die wenigen noch erhaltenen Fotos von 1896 zeigen nicht umsonst das panathenäische Stadion unterhalb der Akropolis mit seinen für ein Amphitheater typischen durchgehenden, nach oben ansteigenden lehnenlosen Sitzbänken.

      Die Spiele 1900 in Paris und 1904 in St. Louis fanden jeweils als Rahmenprogramm der Weltausstellung statt, sie gingen mit ihrer Dauer über Monate vielmehr weitgehend darin unter. 1912 in Stockholm gab es erstmals ein gesondertes Plakat, das als Werbeträger für die sportlichen Wettkämpfe diente; typographisch und motivisch dominierte in diesen Jahren der florale Jugendstil, ab der Mitte des Jahrhunderts wandelte sich die figürliche Darstellung zu mehr Abstraktion. Auf dem Olympischen Kongress 1914 in Paris wurde erstmals die Olympische Flagge mit den fünf Ringen in der Öffentlichkeit gezeigt; die Ringe, die dann ab Antwerpen 1920 Teil der visuellen Identität der Olympiade sind, wurden im Verlauf der letzten 100 Jahre mehrfach umgestaltet, auch hier wacht das IOC eifersüchtig über die korrekte Darstellung „seines“ Logos, dessen Farben im Pantone-Code eindeutig definiert sind. Seit der Olympiade 1924 in Paris gibt sich jede ausrichtende Stadt ein Signet, das oft die nationalen Farben des Landes aufnimmt, ebenso Figuren aus der regionalen Mythologie, und das die sportliche Bewegung symbolisieren soll. Im Nebeneinander von Ringen und Signet erscheinen die Olympischen Spiele, ab 1924 in Chamonix auch in einer Winterversion, als Parallelführung von visueller Konstante und Variation.

      Die Spiele 1936 von Berlin stechen visuell aus der Historie besonders heraus. Vor ihrer Eröffnung wurde im griechischen Olympia die Olympische Fackel entzündet, die dann in einer Staffel in die Hauptstadt des Deutschen Reiches getragen wurde – ein bis heute gepflegter Brauch. Wurden die Spiele bislang medial über die Zeitung und das Radio kommuniziert, existieren nun erstmals Fernsehbilder der Wettkämpfe. Außerdem nutzt die Führung des III. Reiches die Olympiade als Plattform ihrer Propaganda – auf belebten Plätzen wehen die Fahnen der Ringe und der Swastika nebeneinander. Nicht zuletzt gibt es erstmals eine systematisch komponierte Sammlung an Piktogrammen, die in klarer Zeichenform und über Sprachgrenzen hinweg die jeweilige Sportart darstellen. Unklar bleibt, warum die Piktogramme in Berlin 1936 nicht zum Einsatz kamen; es sollte noch bis 1964 in Tokio dauern, dass auf dieses allgemein verständliche Element nonverbaler Kommunikation zurückgegriffen wurde.

      Lange waren die Olympiaden den Amateuren des Sports vorbehalten, Professionals waren ebenso wenig erwünscht wie kommerzielle Werbepartner. So sorgte 1952 in Helsinki für Unmut beim IOC, dass ausgerechnet die finnische Langlauflegende Paavo Nurmi das Olympische Feuer im Stadion entzündete – hatte Nurmi doch als Athlet in den 1920er Jahren nach Auffassung des IOC den Amateurstatus verletzt. Von dieser Zurückhaltung des IOC ist heute nichts mehr zu spüren; seitdem 1968 in Mexiko die ersten Fernsehbilder in Farbe über die Monitore flimmerten, ist die Olympiade für global agierende Konzerne von höchstem Interesse. Farbgebung, Fonts, Maskottchen, Piktogramme, Wegweiser, Begleithefte und Uniformen der Freiwilligen im und ums Stadion herum entstehen modellhaft aus einem Guss, um möglichst weltweit einen Wiedererkennungswert zu schaffen. Diese Zurichtung der Olympiade auf die Interessen der Sponsoren trug der Ausgabe 1996 von Atlanta den unrühmlichen Beinamen der „Coca-Cola-Spiele“ ein.

      Und sonst? Es bleiben die ikonischen Piktogramme, die Otl Aicher und Gerhard Joksch für München 1972 kreiert haben. Unvergessen die Boykotte zuerst von Moskau 1980 (West) und dann von Los Angeles 1984 (Ost), die zeigen, dass der Sport nicht so unpolitisch ist, wie er sich gern inszeniert. Von Peking 2008 bleibt mit dem „Vogelnest“ das äußerlich schräge Stadion von Herzog & de Meuron in Erinnerung, eingesetzt als Mittel eines globalen Stadtmarketings. An London 2012 gemahnt die comichaft gezackte Typographie, mehr Symbol als Buchstabe. Und es bleibt von 2014 die Wortmarke cочи.ру im Gedächtnis, der Internetadresse des Ortes der Winterspiele an der russischen Riviera am Schwarzen Meer, mit einer desaströsen Ökobilanz, die es fortan schwierig macht, die Menschen für eine solche Gigantomanie zu faszinieren. Lässt sich heute Olympia nur noch in Autokratien mit ihrem unguten Hang zum Weißwaschen des Regimes vor der Weltöffentlichkeit austragen? Die Spiele 2016 in Rio legen es nahe: Das Drei-D-Design des Emblems in den brasilianischen Landesfarben ist ein kommunikativer Traum, der finanzielle Ruin derStadt nach dem Ende der Show hingegen ein endloser Nachtmahr.

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      Markus Osterwalder: Olympic Games. The Design, Salenstein 2020, Niggli, zwei Bände
    • *Turbulenzen* David Szalay

      Bücher helfen diese schwierige Zeit gut zu bewältigen. Mir jedenfalls. Mit einem Buch ist der Mensch bekanntlich nie allein. Und wenn ein Buch so kurzweilig, dennoch tiefsinnig und nachdenkenswert ist, vergeht die Zeit wie im Flug.

      Auf 134 Seiten fliegen wir mit dem Autor David Szalay um die Welt. Reisen im Kopf dachte ich. Länder und Städte in Gedanken betrachten, sich ausmalen, wie sie wohl ausschauen, was es Sehenswertes gibt, welche Geschichte diese Orte haben, wie Menschen dort leben. Googeln geht ja immer, sich kundig machen, es mit den Bildern zu vergleichen, die im Kopf entstanden sind.

      Szalay wuchs in London auf, seine Mutter war Kanadierin, sein Vater Ungar. In Oxford studierte er Literatur und arbeitete zeitweise als Verkäufer in einem Anzeigengeschäft der Londoner Finanzindustrie. All zu viel gibt es nicht zu finden über ihn. *Turbulenzen* ist sein fünfter Roman, der jetzt von Henning Ahrens aus dem Englischen übersetzt im Hanser Verlag erschienen ist.

      So bin ich an einem Nachmittag beim 3. Adventskerzchen auf 134 Seiten mit seinem Büchlein einmal um die Welt geflogen.

      London - Madrid
      Madrid - Dakar
      Dakar - Sao Paulo
      Sao Paulo - Toronto
      Toronto - Seattle
      Seattle - Hongkong
      Hongkong - Ho-Che-Minh-Stadt
      Ho-Che-Minh-Stadt - Bangkog und Delhi
      Delhi - Kochi (wusste nicht wo das ist)
      Kochi - Doha
      Doha - Budapest
      Budapest - London

      Wer fliegt kann in Turbulenzen geraten. Und auch das Leben gerät immer wieder in Turbulenzen, in gefährliche, manchmal auch freudige Turbulenzen. Die Letzteren sind uns selbstverständlich lieber.

      Im ersten Kapitel sitzt im Flug von London nach Madrid eine Frau mit ihrer Flugangst. Sie wollte eigentlich lieber mit Zug und Bus, aber die Vernunft und die Statistik überzeugte sie am Ende. Letzten Endes ist der Flug immer noch das Sicherste. Sie lebt in Madrid, besuchte jedoch einen Monat lang ihren Sohn in London, der an Prostatakrebs erkrankt war. Nun hat sie ihn in seiner Wohnung allein gelassen. Er wollte nicht, dass sie bleibt. Tief in ihren Sitz versunken hängt sie ihren Gedanken nach. Wird er es schaffen? Wird er das Jahr durchhalten? Neben ihr schaut ein Mann auf seinen Bildschirm. Sie hört nichts, aber sieht, dass sich Menschen dort anschreien. Auf ihrem Bildschirm vor ihr ist nur die Route zu sehen und wo der Flieger sich gerade genau befindet. Sie dämmert vor sich hin und dann kommen die Turbulenzen. Sie hat Angst, richtig Angst. Manchmal löst Angst die Zunge und hebt Distanzen auf. So auch bei ihr und sie beginnt mit dem Mann neben ihr, der zuvor von ihr dachte, ein typisch englischer Charakter, die Dame, unnahbar, distanziert und schweigsam.
      Nun aber, in ihrer beider Angst kommen sie sich näher, tauschen Informationen aus, er zeigt ihr Bilder von seinen Kindern. Sie erzählt von der Krankheit ihres Sohnes. Er bemerkt ihre tiefe Sorge. Er befindet sich auf dem Heimflug nach Dakar.

      By the way...Ein Flieger nach Madrid muss sich immer auf Turbulenzen gefasst machen. Es ist einer der Strecken in der Luft, die am häufigsten davon betroffen ist. Wird in eienr der Geschichten egsagt. Ich hab das überprüft und gegoogelt. Es stimmt wohl.

      Es ist oft so, dass sich Menschen Fremden gegenüber je nach den Turbulenzen, in denen sie sich gerade befinden, leichter öffnen. Mir ist das auch schon oft passiert. Den Fremden sieht man ja nicht mehr wieder. Er hat nichts in der Hand von und mit dem, was man anvertraut hatte. Es ist so viel leichter. Zudem wissen Menschen oft nicht was sie erwidern sollen, wenn sie von Traurigem, Schwerem und Unfassbarem, was dem Anderen widerfahren ist, hören. Selbst die, denen eine eintretende Turbulenz in ihrem Leben, sei es Krankheit, ein Unfall, der Tod eines geliebten Menschen, ihr Leben durcheinanderwirbelt, haben oft keine Antwort. Finden sie auch nicht, weil sie sich dem Ereignis nicht stellen, sich ablenken, einfach nur vergessen wollen. Trauer wollen sie nicht. Sie sind zu schwach, um sie zuzulassen.

      Ich deute nur die erste Episode eines Fluges und der beiden Menschen, die sich dort begegnen an. Es folgen weitere 11 kurze Episoden von Menschen auf Flügen an Orte, wo sie entweder selber wohnen, sich also auf dem Heimweg befinden oder Menschen besuchen wollen, die wie sie dann erfahren, ebenfalls in Lebensturbulenzen geraten sind.

      Manchmal schreibt Szalay über die Ereignisse, ein anderes Mal wieder deutet er sie an und man muss sich eigenen Gedanken machen, was da ist, wie es ausgeht und wie die Betroffenen damit wohl umgehen werden. Das machte es für mich so interessant.

      Wir reisen also mit seinem Büchlein um die Welt und sind am Ende wieder in London. Dort, wo der an Prostatakrebs erkrankte Sohn der Frau auf dem ersten Flug lebt. Dort wird er von seiner Tochter besucht, die aus Budapest zu ihm kommt um ihn ins Krankenhaus zu begleiten, wo er die Ergebnisse der bisherigen Behandlungsmethode erfahren wird. Sie will den Vater nicht alleine damit lassen.

      Jedoch geht es immer um Menschen auf diesen Flügen, die im vorhergehenden Kapitel ebenfalls schon als Nebenfigur aufgetaucht sind. Mir kam, wie ich oft auch denke, der Gedanke, das Leben der Menschen ist miteinander verbunden, manchmal, ohne dass wir weiter darüber nachdenken oder gar erfahren, was aus ihnen geworden ist. Denen, denen wir begegnet sind, mit denen wir geredet haben, die uns etwas anvertraut haben und wir Anteil genommen haben.

      Wenn ich ein Fazit ziehe aus allen Geschichten geht es um das Leben des Menschen an sich. Um das Sein. Wer man ist, wie man mit den Umständen der eintretenden Ereignisse im Leben umgeht. Was man daraus macht. Ob man Antworten findet oder wie ich oben schrieb, sie zumindest sucht. Und es geht immer auch um Nähe. Eine Nähe zu Menschen, die jeder doch sucht, aber sie selten findet. Also, die richtige Nähe, nicht das täuschende oberflächliche Miteinander. In einer Statistik las ich neulich, dass für 85% der befragten Menschen gute Freunde und enge Beziehungen zu anderen Menschen das Wichtigste im Leben sei. Das würde ich auch unterstreichen. Es braucht nicht viele, aber ein, zwei und wenn man sie hat, kann man den Turbulenzen des eigenen Lebens besser und stärker entgegentreten.

      Ob der Mensch dann glücklich ist mit seinem Leben?

      Bist du glücklich, fragt ein Mann eine Frau nach einer miteinander verbrachten Nacht morgens beim Wachwerden in einer Episode. Und er meinte nicht ob dieser zusammen verbrachten Nacht, nein er denkt überhaupt, mit ihrem Leben. Eine Frage, die die Frau sicher nicht erwartet hatte. Dieses Zusammensein mit ihm schien ihr unverbindlich. Befriedigung eines Verlangens. Und nun das. Bist du glücklich.

      Wann wurde einem das letzte Mal eine solche Frage gestellt, dachte ich. Mir. Ich kann mich nicht erinnern so richtig. Eher stelle ich mir die Frage immer mal wieder selber. Meine Antwort ist immer die selbe. Manchmal ja. Zumeist genügt es mir, wenn ein *ich bin zufrieden* die Antwort ist.

      Ein schönes Büchlein, dass ich jedem Lesebegeisterten wärmstens ans Herz lege. Gerade jetzt in dieser Zeit, wo es viel Zeit hat, zum Nachdenken, still werden, genauer hinschauen und Fragen zu stellen.

      David Szalay
      *Turbulenzen*
      Hanser-Verlag
      ISBN: 978-3-448-26765-7
      19,00 Euro

      Viel Freude :saint:
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