Garri am Rechner

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    • Garri am Rechner

      Für eine abschließende Eloge auf Garri Kasparow, der am 13. April 1963 geboren wurde, ist es noch zu früh, dafür agiert der dreizehnte Schachweltmeister (1985 bis 1993 resp. 2000) zu umtriebig und zukunftsoffen. Die Schachwelt hat Kasparow, ob seines aufbrausenden Temperaments auch das „Biest von Baku“ genannt, über eine Generation dominiert und drangsaliert, seine Palmarès imponieren bis heute: jüngster Weltmeister (mit 22 Jahren), längster WM-Kampf (48 Partien en suite gegen Anatoli Karpow 1984/85), längste Verweildauer an der Spitze der Weltrangliste (20 Jahre), höchste jemals erreichte Elozahl (2851). Zu seinen Spuren auf den 64 Feldern gehören weiter die Abonnementssiege beim Superturnier in Linares, das Schisma zweier konkurrierender WM-Titel (1993 bis 2006) nach seinem Dauerzwist mit der FIDE, die Aufsehen erregenden Matches gegen den Großcomputer Deep Blue, seine Schaupartie gegen „die Welt“ via Internet sowie seine vorzüglichen Bücher über seine „großen Vorkämpfer“ auf dem Thron. Kasparow spielt offensiv, der Taktik zugeneigt und auf lang anhaltende Initiative bedacht; er betrachtet seinen Stil als Kombination derer Alexander Aljechins, Mikhail Tals und Robert James Fischers. Als ein weiterer Einfluss auf sein Spiel ist Mikhail Botwinnik zu nennen, in dessen Schachschule der junge Garri einst ging und von dem er die akribische Wettkampfvorbereitung und speziell das tiefe Eröffnungsstudium gelernt hat. Zu seiner Glanzzeit galt Kasparow als führender Kenner der Najdorf-Variante in der Sizilianerin, des weiteren fühlte er sich in der Spanischen und der Königsindischen Partie wie ein Fisch im Wasser, mit beiden Farben wohl gemerkt. Kasparow erkannte bereits zu Beginn der 1990er Jahre das immense Potential der Computer für die Vorbereitung und die Analyse einer Schachpartie; seine Eröffnungsdatenbank soll ein Volumen von zehn GB umfassen (bei rund einem GB der handelsüblichen Pendants). Nach seinem Sieg in Linares 2005 erklärte Garri Kasparow seinen Rücktritt vom Turnierschach, dem Spiel bleibt er jedoch patengleich als Trainer, Buchautor, Kommentator und Stiftungsvorstand erhalten. Schon früh hat sich Kasparow, dessen Aufstieg parallel zu Mikhail Gorbatschows Ära von Glasnost und Perestroika begann, in die sowjetische und später russische Politik eingemischt. Seine unverhohlene Kritik an Wladimir Putin brachte ihn im Jahr 2007 für einige Tage ins Gefängnis. Grenzen seines Schaffens scheint Garri Kasparow, der in Moskau und Manhattan lebt, nicht zu kennen; beharrlich treibt er seine Vision der Popularisierung des Schachs in den Zeiten der Globalisierung voran. Man darf gespannt sein, in welcher Rolle Kasparow seine politischen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen und Ideen verfolgen wird: Präsident der FIDE oder Russlands? CEO bei IBM? Generalsekretär der UNO? Energie und Sendungsbewusstsein für diese Posten hätte er allemal, seine einmalige Karriere im Schach legt darüber beredtes Zeugnis ab. Und er wird ja erst 49 Jahre alt. Glückwunsch!

      Die zur Illustration seines dynamischen Stils zitierte zehnte Matchpartie um die PCA-Weltmeisterschaft gegen Viswanathan Anand, New York 1995, ist ein „echter Kasparow“, aggressiv, spektakulär und zielführend. Darüber hinaus stellt sie eine Premiere dar, weil Garri und sein Sekundantenstab bei der Ausarbeitung des entscheidenden Angriffs samt des tückischen Turmopfers (15. Sb3) und des lauten Läuferzuges (19. Lh6) in der Heimanalyse der Unterstützung eines leistungsstarken Rechners sich bedient haben.

      chessgames.com/perl/chessgame?gid=1018625
    • Liebe Läuferin,

      Deine Beiträge sind immer klasse, aber dieser gefällt mir ganz besonders, Garri Kasparow ist für viele ein Idol, vor allem die beigefügte Partie ist sehr beeindruckend.

      Freue mich schon auf Deine nächsten Beiträge!! :)

      Viele Grüße
    • Wirklich, diese kleinen Lebensläufe gehören, dank dir Läuferin, zu den absoluten Highlights hier in der Schacharena. Für Jung und Alt lesenswert und immer mit einer Toppartie ergänzt, die sehr anschaulich den Stil des entsprechenden Spielers zeigt. Ich habe mich wirklich schon auf den Moment gefreut, den Bericht über Garri Kasparov zu erblicken, da er für mich der größte Schachspieler aller Zeiten ist und auch jetzt nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn weiter einen beeindruckenden Idealismus an den Tag legt.

      Mit freundlichen Grüßen und großem Dankeschön
      eure Banane
    • Kann mich nur anschließen, ganz tolle Sache. Die Partie ist ein Augen- und Gehirnschmaus,
      auch wenn ich immer wieder feststellen muss, dass eine Kasparov-Partieanalyse mir nix bringt ;)
      Seine enorme Opferbereitschaft für Initiative ist bewundernswert, aber es muss auch ein kluger
      Kopf dahinterstecken, wie er...
      ---{ Tu was du nicht lassen kannst, aber lass was du nicht tun kannst. }---
    • Sehr interessant - eine evolutionäre Entwicklung (zufällige Verbesserung einer Spezies durch Fehler beim Kopieren der Erbsubstanz) gibt es also nicht nur bei Lebewesen, sondern auch bei Silikonhirnen.

      Der NTV-Artikel sagt zwar nicht, welches der "Zufallszug" war, aber es kann sich nur um diese Stellung aus der 1. Wettkampfpartie gehandelt haben:

      Deep Blue - Kasparov



      Weil er nicht wußte, was zu tun war, wählte Deep Blue hier zufällig einen Zug aus und zog 23.d4-d5!

      Hier die kommentiere Partie: Deep Blue - Kasparov (1. Matchpartie, Philadelphia 1996)

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Schroeder ()

    • das ist doch eigentlich ein durchaus logischer Zug.
      Weiss tauscht seinen isolierten Bauern ein gegen den einen Doppelbauern auf b6 (wie in der Partie ja auch geschehen) ... und nun hat Schwarz - neben den Schwächen auf b7,f7 und f6 jetzt ausserdem noch einen isolierten Bauern auf d5 - und Weiss ist seine Schwäche dort elegant los geworden.
      Die schwarze Stellung möchte ich dann definitiv nicht haben.
    • Ebenfalls sehenswert ist das 47-minütige Interview, das der (gestern verstorbene) englische Journalist David Frost im August 2013 in Abu Dhabi mit Garri führte: Kasparov: 'A game designed for me'
      Garry erzählt unter anderem, welche Eigenschaften für einen überragenden Schachspieler notwendig sind, warum er in 2005 mit dem Turnierschach aufgehört hat und was er im russischen Gefängnis erlebt hat.