Wijk aan Zee 2013

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    • Wijk aan Zee 2013

      Das Traditionsturnier im kleinen Ort an der niederländischen Nordseeküste erlebt in diesem Jahr seine 75. Auflage, der Stahlkonzern Tata Steel ist ein weiteres Mal der Hauptsponsor. Vom 11. bis zum 27. Januar 2013 treffen etliche Spieler der absoluten Weltspitze aufeinander und setzen den Ton für das gerade beginnende Schachjahr. Wie spielt Magnus Carlsen auf, der in der Elo-Liste vom Januar 2013 einen neuen Rekord mit 2861 Punkten aufgestellt hat? Wie schlagen sich die Gewinner der beiden letzten Ausgaben, Levon Aronian und Hikaru Nakamura? Kann der Weltmeister Vishwanathan Anand seine Krise überwinden und das Turnier zum sechsten Mal gewinnen? Wird Fabiano Caruana sein beeindruckendes Ergebnis des vergangenen Jahres bestätigen? Kann dark horse Sergej Karjakin seinen Erfolg von 2009 wiederholen? Hat sich Yifan Hue vom Verlust ihres WM-Titels erholt? Und warum wurden die russischen Cracks Wladimir Kramnik, Alexander Grischuk und Alexander Morozewitsch nicht eingeladen? Fragen dieser Art werden ab Mitte Januar diskutiert und beantwortet werden. Aus deutscher Sicht noch interessant: Arkadij Naiditsch spielt in der B-Gruppe des Turniers. Weitere Informationen und Partieübertragungen auf der Turnierseite tatasteelchess.com
    • Schach kann raffiniert sein, beweglich und sexy. Letzte Zweifel an dieser Einschätzung wurden am heutigen vierten Spieltag der A-Gruppe ausgeräumt, die gleich fünf entschiedene Partien präsentierte, von denen jede auf ihre Weise das Zeug zum Play of the Day hatte.

      Die Quasi-Meisterschaft der Niederländer gewann Loek van Wely, dem sein Ironman-Training deutlich anzusehen ist, gegen Erwin L'Ami. Nach einem Trompowsky-Angriff kam bereits nach fünf Zügen eine buchferne Stellung aufs Brett, die van Wely mit Weiß intuitiv geschmeidiger behandelte. L'Ami gab die Qualität für eine bewegliche Bauernmajorität im Zentrum; bei heterogenen Rochaden konnte aber Weiß nach dem Damentausch seine Bauern am Königsflügel zum Laufen bringen. Die ausnehmend schöne Schlussstellung dominiert der weiße König im Zentrum des Brettes, sekundiert von beiden Türmen, die in ihren Hauslinien decken und blockieren.

      Was er macht, macht er unnachahmlich. Magnus Carlsen wählte mit Weiß gegen Pentala Harikrishna die vergessene Ponziani-Eröffnung, die er scharf anlegte und aus der heraus er zwei Bauern für einen Königsangriff opferte. Schwarz gab die Qualität mit der Hoffnung auf Spiel gegen den luftig stehenden weißen König. Carlsen drosselte in der Folge das Tempo und spielte um seinen Freibauerriesen auf e6 herum, dabei Angriffsdrohungen in der Schwebe lassend. Am Ende beschleunigte ein Fehler Harikrishnas in verdorbener Stellung das Ende. Es ist immer wieder erstaunlich, welch eine Dynamik Carlsen auch mit relativ reduziertem Material zu erzeugen vermag.

      Das innerchinesische Duell gewann Wang Hao gegen Yifan Hue, die jüngste Ex-Weltmeisterin der Geschichte. Diese interpretierte die Nimzo-Inderin mit Schwarz offensiv mit d5, c5 und früher Zentrumsöffnung, ihr Landsmann bedankte sich mit Druck auf der d-Linie mit seinen Türmen. Hue konnte die anschwellende weiße Initiative lange passiv neutralisieren, ehe am Ende der Angriff Haos auch dank eines Mehrläufers durchdrang. Bei den faszinierenden hinführenden Manövern tanzten beide Damen über das Schachbrett wie Polina Semjonowa und Beatrice Knop in der Bajadere über die Ballettbühne.

      Fabinano Carunana zeigte sich nach seiner Niederlage gegen Vishwanathan Anand gut erholt, gegen Ivan Sokolow wählte er heute wie sein gestriger Bezwinger die Geschlossene Spanierin. Schwarz agierte in fester aber passiver Stellung umständlich und vergab mit unnötigen Königs- und Springerzügen kostbare Zeit. Weiß verfügte zeitweilig über zwei Doppelbauern im Zentrum, die seinen König abschirmten und gleichzeitig den schwarzen Figuren wichtige zentrale Felder nahmen. Nach dem Abtausch der Leichtfiguren konnte Sokolow mit zwei Minusbauern dem finalen Angriff Caruanas nichts mehr entgegen setzen.

      Vishwanathan Anand strafte seine Kritiker Lügen, die wähnten, seine Zeit sei vorbei. Sein Gegner Levon Aronian wird sich heute vorgekommen sein wie ein Amateur beim Simultan gegen sein Idol. Der Weltmeister verteidigte sich mit der Meraner Variante, in deren überscharfen wie wackligen Mustern er sich seit seinem WM-Kampf von 2008 gegen Wladimir Kramnik bestens auskennt. Aronians Angriff mit Sg5 konterte er kalt mit c5 und Sg4; er ließ dann gleich zwei Figuren en prise stehen. Als die schwarze Dame zur beschädigten Königsstellung schwenkte, war das schlimme weiße Ende dieser Glanzpartie bereits nach 23 Zügen unausweichlich.

      Es führen nun Magnus Carlsen, Viswanathan Anand und Sergej Karjakin mit jeweils drei Punkten. Der Russe behielt die Nerven und konnte ein Damenendspiel gegen Hikaru Nakamura mit einem Minusbauern dank einer Dauerschachdrohung Remis halten. Den morgigen Ruhetag haben sich die Aktiven nach dem heutigen Spektakel redlich verdient. Alle Partien in Ruhe zum Nachspielen unter tatasteelchess.com
    • Mehrere Kommentatoren haben sich der Glanzpartie Aronian - Anand angenommen:
      - Efstratios Grivas mit einer ausführlichen Analyse im PGN-Format
      - Daniel King in seinem "Play of the Day"
      - Kingscrusher (Tryfon Gavriel) in einem 48-minütigen Video
      - der Weltmeister selbst kommentiert seine Partie in einem 8-minütigen Video

      All dies gibt es zu sehen auf Tata R04: Carlsen, Anand and Caruana score
    • Was für ein Turnier! In der heutigen fünften Runde in Wijk aan Zee gab es in der A-Gruppe schon wieder fünf entschiedene Partien, davon drei mit Schwarz. Eigentlich egal, wer hier welche Titel hat, solange die Teilnehmenden solche Hymnen auf das Schach am Brett verfassen.

      Levon Aronian schien das Debakel gegen Vishy Anand vom Dienstag halbwegs weggesteckt zu haben, heute machte er seinerseits mit Ivan Sokolow kurzen Prozeß (24 Züge). Der Niederländer avanciert zur tragischen Figur des Turniers, heute konnte er in einer scharfen Grünfeld-Inderin zwei Freibauern auf d5 und e6 gegen das Konterspiel Aronians nicht zum Sieg führen.

      Hikaru Nakamura wählte gegen Yifan Hue den beschleunigten Drachen in der Sizilianerin und machte bei den thematischen heterogenen Rochaden mehr Druck als seine Gegnerin, die ihre beiden Läufer schmerzlich vermisst haben wird. Der Amerikaner spielte gewohnt aggressiv bis ins Endspiel hinein und kreierte mit seinem bissigen Materialrest einen sehenswerten Schlussangriff.

      Wang Hao fand ein kluges Konzept gegen L'Amis Katalanin und schuf sich nach Aufhebung der Zentrumsspannung eine bewegliche Bauerntrias am Damenflügel, während des Niederländers Mehrbauern am Königsflügel traurig blockiert waren. Am Ende konnte der Chinese angesichts seiner unaufhaltsamen Freibauern freimütig einen Springer und einen Turm geben.

      Loek van Wely interpretierte die Sizilianerin gegen Pentala Harikrishna zu igelig, der Inder konnte in aller Ruhe seinen Königsangriff lancieren. Als van Wely dann seinerseits über den Damenflügel zum Gegenzug kommen wollte, war es zu spät. Die weißen Springer tanzten die schwarze Verteidigung schwindlig, leider gab der Hobby-Triathlet vor einem malerischen Läufermatt auf.

      Peter Leko schließlich gelang gegen Fabiano Caruana eine echte thematische Spanische Partie. Erst erzwang er in geduldiger Manöverarbeit die Konzentration der schwarzen Schwerfiguren am Damenflügel, dann spielte er gekonnt und präzise am Königsflügel auf Angriff, den der Italiener durchgehen lassen musste. Lekos Liebling wurde sein Springer, der nach Herzenslust blockierte, spähte, drohte und ermöglichte.

      Magnus Carlsen und Vishwanathan Anand reichten sich nach 24 Zügen die Hände zum Friedensschluss, eine blanke Symmetrie in der Russischen Verteidigung machte dieses Erschöpfungsremis plausibel. Sergej Karjakin und Anish Giri trennten sich nach lebhaftem grünfeldindischem Verlauf und nach Abtausch der Türme ebenfalls friedlich. Es führen weiterhin M. Carlsen, V. Anand und S. Karjakin mit nun 3,5 Punkten vor P. Leko, P. Harikrishna, W. Hao und H. Nakamura mit jeweils 3 Punkten. >> tatasteelchess.com
    • Der Endspielpapst Karsten Müller hat die beiden Endspiele Harikrishna - Giri (Runde 1) und Karjakin - Wang Hao (Runde 3) aus Wijk aan Zee einer ausführlichen Analyse unterzogen: CBM training from Wijk: Karjakin's cars, a deadly 'zwischenschach'

      In der heutigen 5. Runde gelang Pentala Harikrishna gegen Loek van Wely ein Mattangriff, für den im 19. Jahrhundert sein Brett von den Zuschauern mit Goldmünzen überschüttet worden wäre. Daniel King kommentiert diese Glanzpartie in seinem "Play of the Day": Tata R05: five decisive games, trio still lead

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    • 8. Runde
      Magnus Carlsen gewann in 92 Zügen gegen Sergej Karjakin. Dabei presste er mit geduldigem Spiel einen Vorteil aus einem Endspiel, das manch ein anderer schon längst remis gegeben hätte. Carlsen führt jetzt mit 6 aus 8 vor Anand (5,5).
      Daniel King kommentiert den verblüffenden Endspielsieg als "Play of the Day" in Tata R08: Carlsen beats Karjakin, forges ahead.
    • Bei aller Begeisterung über Carlsens Leistung sollte nicht vergessen werden, dass auch Aronian ein beeindruckendes Turnier spielt. Aus den letzten 6 Partien hat er 5 Punkte geholt! Damit liegt er punktgleich mit Anand auf dem 2./3. Platz.

      Sollte Carlsen erneut gewinnen, liegt er mit 1.5 Punkten Vorsprung vor den letzten 3 Runden auf dem ersten Platz und dürfte vermutlich nicht mehr einzuholen sein.

      Gruß, Bio

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    • Wie schon 2 Runden zuvor gegen Karjakin, gewann Carlsen auch heute ein Endspiel mit Türmen und ungleichfarbigen Läufern, diesmal gegen L'Ami. Anand sagte nach der Runde: "Magnus ist beim Einsammeln von Punkten viel effizienter. Er gewinnt einfach jede Art von Stellung. Das ist erstaunlich ... und ein großer Nachteil, wenn man mit ihm Schritt halten will".

      Rundenberichte:
      Wijk, Runde 10: Carlsen zieht davon
      Tata R10: Five decisive game, Carlsen leads with 1½ points

      Daniel King's Partie des Tages, die als Video in beiden Rundenberichten zu finden ist, ist Sokolov - Leko, ein bemerkenswerter und eröffnungstheoretisch bedeutsamer Schwarzsieg im Nimzoinder. Peter Leko selbst kommentiert seinen Sieg gegen einen ausgewiesenen Nimzoindisch-Experten in einem 21minütigen Video in Wijk: Rückblick auf Runde 10.

      Karsten Müller analysiert auf gewohnt instruktive Art und Weise 3 Endspiele aus Wijk aan Zee in Carlsen's Counterattack, Sokolov's Sorrow, Hou's Hammerblow.

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    • Ist das noch Schach? Das heutige Spiel gegen Magnus Carlsen wird Hikaru Nakamura so schnell nicht vergessen, dem Norweger gelang eine Partie, die dem Spektakel Vishy Anands gegen Levon Aronian aus der vierten Runde locker an die Seite zu stellen ist. Carlsen mit Weiß wurde von Nakamura mit der scharfen Schweschnikow-Variante der Sizilianerin herausgefordert, in die er ein bescheidenes g3 einflocht. Der US-Amerikaner antwortete mit h5 und frühem Königsangriff, verhaspelte sich und fand sich in einer zerfetzten Stellung mit zwei Randspringern und einem im Zentrum betonierten König wieder. Mit einer Reihe kraftvoller und selbsterklärender Züge wischte Carlsen den schützenden schwarzen Bauernschild vom Brett und stellte Nakamura auf vollem Brett quasi patt. Die mit 29. Le6 beginnende Schlusskombination hat nicht einmal Houdini gesehen, die Stellung, in der Nakamura benommen aufgab, ist grotesk und komisch zugleich. So langsam gehen die Metaphern aus, das Schach Magnus Carlsens angemessen zu beschreiben. Muss er demnächst seinen Gegnern Zug und Springer vorgeben?
    • Meine Empfindungen sind präzise so, wie es die Läuferin in ihrer unnachahmlichen sprachlichen Vielfalt schilderte. Leider fehlen mir die rhetorischen Fähigkeiten, es selbst so auszudrücken.

      Ergänzen möchte ich folgendes:

      Unter den Protagonisten der Weltspitze haben naturgemäß schon relativ viele Duelle stattgefunden, bei denen sich analog zu unserem "Patzerschach" bestimmte Dauerkonstellationen "heraus schälten".

      Unter anderem galt vor ca 2 Jahren Nakamura als Angstgegner von Carlsen. Inzwischen scheint es jedoch so, dass Nakamura eher ein psychologisches Problem mit dem vorgenannten Gegner hat und relativ chancenlos gegen Magnus untergeht.

      Natürlich ist Carlsen 1. Anwärter auf den Sieg beim kommenden Kandidatenturnier, allerdings ist das auch eine Bürde, an der Magnus scheitern könnte. Die dortigen Teilnehmer verkörpern die Weltspitze und die jeweilige Tagesform einschließlich des nicht zu unterschätzenden Glücksfaktors können auch gegen die prognostizierte Ranking entscheiden.
    • Der Carlsen braucht kein Glück. Er ist besser als jede Maschine. Während Ihr immer 1000 Analysen macht, die sowieso nichts bringen und Eure Spielstärke eher herabsetzen, lacht er sich kaputt und macht alle platt. Deswegen bin ich ein Fan von ihm. Es gibt Spieler hier auf der Arena, die können alles erzählen über die Eröffnungen. besser sind sie trotzdem nicht geworden in den letzten Jahren und krebsen immer noch bei 1300 DWZ rum.
      Ich kenne mal gerade Damengambit und habe ca. 200 DWZ mehr.
      Allein meine Erfahrung hat dazu geführt, dasss ich mich in der Eröffnung nicht mehr so schnell reinlegen lasse.
      Manchmal frage ich nach einer Partie den Fritz, weil es mich wirklich interessiert, wo was schief lief oder die Entscheidung gefallen ist.

      Das eigene Gehirn bleibt immer gleich. Niemand kann mir erzählen, dass er besser gewordden ist, nur weuil er Houdini hat. :-)))))

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    • Lukas14 schrieb:

      Kann man sich da auch mal komplette Spiele ansehen und nicht immer Ausschnitte und Interview
      Ja, natürlich. Die Läuferin hat doch bereits in Betrag Nr 10 den link des Ausrichters angegeben.
      Siehe unter tatasteelchess.com/ und dort dann unter Tournament / Games. Dort kannst Du die Spiele der Runden als pgn herunterladen oder auch im Browser nachspielen.
      #up7