WM 2013: Anand vs. Carlsen - "Match und Diskussion"

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    • Vergiftete Bauern in Partie 2 (Teil 1)

      Da es kürzlich gefragt und auch in vielen der Analysen nicht darauf eingegangen wurde, hier einige Erklärungen,
      warum Schwarz an zwei Stellen der 2. Partie, die hängenden weißen Bauern nicht geschlagen hat.
      In diesen beiden Situationen kann man Carlsen am besten mit einem Pilzsammler vergleichen, der ja auch nicht
      jeden Pilz mitnehmen kann, weil mancher eben vergiftet ist.

      Die erste Möglichkeit hätte sich nach 9. Ld3 ergeben.
      Nun mit der Dame auf d4 zu schlagen, sieht auf den ersten Blick ungefährlich aus.
      Allerdings wäre dieser „Pilz“ dem Schwarzen sehr schlecht bekommen, denn es gibt einen taktischen Gegenschlag.
      Nach Sxf7! hat Weiß dann nämlich die eindeutig bessere Stellung, weil sich das naheliegende Kxf7 wegen Lg6+
      verbietet.

      Anand vs. Carlsen
      Caro Kann (B19), Chennai/Indien (2), 10.11.2013



      Gute Alternativen statt Kxf7 sind nun Mangelware. Genauer gesagt, gibt es keine mehr für Schwarz.
      Weiß behält immer das klar bessere Spiel. Hier einige der möglichen Fortsetzungen:





    • In meinen Augen die erste Partie des Matches, in der es M. Carlsen gelungen ist, V. Anand „sein“ Schach aufzuzwingen: Relativ früher Damentausch, ein sich abzeichnendes Endspiel mit gleichen Materialverhältnissen und leichten statischen Ungleichgewichten. M. Carlsen verbessert Zug um Zug seine Position, identifiziert die Schwächen in des Gegners Lager und deutet diskret Druck an; V. Anands Versuch, aktives Gegenspiel zu erlangen, fruchtet nicht richtig und führt zum Verlust eines Bauern. Am Ende passiert dann das, was eventuell als der Carlsen-Effekt in die Schachliteratur eingehen wird: Nach über fünf Stunden am Brett, verpasst V. Anand die beste Verteidigung und findet in einem tückischen Turmendspiel den verborgenen Remisweg nicht. Zu Zeiten der seligen Hängepartien wäre das möglicherweise nicht passiert; M. Botvinnik hat 1962 bei der Olympiade in Varna gegen B. Fischer ein legendäres Turmendspiel mit einem Minusbauern bei zwei gegnerischen Freibauern auf den Randlinien unentschieden halten können. Eh bien, in Chennai anno 2013 ist das lang ersehnte Feuer in der Auseinandersetzung, V. Anand hat jetzt zweimal in Folge Weiß und sollte nun danach streben, ihm besser liegende, verwickelte Stellungen zu erreichen. Für Spannung bleibt gesorgt.
    • Carlsen hat gerade erneut gewonnen. Die Stellung war laut Engine Remis, doch Anand machte mit seinem 60. Zug einen Fehler, der ihn die Partie kostete. Das ist sehr schade, da er bis dahin sehr gut verteidigt hatte und sich das Remis eigentlich verdient hätte.

      Edit:
      Die Stellung war folgende:


      Remis hätte er laut Engine so halten können:

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von patrik ()

    • Auf die Engine ist aber auch nicht immer verlass. Nach Anands Zug Ta4 statt b4, der wohl verliert, zeigte die Engine gerade mal -0,38 an...

      Das Spiel heute war allerdings faszinierend; wie Carlsen diese Chance aufspürte, mit einem doppelten Bauernopfer seinen eigenen stark zu machen zeugt von Ideenreichtum und Phantasie, wie sie wohl nur wenige Spieler auf dieser Welt haben...
    • EmporKborn schrieb:

      Nach Anands Zug Ta4 statt b4, der wohl verliert, zeigte die Engine gerade mal -0,38 an...
      Ja das stimmt, verstehe ich auch nicht. Aber was man dazu sagen muss ist, dass die Engine den Zug 60. Ta4 als suboptimalen Zug ansieht, darauf ist wohl mehr Verlass, als auf die angegebene Zahl, die teilweise sehr komisch wirkt.

      EmporKborn schrieb:

      Das Spiel heute war allerdings faszinierend; wie Carlsen diese Chance aufspürte, mit einem doppelten Bauernopfer seinen eigenen stark zu machen zeugt von Ideenreichtum und Phantasie, wie sie wohl nur wenige Spieler auf dieser Welt haben...
      Genauso gut fand ich aber auch das Bauernopfer 44. h5 von Anand, womit er das Remis hätte erreichen können. Die Engine zeigt zwar vor und nach diesem Zug etwas um -0,3 an, in den nächsten Zügen, die, genauso wie der Zug 44. h5, laut Engine alle optimal waren, geht die Zahl jedoch in Richtung Null.
    • Schach kann grausam sein. Nach der gestrigen Endspielniederlage muss V. Anand eine weitere Demonstration der vollkommenen Technik M. Carlsens attestieren. Der Weltmeister wählte die Spanische Eröffnung, deren bedächtige Manöver dem Temperament und der Geduld seines Gegners in die Hände spielen. Weiß verpasste es, einen zwingenden Angriffsplan zu entwickeln, ließ ohne große Not den Abtausch der Leichtfiguren zu und begab sich damit dynamischer Optionen. Nach diesem Swing von der Algebra zur Geometrie konnte der Herausforderer gegen den verdoppelten weißen e-Bauern Druck machen; V. Anand schließlich gab einen dieser Bauern in der vagen Hoffnung auf Befreiung und Gegenspiel. Ein für M. Carlsen komfortables Turmendspiel mit einem soliden Mehrbauern stand letztlich auf dem Brett; der hier im Forum sehr geschätzte Kommentator Lawrence Trent meinte lakonisch, nun könne er V. Anand nach Belieben foltern und völlig risikolos auf Gewinn spielen. V. Anand splittete mit einem Bauernopfer die schwarze Bauernkette, was M. Carlsen nicht davon abhielt, mit den wenigen verbliebenen Steinen eine phantastische Spannung zu kreieren und sich einen immer größer werdenden Freibauern zu verschaffen. Parallel zu gestern, verpasste V. Anand die beste Verteidigung und gestattete es M. Carlsen, ein Beispielendspiel erfolgreich abzuschließen. Die vielleicht noch schlimmere Qual stand ihm allerdings anlässlich der Pressekonferenz mit den inquisitorischen Fragen der Journaille bevor. V. Anand hielt mühsam an sich und zeigte sich trotz der für ihn schlimmen Niederlage höflich und korrekt. Den morgigen Ruhetag wird er dringend brauchen.
    • Wie Patrik in Post 86 gezeigt hat, war objektiv gesehen erst Anands Zug 60.Ta4? der Verlustzug, und der Enginezug 60.b4 hätte zum Remis gereicht. Daß dies so ist, ist jedoch für das menschliche Auge am Brett bei tickender Uhr kaum zu erkennen. In der Pressekonferenz sagten beide Spieler übereinstimmend, daß sie 60.b4 als chancenlos eingeschätzt hätten, weil die weißen Bauern zu langsam seien.

      Wenn man die Partie mehr durch die menschliche Brille betrachtet, dann war wohl Anands Entscheidung, mit 38.Dg3? unter Bauernopfer ins Turmendspiel zu gehen, völlig unnötig und somit der Fehler, den man ihm im höheren Sinne als partieentscheidend ankreiden kann.

      Mit den beiden Siegen hat Carlsen eindrucksvoll demonstriert, warum er 90 Elopunkte besser als Anand ist. Damit hat er schon jetzt den statistisch für dieses Match zu erwartenden Zweipunktevorsprung hergestellt. Sollten alle weiteren Partien remis enden (was ich natürlich nicht hoffen will), dann endet das Match exakt gemäß der Eloerwartung (6,5 - 4,5).
    • Wenn man sich die letzten beiden Partien anschaut, habe wenigstens ich die Vermutung es wird nicht bei der statistisch zu erwartenden Zweipunktevorsprung bleiben. Heiß es im Umkehrschluss der Unterschied zwischen Magnus Carlsen und dem Rest der Elite-Spieler ist deutlich größer als 100 Elopunkte?
    • damit wäre er auch ein würdiger Weltmeister, weil er eben nicht bei +/-0,3 (Engine) die Partie Remis gibt, sondern bis zum Schluß seine Chance sucht
      heute war Anand aber auch größtenteils selber Schuld, ohne Not tauscht er sämtliche Leichtfiguren, die in einigen Varianten sogar taktische Möglichkeiten (Sg4 nebst Sxh6 usw.) boten, ab und nimmt sich so jegliche Chance auf Vorteil, geht wieder in ein no-risk Endspiel mit / für Carlsen, obwohl er wissen müsste, dass dies dessen Spezialität ist
      wie sagte GM L. Trent so schön: jetzt kann er ihn wieder solange foltern, bis er eine Schwäche findet ...
    • Hallo zusammen,
      ich möchte meinerseits auf jegliche Kommentierung des jüngsten Spiels (6. Partie)verzichten, dazu ist mein Schachwissen viel zu bescheiden...allerdings bewundere ich die geniale Konstanz im Spiel von Carlsen, der in einem extrem schweren Endspiel mit einem Mehrbauern den Sieg erringen konnte, das ist für mich ein absolutes Lehrstück...sicherlich spielte und hoffte Anand schon seit dem fortgeschrittenen Mittelspiel auf remis, hatte aber lange Zeit den Nachteil, dass der Turm von Carlsen aktiver stand und dieser den Vorteil halten konnte, einfach genial...für mich ist Carlsen der kommende Weltmeister... ;)

      ps: An dieser Stelle möchte ich auch Hybris danken für die Dokumentation der Partien im anderen Thread!

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Fizz ()

    • Wie Carlsen in den Partien 5 und 6 selbst winzigste Vorteile peu a peu zum Sieg verwertet hat, ist schon phänomenal.
      Natürlich hat Anand da mit einigen Ungenauigkeiten mitgeholfen, aber wer kann es ihm verdenken?

      Im Gegenzug scheint Anand aber nun kein Mittel mehr zu finden, Carlsen ernsthaft zu gefährden.
      Vier seiner sechs Weißpartien hat Anand nun gehabt und dabei keinen entscheidenden Vorteil herausspielen können.
      Nach dem "Überraschungs-Caro Kann" hat Carlsens Spanisch nun zum dritten Mal wunderbar gehalten. Wieder einmal
      scheint sich ein Weißer an der Berliner Verteidigung die Zähne auszubeißen.

      Heute in der 7. Partie gab es nach knapp zwei Stunden Spielzeit ein etwas schnelleres Remis mit Zugwiederholung.
      Das kann eigentlich nur Carlsen Recht sein. Wenn kein Wunder geschieht, ist die WM so gut wie entschieden!
    • die zwei aufeinanderfolgenden siege carlsens fand ich nicht nur überzeugend sondern auch überraschend (wenn auch nicht die endspielstärke carlsens, die wir ja schon kannten). turmendspiele sind ja bekanntermaßen trickreich und carlsen hat hier unglaubliches und beneidenswertes gespür für die richtige behandlung. nach dem ruhetag und vishis erneutem versuch mit den weißen steinen hatte ich aber ehrlich gesagt bei nunmehr 2 punkten rückstand eine art aufbäumen des amtierenden weltmeisters erwartet. was ich aber sah war:
      * anand spielt eine eröffnung, die carlsen schon seit gefühlten ewigkeiten in seinem eröffnungsrepertoire hat
      * anand spielt weiterhin "slow" also langsam und positionell, was carlsen bekanntermaßen entgegenkommt.
      * ohne not tauscht anand leichtfiguren ab (z.b. durch Le3) - übrigens fand ich grad den schwarzfeldrigen läufer wichtig als weißer, nachdem er schon die schwarze felderschwäche durch g6 provoziert hatte!
      * statt komplikationen zu forcieren, bietet anand geradezu aktiv die vereinfachung der position an, mehrfach
      das muss ich trotz aller sympathie für anand leider als enttäuschend bezeichnen. wenn er nicht noch eine echte überraschungsbombe bereithält (noch hat er ja die gelegenheit dazu, vielleicht will er carlsen ja nur einlullen ...), kommt das verhalten der innerlichen aufgabe der mission titelverteidigung leider recht nahe. in meinen augen war das heute jedenfalls die lahmste von allen bisherigen partien, denn zu keinem zeitpunkt hatte irgendeiner der spieler wirklich einen plan auf dem brett (den ich als echten angriffsplan erkennen konnte ... was nix heissen muss natürlich). und von anand hätte ich zumindest ernsthaftere versuche erwartet.

      Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von BlizzBirne ()

    • Hybris schrieb:

      Wenn kein Wunder geschieht, ist die WM so gut wie entschieden!
      Darauf deutet sicherlich im Moment alles, zumal ja Anand (mindestens) +2 aus 5 bei 3 Schwarz-Partien holen müsste. Oder noch dramatischer formuliert: verlieren darf er auf keinen Fall, dann hat er -3,5 bei 4 Restpartien.
      Dennoch gilt: erst Ei legen dann gackern. In London sah der junge Skandinavier auch schon wie der sichere Sieger aus und hätte es fast noch in der letzten Runde verzockt (bzw. hat er ja..., aber der Zweitplatzierte konnte den Ball nicht über die Linie schubsen). Naja, vllt. eröffnet Carlsen morgen ja mit 1. b4 ...
    • Ich glaube langsam, Anand hat sich schon aufgegeben. Warum um Himmels Willen drängt er Carlsen auf Figuren abzutauschen? BlizzBirne hat es ja auch schon erwähnt. Aber gerade eben auch wieder: Te8 ist doch eine Einladung für Carlsen. Je schneller abgetauscht wird, desto schneller geht es aufs Endspiel zu. Das ging schon zwei Mal nach hinten los. Es ist doch eine absolut simple und allgemeingültige Regel im Sport: Wenn es nicht läuft muss man irgendwas anders machen, probieren ob es nicht doch geht. Anand tut das in meinen Augen leider nicht, obwohl er ja im Moment schon nichts mehr zu verlieren hat. Sehr schade eigentlich.