Der kalte Patriarch

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    • Der kalte Patriarch

      Geliebt wurde er nicht, allenfalls respektiert und ob seiner Protektion durch die Partei gefürchtet. Die Sympathien galten seinen Gegnern, denen das Publikum lauthals Beifall spendete, wenn sie gegen den Patriarchen der Sowjetischen Schachschule gewannen. Mikhail Botwinnik, geboren am 17. August 1911 in der Nähe von St. Petersburg, war von 1948 bis 1957, von 1958 bis 1960 und von 1961 bis 1963 sechster Weltmeister. Er lernte Schach im Alter von zwölf Jahren, nur zwei Jahre später besiegte er José Raoul Capablanca beim Simultan und gewann 1931 den ersten von insgesamt sieben Landesmeistertiteln. Bereits Mitte der 1930er Jahre war er privilegiert, verfügte über ein eigenes Auto, erhielt ein auskömmliches Stipendium und reiste, gemeinsam mit seiner Frau, zu Turnieren ins Ausland. Die Jahre des Großen Terrors unter Josef Stalin von 1934 bis 1938 überstand er schadlos, weil der allmächtige Volkskommissar Nikolai Krylenko, der das Schachspiel in der Sowjetunion aus ideologischen Gründen förderte, seine schützende Hand über ihn hielt. Siege in Moskau 1935 und Nottingham 1936 ließen ihn als potenziellen Herausforderer Alexander Aljechins erscheinen, den er beim legendären AVRO-Turnier 1938 überzeugend schlug. Nach dem Tod des Weltmeisters organisierte die FIDE 1948 ein WM-Turnier in Den Haag und Moskau, das Botwinnik überlegen gewann. Nach dem Sieg zog er sich für drei Jahre vom Schach zurück und arbeitete als Elektroingenieur. Nach den Niederlagen gegen Wassili Smyslow und Mikhail Tal eroberte er den Titel dank einer Lex Botwinnik in Revanchematches zurück, bis ihn Tigran Petrosian endgültig beerbte. Botwinnik war ein Forscher, der sich systematisch auf seine Gegner vorbereitete wie vor ihm nur Max Euwe. Er legte als Nachziehender das Spiel nicht länger auf Ausgleich an, sondern strebte komplexe Stellungen an, die Schwarz Chancen auf eigene Initiative versprachen. Botwinnik entwickelte tiefe Pläne für die Französische Partie, die Slawische und die Holländische Verteidigung, um den Gegner in antagonistischen Positionen straucheln zu lassen, die er zuvor ausgiebig analysiert hatte. Sein Blick auf das Schach war nüchtern, kalt und logisch; stets war er auf der Suche nach dem „wahren“ Zug, ganz anders als sein poetischer Antipode Mikhail Tal, der über ihn sagte: „Wenn ich gegen Botwinnik spielte, fühlte ich mich die ganze Zeit über bestenfalls als Student.“ Im Herbst seines Lebens leistete sich der linientreue Kommunist eine bemerkenswerte Aufsässigkeit, als er nach der Flucht Viktor Kortschnois in den Westen 1976 sich weigerte, eine Erklärung gegen den „Vaterlandsverräter“ zu unterzeichnen. Eindrucksvoll war schließlich sein Wirken als Trainer und Lehrer: aus seiner Schachschule gingen mit Anatoli Karpow, Garri Kasparow und Wladimir Kramnik gleich drei nachmalige Weltmeister hervor. Mikhail Botwinnik starb am 5. Mai 1995. Anlässlich seines 100. Geburtstags wurde 2011 an der Fassade „seines“ Zentralen Schachclubs am Gogolewskij-Boulevard in Moskau eine Gedenkplakette enthüllt.

      Die zitierte Partie gegen Arnold Denker, Radiowettkampf USA-UdSSR 1945, ist exemplarisch für Botwinniks Partieanlage. Als Kompensation für seine wacklige Stellung bekommt er Gegenspiel im Zentrum und auf den geöffneten Linien und Diagonalen, Strategie und Taktik zeigen sich hier schwesterlich harmonisch.

      chessgames.com/perl/chessgame?gid=1032119
    • Der Artikel 23. März 1963 berichtet über den vor genau 50 Jahren gestarteten WM-Kampf Botwinnik - Petrosjan, in dem Botwinnik endgültig die Schachkrone verlor. Er enthält auch die kommentierte 1. Wettkampfpartie, die Botwinnik als Schwarzer mit Nimzoindisch gewann.

      ... und hier der zweite Teil des Artikels: Vor 50 Jahren: Petrosjan wird Weltmeister

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